Hagen. Zwei schwere Unfälle mit E-Scooter-Fahrern lassen aufhorchen: Sind Hagens Straßen eigentlich gut genug für dieses Verkehrsmittel?
Zwei schwere E-Scooter-Stürze in Wehringhausen mit Schwerverletzten genau in der gleichen Ecke? Reiner Zufall oder sind die Unglücke am Ende doch eine Folge des miserablen Zustandes auf vielen Straßen in Hagen insbesondere in den weniger frequentierten Wohnquartieren? Die Hagener Polizei will sich hier nicht festlegen, sondern verweist diplomatisch auf die Grundregeln der Straßenverkehrsordnung. Demnach, so erinnert Behördensprecher Sebastian Hirschberg, sei ständige Vorsicht und Rücksicht geboten. Entsprechend sei die Geschwindigkeit nicht bloß den Wetter-, Sicht- und Verkehrsverhältnissen, sondern auch dem Straßenzustand anzupassen. Das gelte auch für E-Scooter-Nutzer.
„In den vorliegenden Fällen ergeben sich zum jetzigen Ermittlungszeitpunkt keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Straßenzustand an der Unfallstelle und der Unfallursache.“ Grundsätzlich gelte, dass Streifenpolizisten zu gefährlichen baulichen Mängeln für den Straßenverkehr Berichte schreiben und an die Stadt Hagen weiterleiten: „Im vorliegenden Fall sind seitens der Polizei noch keine Mängel gemeldet worden“, betont Hirschberg.
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Große Löcher - kleine Räder
In der Stadtredaktion mehren sich hingegen die Stimmen der Zweiradnutzer, die sowohl den vernachlässigten Untergrund auf vielen Radwegen, aber auch die geflickten Straßen in Hagen kritisieren. Wo der Radfahrer angesichts der größeren Radien seines Gefährts häufig noch durch einen festen Lenkergriff einen Sturz vermeiden kann, sind die Nutzer der Elektroroller mit ihren Mini-Rädern den Erschütterungen durch Fahrbahnrisse, Schlaglöcher und aufgeplatzten Asphalt schutzlos ausgeliefert. Gerade bei den Mikromobilen ist die Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche von entscheidender Bedeutung: Trocken und eben wäre ideal, aber auf vielen Stadtstraßen und Radwegen sind Pfützen, Risse im Asphalt, Schlaglöcher oder auch holperige Pflasterstücke die Realität.
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Wer mit dem Mountainbike unterwegs ist, mag über solche Zustände schmunzeln. Bei E-Scootern, deren Fahrer auf deutlich kleineren Rädern durch die Städte rollern, kann alles, was das Vorderrad blockiert, zu einem gravierenden Sturzrisiko werden. Durch die Ansiedlung des Anbieters „Lime“ in Hagen sind inzwischen etwa 800 Leih-Fahrzeuge im Stadtgebiet verfügbar. Hinzu kommen immer mehr Hagener, die privat über dieses elektrische Fortbewegungsmittel verfügen.
Unfälle mit E-Scootern, das zeigen Zahlen aus den deutschen Notaufnahmen, aber auch Crashtest-Simulationen, führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Kopfverletzungen bis hin zu Schädelfrakturen und Hirnblutungen. Alkoholkonsum erhöht natürlich das Risiko für Kopfverletzungen, doch auch wer nüchtern vom Roller stürzt, landet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Kopf.
Für die Crashtests ließen Biomechaniker E-Scooter gegen ein bordsteinähnliches Hindernis krachen: ein klassisches Szenario im Hagener Straßenverkehr mit Schlaglöchern, abgesackten Gullys und reichlich Bordsteinkanten. Hier lassen sich die Stöße mit den kleinen Rädern der Elektroroller kaum noch abfangen oder ausgleichen. Hinzu kommt: Beim Radeln tragen inzwischen die meisten Menschen einen Helm, bei den eher kürzeren E-Scooter-Strecken kaum jemand. Dabei zeigen die Simulationen eindeutig, dass auch bei den meisten Rollerstürzen ein Helm vor schweren Kopfverletzungen schützen würde.
Wintereis sprengt Straßen auf
Die Entstehung der Schlaglöcher auf Hagens Straßen folgt dabei alle Winter wieder den Gesetzen der Physik: Bei altem, sprödem Asphalt oder dürftig geflickter Straße dringt Wasser in die Fahrbahndecke ein. Bei Minusgraden gefriert das Wasser und dehnt sich aus. Dadurch hebt sich der Asphalt oder platzt gar auf. Taut das Eis, entsteht ein Hohlraum unter der Fahrbahn, der nun von den schweren Fahrzeugen eingedrückt wird. Der Asphalt zerbröckelt. Weiterer Regen spült die Löcher aus und vergrößert die Krater.
Die Haftung bei Schlaglöchern liegt bei der Stadt Hagen bzw. beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), der die Verkehrssicherungspflicht übernommen hat und somit sämtliche Verkehrsteilnehmer vor unvermuteten Gefahrenstellen bewahren oder zumindest warnen muss. WBH-Vorstand Hans-Joachim Bihs sieht sich da auf der sicheren Seite, auch wenn er einräumt, dass die Straßen in Hagen durchaus besser aussehen könnten: „Der Verkehrssicherungspflicht kommen wir nach und kontrollieren die Straßen in vernünftigen Intervallen und in einem abgestuften Verfahren. Man kann das sicher noch besser machen, aber schlechter als in anderen Städten sieht es bei uns auch nicht aus“, verweist er auf die finanziellen Zwänge in Hagen, die das Budget für Sanierungsarbeiten immer weiter haben zusammenschmelzen lassen.
Substanz angegriffen
Dennoch: Deckenerneuerungen bei Rissbildungen im Asphalt sind weiterhin der Anspruch, damit es gar nicht erst zu Ausbrüchen kommt. „Natürlich war der vergangene Winter etwas problematischer, aber wir haben keine größeren Rückstände“, bilanziert Bihs, „die Haushaltslage der Stadt lässt nun einmal keine 1a-Qualität zu. Die Substanz erhält man so nicht, es geht immer bloß um die Feuerwehrmethode.“ Ansonsten gebe es klare Vorgaben, wann man im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht tätig werden müsse. Dabei stelle sich durchaus die Frage, ob sich mit der Verbreitung der E-Scooter-Mobilität auch die Kriterien ändern müssten, zieht der WBH-Chef Parallelen zu den kaum tolerierten Ecken und Kanten in einem Pflasterbelag, die bei Fußgängern zu Stolperfallen werden könnten.
Zugleich räumt er ein, dass Hagen zunehmend die Substanz der Straßen verschleiße: „Der Grenzbereich ist ziemlich nah“, warnt Bihs davor zu glauben, mit Mini-Budgets die Lage bewahren zu können: „Leisten können wir vieles, ob wir es uns auch leisten können, ist eine andere Frage.“