Hagen. Der Verein „Grüne Brücke Hagen“ fordert mit Blick auf die Verkehrs- und Mobilitätswende eine offenere Debattenkultur für Hagen ein.
Mit seiner futuristisch-progressiv anmutenden Ursprungsidee, die Hochbrücke in Altenhagen von einer starkfrequentierten Verkehrsachse in eine attraktive Grünanlage zu verwandeln, von der vorzugsweise der Stadtteil Altenhagen profitiert, hat der Verein „Grüne Brücke Hagen“ vor zwei Jahren aufhorchen lassen. Der Vorschlag nach New Yorker Vorbild löste von begeisterter Euphorie bis hin zu ungläubigem Kopfschütteln in der Stadtgesellschaft das gesamte Spektrum der Emotionen aus.
Immerhin rückte somit der in ein Kunstwerk verwandelte Stahlbetonriese polarisierend wieder einmal in den Fokus der Öffentlichkeit. Seit der jüngsten Ratssitzung steht jedoch fest, dass das zerfallende Bauwerk aus den 1960er-Jahren keine Zukunft hat – weder als Straße noch als Naherholungsraum.
Für den engagierten Verein längst kein Grund, frustriert die Segel zu streichen. Im Gegenteil: Die drei Frontfiguren Klaus Kirschberg, Bernhard Kühmel und Ulf Schimmel reklamieren für sich, die Begrifflichkeit „Grüne Brücke“ stets als Metapher verstanden zu haben, die den Übergang von der autogerechten Großstadt von anno dazumal mithilfe einer Stadtentwicklungs- und Mobilitätswende hin zu einer lebensgerechten City mit Aufenthaltsqualität umschreibt.
Zukunftsfähige Stadt
Der Verein Grüne Brücke Hagen ist eine Initiative Hagener Bürger. Ihr übergeordnetes Ziel ist es, über wichtige Zukunftsfragen der Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, Politik und Verwaltung ins Gespräch zu kommen. Dabei setzt sich die Gruppe für eine nachhaltige Stadtentwicklung ein, die ökologische, ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigt.
Durch innovative Projekte und Initiativen strebt der Verein ein lebenswertes und zukunftsfähiges Stadtbild an. Dabei legen die Engagierten ihren besonderen Fokus auf eine zielgerichtete Quartiersentwicklungspolitik beispielsweise in Altenhagen, um dort gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration zu ermöglichen.
Übergeordnetes Ziel ist zudem, einen Abschied von der autogerechten Stadt zu erreichen und neue Mobilitätskonzepte zu fördern. Außerdem ist es ein Anliegen der Gruppe, öffentliche Plätze als Orte des Zusammenkommens und des Austausches zu gestalten.
Ein besonderes Projekt war ursprünglich die Umgestaltung der Altenhagener Hochbrücke „Ebene 2“ in einen Bürgerpark. Inzwischen hat sich jedoch herauskristallisiert, dass dies angesichts der maroden Substanz der Stahlbetonkonstruktion weder technisch noch funktional umsetzbar ist.
In diesem Geiste traf sich der Verein zuletzt zu einer Beiratssitzung im Allerwelthaus, um nach den jüngsten Brösel-Brücken-Schlagzeilen und der daraus resultierenden operativen Hektik seitens der Planungsverwaltung sich im direkten Austausch auf den aktuellen Stand bringen zu lassen. Dazu zählte auch die Frage, ob sich die Querung zumindest übergangsweise noch für Fußgänger und Radfahrer nutzen ließe – ein Ansatz, den ein Gutachterbüro aus Hannover im Rahmen seiner aktuell noch laufenden Untersuchungen abklären muss. „Abriss allein kann nicht die Lösung sein“, betont Hirschberg, „jetzt müssen auch Ideen entwickelt werden, was mit der gesamten Fläche rund um die Großkreuzung passieren soll.“
Erweiterung des Horizonts
„Genau jetzt besteht die Chance für ein Gesamtkonzept, in das mögliche Provisorien bereits intelligent eingebaut werden“, erwartet auch Kühmel einen deutlich erweiterten Horizont bei den Planern, der zugleich die Themen Klimaresilienz, Mobilitätswende und Stadtentwicklung umfasst. Sein Vereinskollege Schimmel erinnert zugleich daran, dass es in Hagen beispielsweise einen Masterplan Mobilität oder ein Radwegekonzept ja bereits gebe.
Jetzt gelte es allerdings, die theoretischen Grundlagen miteinander zu verbinden und in der Praxis umzusetzen. Das sei in der Ägide von Oberbürgermeister Erik O. Schulz viel zu selten passiert, liebäugelt die „Grüne Brücke Hagen“ mit der Idee, dem scheidenden Verwaltungschef zum Abschied einen goldfarbenen Locher zu schenken, damit er die in ungezählten Schubladen gesammelten Werke zumindest noch ordnungsgemäß abheften könne.
Politik lehnt Bürgerräte ab
Ein Gratmesser dafür, wie das vom Verein „Grüne Brücke Hagen“ in Spiel gebrachte Instrument Bürgerrat von der lokalen Politik betrachtet wird, boten zuletzt die Sitzungen der Bezirksvertretungen Hohenlimburg und Haspe. Dort fiel die Bürgerrat-Idee glatt durch und soll nach Meinung der Gremien nicht weiterverfolgt werden.
