Hagen.. Hagen hat eine turbulente Mai-Kundgebung erlebt: Gekündigte Mitarbeiter des Automobilzulieferers TWB skandierten Parolen gegen die IG Metall.


Ab der dritten Strophe siegte das Traditionslied. Da verstummten die Protestrufe à la „Rederecht für TWB“ und „Mütze raus“ und das „Steigerlied“ war zu hören. Bei den ersten Strophen musste der eigens aus Bochum nach Hagen gereiste Knappenchor, bestehend aus ehemaligen Bergarbeiter-Kumpeln, noch gegen die rund 50, zum großen Teil gekündigten Mitarbeiter des Hagener Automobilzulieferers TWB ansingen.



Und der Unmut auf dem Platz bei den restlichen Besuchern über die Protestierer bei der traditionellen Kundgebung zum „Tag der Arbeit“ war zu hören. Statistisch ist es nicht zu erfassen, wie die Mehrheitsverhältnisse auf dem Platz verteilt waren, dem Geräuschpegel und dem Applaus nach zu beurteilen, schien die Lage aber so zu sein: Die TWB-Mitarbeiter waren eine lautstarke Minderheit, die große Mehrheit bei der Kundgebung stand aber hinter den Gewerkschaften. Und am Ende kamen die TWB-Mitarbeiter doch auf der Bühne zu Wort. Doch dazu später mehr.

Rund 300 Arbeitsplätze gehen bei TWB verloren

Europa sollte eigentlich im Mittelpunkt der Mai-Kundgebung stehen. Und entsprechend stolz war der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auch im Vorfeld, mit Michael Vassiliadis den Vorsitzenden der Gewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie (IG BCE) nach Hagen geholt zu haben. Doch dominiert wurden sowohl der Demonstrationszug als auch die Kundgebung von der TWB-Problematik.



Die Vorgeschichte: Rund 280 Mitarbeiter des Automobilzulieferers hatten ihre Kündigungen erhalten, nachdem die Mutterfirma Prevent den Machtkampf mit dem Volkswagen-Konzern verloren hatte und der Auto-Riese VW sämtliche Aufträge an TWB gekündigt hatte. Schon vor den Kündigungen waren Mitarbeiter gegangen, unterm Strich gehen also mehr als 300 Arbeitsplätze verloren. Ein Teil der Belegschaft und die Mehrheitsfraktion im Betriebsrat kritisiert dabei die Rolle der IG Metall.

Die habe die Belegschaft nicht genug unterstützt. Die Transfergesellschaft, in die betroffene Beschäftigte wechseln können, wird als nicht ausreichend gewertet, Abfindungszahlungen seien nicht erreicht worden. Die IG Metall unter ihrem Chef Jens Mütze hatte immer wieder gekontert, dass die Betriebsratsmehrheit ihr gar kein Mandat für die Verhandlungen gegeben habe und stattdessen einen eigenen Rechtsberater engagiert habe. Trotzdem habe die IG Metall so gut wie möglich Unterstützung geliefert und man habe unter den gegebenen Umstände noch das Beste erreicht.

MLPD-Vertreter skandieren Parolen beim Demo-Zug

Die Spitze des Demozugs mit Superintendentin Verena Schmidt, DGB-Chef Stefan Marx, IG BCE-Chef Michael Vassiliadis und Gisela Mielke (IG Metall). IG-Metall-Chef Jens Mütze war diesmal nicht vorne mit dabei.  
Die Spitze des Demozugs mit Superintendentin Verena Schmidt, DGB-Chef Stefan Marx, IG BCE-Chef Michael Vassiliadis und Gisela Mielke (IG Metall). IG-Metall-Chef Jens Mütze war diesmal nicht vorne mit dabei.   © Unbekannt | Michael Kleinrensing / WP

Seit Monaten schwelt dieser Konflikt. Und als vor einigen Wochen deutlich wurde, dass der gegen die IG Metall opponierende Teil der Belegschaft auch kein Rederecht bei der Maikundgebung erhalte würde, war klar: Am 1. Mai würde es zu Konflikten kommen. Und so kam es zu den ungewohnte Szenen: Vor der Bühne im Volkspark mussten zeitweise Polizeikräfte und Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes aufziehen, um die TWB-Mitarbeiter vom Sturm auf die Bühne abzuhalten.




