Vorhalle. Archäologen sind auf die Spuren der ersten Bergleute gestoßen. In Hagen lüftet sich das Geheimnis der sogenannten „Pingen“.
Wer in den Wäldern um den Kaisberg schon spazierte, der wird das, was sie „Pingen“ nennen, schon mal gesehen haben. Recht breite, nicht allzu tiefe Gruben, die auch ein alter Bombeneinschlag sein könnten. Sind sie aber nicht.
Sie sind einst entstanden, weil die ersten Bergleute in diesen Gruben nach etwas geschürft haben. Und zwar nach der Steinkohle, die der älteste bekannte Flöz der Region bereithielt: die Sengsbank. Ein Team des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), des Deutschen Bergbau-Museums Bochum und des Geoparks Ruhrgebiet ist bei Grabungen und Bohrungen hier am Kaisberg auf nicht weniger als eine Sensation gestoßen.
Solche Schnitte in die Erdwelt, noch dazu mit solchen Beweisen, hat es weltweit bislang wohl kaum gegeben. Auf ihrer Suche nach Spuren mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bergbaus haben die Archäologen und Forscher im Wald am Kaisberg rund drei bis vier Meter tiefe und teilweise über 20 Meter lange Grubenschnitte in das Erdreich gebaggert. Bis sie zeitgeschichtlich plötzlich vor jenem Moment standen, in dem die ersten Bergmänner hier die Pingen gruben, um auf den Steinkohleflöz Sengsbank zu treffen. Sie suchten das schwarze Gold, das in der Karbonzeit durch die Karbonisierung von Pflanzenresten entstanden ist, als Ernergieträger - und sie fanden es.
Eine sensationelle Betrachtung
Archäologe Manuel Zeiler vom Landschaftsverband steht zusammen mit Till Kasielke vom Geopark Ruhr und Jennifer Garner vom Bergbaumuseum in einem dieser tiefen Schnitte und staunt. An der Wand aus Kohle, Lehm - und Waldboden ist genau zu sehen, wie die Bergmänner gruben. Manchmal in Stufenform, manchmal trichterartig. Die Gruben, die sie wieder verfüllt haben, stellen farblich den exakten Grabverlauf dar. Manche Probegrabung endet direkt über der Steinkohleschicht, dem Flöz.
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Am Ende der Grube sieht man dann, wie sie auf einem mächtigen Stück der Sengsbank ankamen und einen etwa zwei Meter breiten und mindestens sechs Meter tiefen Schacht in den Flöz gruben. Von Hand, präzise, in Schwerstarbeit.
Wann genau? Das haben die Forscher in dunkler, regnerischer Nacht versucht herauszufinden. Sie stellten ein Grabungszelt in die Grube und bestrahlten eine Quarzschicht in der Steinwand mit Rotlicht. Bei der sogenannten „Thermolumineszenzdatierung“ können sie - vereinfacht gesagt - herausfinden, wann eine Gesteinsschicht zum letzten Mal Lichteinfall ausgesetzt war. Folglich kann das Jahr ermittelt werden, in dem hier gegraben wurde.
Erste Spuren im 13. Jahrhundert
Wenigen erhaltenen schriftlichen Quellen ist zu entnehmen, dass bereits im Mittelalter ab dem 13. Jahrhundert Steinkohle im Raum des heutigen Ruhrgebiets abgebaut wurde. Steinkohle wärmte Häuser, wurde in Schmieden benutzt oder war wichtiger Brennstoff zum Salzsieden und beim Kalkbrennen. „Wie intensiv dieser Bergbau umging und wie die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Betriebsstrukturen organisiert waren, ist jedoch bis heute unbekannt“, so Manuel Zeiler. „Die Ursprünge eines der bedeutendsten Bergbaugebiete Europas liegen somit noch nahezu im Dunkeln - dies wollen wir ändern.“ Und zwar im Kaisberg-Wald.
Etliche „Pingen“ auf dem Kaisberg
„Die flache Bergkuppe weist zahlreiche trichterförmige Vertiefungen - sogenannte Pingen - und kleine Halden auf, die einen ehemals regen Bergbau belegen. Wann diese Formen entstanden sind und mit welcher Technik damals Steinkohle gewonnen wurde, soll unsere Grabung klären“, sagt Dr. Till Kasielke. „Historische Informationen machen wahrscheinlich, dass der oberflächennahe Bergbau hier bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht.“ Deswegen schlossen sich den Bohrungen Mitte Oktober archäologische Ausgrabungen an, die exemplarisch einige dieser Bergbaustrukturen untersuchen.
Noch größeres Projekt soll folgen
„Wir können bereits verschiedene Zeitphasen mit unterschiedlichen Abbautechniken abgrenzen“, erläutert Jennifer Garner. Denn tatsächlich finden die Forschenden einfache Abgrabungen von Kohle in offenen Gruben, benachbart dazu kleine Schächte, die tiefer ins Flöz abgeteuft wurden, sowie schließlich größere Schächte, für deren Anlage bereits ein erheblicher technischer Aufwand nötig war.
Ziel des Pilotprojektes ist es, erstmals umfassend archäologisch ein „Pingenfeld“ des frühen Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet systematisch zu untersuchen. Das Forschungsteam hofft, mehr darüber zu erfahren, wie die frühen Bergleute gearbeitet haben und wie aufwändig der frühe Steinkohlebergbau betrieben wurde. Die Ergebnisse und Erfahrungen der ersten Untersuchungen sollen in ein umfassenderes Projekt zu den Anfängen des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet fließen.
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Ab 1836 wurde über den Kaisbergstollen versucht, Steinkohle aus dem Flöz Sengsbank (der zu den Sprockhöveler Schichten gehört) abzubauen. Der Abbau endete aber schon 1839, weil die Kohle minderwertig war. Das Mundloch des Stollens (mit Tafel-Erklärung) liegt auf dem Weg zum Klärwerk in Vorhalle am östlichen Fuß des Kaisbergs. Heute ist der Stollen Rückzugsgebiet für Feuersalamander, Wasserfledermäuse und Grasfrösche und Teil der Geo-Route.