So betrachtete man in Hohenlimburg die Zusammensetzung eines möglichen Bürgerrats als schwierig. Würde tatsächlich nach dem Zufallsprinzip unter allen Wahlberechtigten ausgewählt, könne das möglicherweise dafür sorgen, dass die Bevölkerung nicht paritätisch abgebildet sei. „Der Definition des Bundestags folgend, sollen die Teilnehmer durch einen repräsentativ ausgewählten Personenkreis einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Dazu wird zunächst per Zufall ein Personenkreis ermittelt (Losverfahren)“, heißt es in einer Verwaltungsvorlage dazu. Anja Corell von der Stadt Hagen entkräftete diese These in Teilen. Zwar würden Teilnehmer zunächst zufällig ausgewählt, letztlich aber darauf geachtet, dass eine gewisse Repräsentativität hergestellt sei.
Frank Schmidt (Bürger für Hohenlimburg) sah gar die Gefahr, dass bei der Zufallsauswahl jene Hagener getroffen werden, die ohnehin wahlverdrossen seien. „Bei der letzten Kommunalwahl sind ja nur noch 42 Prozent der Hagener überhaupt zur Wahl gegangen.“ Letztlich lehnte die Bezirksvertretung das Format mehrheitlich ab, weil es bereits ausreichend viele Bürgerbeteiligungsangebote in Hagen gebe: Zukunftsschmieden, Jugendrat, Hagen Horizonte, etc. „Aber eben auch über Bezirksvertretungen. Es gibt hier jederzeit die Möglichkeit, Bürgeranträge auf den Weg zu bringen oder sich über die Bezirksvertreter Gehör zu verschaffen“, sagt Michael Glod (CDU) quasi stellvertretend für die gesamte BV.
Ähnlich der Tenor in Haspe: Einerseits befürchtet man dort ein neues Bürokratiemonster, andererseits stünden bei Kosten von etwa 30.000 Euro Aufwand und Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis. „Es entsteht ein Wust an Vorschriften, der völlig kontraproduktiv zum allerorten geforderten Bürokratieabbau ist“, fand CDU-Vertreter Gerhard Romberg nur die Attribute „sinnlos“, „teuer“ und „bringt gar nichts“. Ähnlich argumentierte SPD-Vertreter Dietmar Thieser, der die Bürgerdiskussionsrunden zu Beginn jeder Bezirksvertretungssitzung sowie die regelmäßig in Haspe stattfinden Bürgerversammlungen als ausreichend betrachtete, um die Haltung der Menschen zu den verschiedensten Themen kennenzulernen.
Michael Gronwald (Hagen Aktiv) und Uwe Goertz (Grüne) argumentierten hingegen, dass Bürgerbeteiligung immer ein hohes Gut sei. Entsprechend solle die Kommune sich Bürgerräte als Instrument der Demokratie auch leisten wollen, da diese viel qualitätvoller seien als die diversen Sprechstundenangebote. Einwürfe, die die ablehnende Haltung nicht abwenden konnten.
Der Verein „Grüne Brücke Hagen“ schlägt vor diesem Hintergrund vor, das zurzeit in den politischen Beratungen befindliche Instrument der Bürgerräte begleitend zu der Anfang September erstmals zusammenkommenden Brückenkommission der Politik zu nutzen. „Hagen braucht einfach mehr Bürgerbeteiligung, und wir möchten diesen Prozess gerne begleiten“, regt Hirschberg an, bei diesem zentralen Thema das Feld nicht allein Verwaltung und Politik zu überlassen. „Ein Bürgerrat ist die beste Chance, die gesamte Bevölkerung mit einzubeziehen und somit zugleich die Akzeptanz der Entscheidungen zu erhöhen“, unterstreicht Kühmel.
Impulse für die Politik
Die Idee, die übrigens vom verstorbenen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) vorangetrieben wurde, sieht letztlich vor, dass zu konkreten Themen vom Rat ins Leben gerufene Bürgerräte eigene Vorschläge und Ideen entwickeln, die wiederum als Impuls für anstehende Entscheidungen dienen können. Dazu würden maximal 30 Hagenerinnen und Hagener zusammenkommen, die den Querschnitt der Stadtgesellschaft abbilden, per Losverfahren ermittelt werden und zugleich die Motivation mitbringen, sich zu engagieren.
Begleitet wird dieser Denk- und Kreativprozess durch Experten und Moderatoren, die sowohl für einen adäquaten Wissensstand sorgen als auch die Diskussionsergebnisse zusammenführen. So sollen durch unterschiedliche Lebenserfahrungen und Perspektiven Impulse zu markanten Problemstellungen in die politische Debatte einfließen.
„Ein solches Gremium würde die Diskussionskultur in Hagen deutlich verbessern und zugleich die Transparenz erhöhen“, sieht Schimmel darin für Politik und Verwaltung eine Chance, die Gesprächsbereitschaft zu erhöhen und wieder näher an die Bürger heranzurücken. Hirschberg tritt zudem Unkenrufern entgegen, die eine Verschleppung des Entscheidungsprozesses befürchten: „Angesichts der ewig langen Zeitschienen bei Stadtplanungsprozessen kann der Bürgerrat als angebliche Bremse ja wohl kein Argument sein.“
Vielmehr könne der Bürgerrat von der Stadtgesellschaft mitgetragene Visionen und Ziele entwickeln und damit gleichzeitig dafür sorgen, dass mögliche Zumutungen auf dem Weg zu einem modernen Hagen höhere Akzeptanz finden. Die Mobilitäts- und Verkehrswende könne hier zum Lackmustest werden, hofft Hirschberg, dass die bevorstehende Kommunalwahl die Bereitschaft der Entscheider erhöhe, mit dem Bürger wieder in den direkteren Austausch zu kommen.