Hagen. Werkzeughändler Westfalia ist insolvent. Ein Besuch des Marktes in Hagen, der vor Ostern schließt. Stammkunden wird freundliches Personal fehlen.
„Herr Sterl, können Sie mal schauen, wir brauchen einen neuen Absperrhahn. So einen wie diesen hier.“ Anita Weinand kramt in ihrer Tasche und holt ein altes Schätzchen hervor. „Zeigen Sie mal her. Alles klar, kommen Sie mal mit.“ Marktleiter Martin Sterl kennt das Ehepaar Weinand seit vielen Jahren, marschiert mit den rüstigen Rentnern bis in den letzten Winkel des Ladens. „Na also, da ist doch das, was Sie brauchen“, sagt Martin Sterl. Wenn das Damoklesschwert der Schließung nicht über ihm und seinen Kollegen stehen würde, hätte er nun gute Laune. Aber so?
Noch 15 Mitarbeiter im Laden beschäftigt
Seit dem vergangenen Wochenende geht Westfalia in die Offensive: Aufgrund der Insolvenz des Unternehmens, in dem derzeit noch 15 Mitarbeiter beschäftigt sind, schließt der Fachmarkt an der Pettenkoferstraße 27 in Hagen in zwei Monaten. Heißt: Alles muss raus, und deshalb wirbt das Geschäft jetzt auch mit etlichen Anzeigen für seinen großen Lagerverkauf.
Seit 30 Jahren Kunden
Auf die Insolvenz des Unternehmens Westfalia angesprochen, schütteln Anita und Jürgen Weinand den Kopf. „Wir kommen seit 30 Jahren in den Laden. Was man gerade braucht, bekommt man hier.“ Früher, als es in dem Fachmarkt auch noch Schuhbedarf gab, habe er nicht nur Werkzeug und Zubehör dort gekauft, sondern auch immer wieder mal Einlege-Schuhsohlen. „Wir wohnen in Boele, also nicht weit entfernt und waren oft hier. Schade, schade“, ergänzt Anita Weinand.
Was Günstiges schnappen
„Komm, wir gehen mal oben schauen“, sagt eine junge Frau zu ihrem Begleiter. Im Obergeschoss gibt’s alles rund ums Auto sowie Technik und Modellbau. Sie hätten in der Zeitung von der Insolvenz des Unternehmens und dem baldigen Aus des Geschäftes gelesen, „und da haben wir gedacht, wir schauen uns dort mal um, vielleicht können wir was Günstiges schnappen“, sagt das Pärchen aus Schwelm ohne Umschweife.
Keine pauschale Reduzierung
Doch jene, die darauf spekulieren, dass sämtliche Artikel bei Westfalia nun verramscht werden, irren. Das Geschäft präsentiert sich noch immer gut sortiert und aufgeräumt, „Rudis Resterampe“ sieht anders aus. „Detailbereiche sind mittlerweile ausgedünnt“, räumt Geschäftsführer Martin Sterl ein, „günstige ,Bonbons‘ wie Autopflegeprodukte oder Arbeitsschuhe in gängigen Größen sind ausverkauft, „aber wir haben nicht pauschal alles radikal reduziert, sondern bieten besondere Angebote an“, unterstreicht Martin Sterl.
Hobelmaschine funktioniert noch immer
„Ich brauche einen elektrischen Blechknabber. Habt ihr den noch?“, fragt Bernd Hüne und schaut sich suchend im Laden um. „Nein, den haben wir leider nicht mehr“, räumt Martin Sterl ein. Dann kommen die beiden – man möchte fast sagen „alte Bekannte“ - ins Plaudern. „Seit fünf Jahrzehnten bin ich bei euch Stammkunde. Dass es euren Laden bald nicht mehr gibt, ist einfach nur traurig“, sagt Bernd Hüne. Er sei immer gern in den gut sortierten Fachmarkt in Altenhagen gekommen, „ich hab‘ hier vor 50 Jahren eine Hobelmaschine von Scheppach gekauft, und die funktioniert heute immer noch“.
Einige Kunden, die einen handgeschriebenen Zettel in der Hand haben, stöbern durchs Geschäft. Wohl eine Art Wunschliste, wenn denn die entsprechenden Artikel im Preis schon ordentlich reduziert sind.
Im Oktober Insolvenz angemeldet
Im Oktober 2023 wurde für Westfalia - im Fachmarkt waren zu dem Zeitpunkt ca. 20 Mitarbeiter beschäftigt, im Logistikzentrum an der Bandstahlstraße 140, in der Verwaltung 80 und in der Qualitätssicherung 10 - Insolvenz angemeldet.
Geschäftsführer Markus Weber begründete die Insolvenz u.a. mit der zunehmenden Kaufzurückhaltung und den stetig steigenden Lebenshaltungskosten.
Für die Monate Oktober, November und Dezember hatten die Westfalia-Mitarbeiter Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Nach Informationen unserer Zeitung wurden die Januar-Gehälter und werden die Februar- und März-Gehälter aus der Insolvenzmasse, die der Insolvenzverwalter geschaffen hat, bezahlt.
„Kurz vor Ostern ist hier Schluss. Allen Mitarbeitern wurde zum 31. März die Kündigung ausgesprochen. Aber ich gehe davon aus, dass hier ein paar Tage vor Ostersamstag, also vor dem 31. März, schon die Türen schließen“, sagt Martin Sterl. Dann schüttelt der 62-Jährige deprimiert den Kopf: „Das ist schon ein komisches Gefühl. Am 1. April wäre ich genau 20 Jahre im Fachmarkt beschäftigt gewesen.“
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Stammkunden und langjährige Mitarbeiter sind enttäuscht
Immer wieder werden die Mitarbeiter im Verkauf von den Kunden - größtenteils Stammkunden in gesetzterem Alter - auf die Pleite des Unternehmens und die Aufgabe des Ladens angesprochen. Ein Mitarbeiter an der Information nimmt kein Blatt vor den Mund: „Pünktlich zu Ostern werden wir ans Kreuz genagelt.“ Die Kunden, die dem langjährigen Mitarbeiter gelauscht haben, nicken traurig, trotten zur Kasse, bezahlen, und müssen sich künftig wohl einen anderen Laden, in dem fachliche Beratung und persönlicher Service groß geschrieben werden, suchen. Die Suche wird nicht leicht.