Schon beim nach Polizeiangaben rund 400 Teilnehmer starken Demonstrationszug, der nach dem Gottesdienst in der Johanniskirche startete und durch die Innenstadt bis zum Volkspark führte, protestierten die TWB-Mitarbeiter. Und zwar umringt von Vertretern der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD), deren Vertreter auch die Wortführer an der eigens mitgeführten Lautsprecheranlage waren.

Trillerpfeifen bei der Kundgebung

Ähnlich ging es dann bei der eigentlichen Kundgebung am Volkspark weiter, die nach Polizeiangaben in der Spitze 2500 Teilnehmer hatte. Die TWB-Mitarbeiter positionierten sich rechts neben der Konzertmuschel, von wo aus die Redner sprachen, und skandierten immer wieder ihre Parolen und pfiffen auf ihren Trillerpfeifen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete René Röspel suchte das Gespräch mit den Protestierern – vergebens.



DGB-Chef Stefan Marx ging in seiner Ansprache direkt auf die TWB-Mitarbeiter ein. Sie seien das Opfer eines Machtkampfes zwischen VW und Prevent, der auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen worden sei. „Die Lösung ist aber nicht ‘Mütze raus’“, so der DGB-Chef. „Hier wird gerade die Arbeitnehmerschaft gespalten.“ Stattdessen sei die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der Weg.

Prominenter Hauptredner muss sich durchsetzen

Und auch der prominente Hauptredner Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, musste erst einige Minuten gegen die Geräuschkulisse der TWB-Mitarbeiter anreden, unter anderem als er die einzelnen Gewerkschaften begrüßte. Aber er schaffte es, mit seiner geschulten, dröhnende Gewerkschafter-Stimme: „Ich kann nicht verstehen, wie man pfeifen kann, wenn die Gewerkschaftskollegen begrüßt werden.“ Erst dann fand er Gehör für seine eigentlichen Botschaften (siehe Infobox).

TWB-Vertreter darf doch noch reden

Rap-Musik und eine Rede von jungen Gewerkschaftern folgten – und dann durften die TWB-Mitarbeiter doch plötzlich reden. Eine spontane Entscheidung der DGB-Gremien, die das Ergebnis von Verhandlungen am Rand der Kundgebung war. Betriebsratsmitglied Esat Kösemihaloglu schilderte knapp fünf Minuten lang die schwierige Situation der TWB-Mitglieder: „Wir können die Kündigungen nicht verhindern, aber wir lassen uns unsere Würde nicht nehmen.“

Aber wieder gab es auch Angriffe gegen die IG-Metall und ihren Vorsitzenden: Jens Mütze, dessen Rücktritt er forderte, habe den Betriebsrat zu lange hingehalten, ihm vorgeworfen, er agiere zu emotional. „Unsere Lehre, die wir daraus gezogen haben: Wir hätten früher streiken sollen, als die Produktion noch voll lief“, so Kösemihaloglu. „Dann hätten die Bänder bei VW still gestanden.“

DGB-Chef: „Wollten deeskalieren“

DGB-Chef Stefan Marx. 
DGB-Chef Stefan Marx.  © Unbekannt | Michael Kleinrensing / WP

DGB-Chef Stefan Marx erklärt im WP-Gespräch den Schritt: „Wir wollten deeskalieren, deshalb habe ich nach Rücksprache mit meinen Gremien das Rederecht gewährt.“ Das, so Marx, hätte auch schon im Vorfeld erreicht werden können: „Wenn die TWB-Mitarbeiter auf meine Mail reagiert hätten.“




Dass in dem Redebeitrag erneut Jens Mütze persönlich angegriffen worden sei, kritisiert Marx zwar, am Ende sei es aber die richtige Entscheidung gewesen, den Vertreter reden zu lassen: „Es gab ja noch einen Beitrag von Kindern. Wir wollten nicht, dass die auch noch ausgepfiffen werden, wie der Bergmanns-Chor, das war beschämend.“

Betriebsratchef: Haben nichts mit MLPD zu tun

TWB-Betriebsratschef Orhan Aksu zeigte sich letztlich zufrieden: „Wir haben unser Ziel erreicht, reden zu dürfen und unsere Kritik loszuwerden.“ Dass der Protest der TWB-Mitglieder von der Marxistisch-Leninistischen-Partei (MLPD), einer linken Splitterpartei, vereinnahmt wurde, weist Orhan Aksu zurück: „Wir haben mit der MLPD nichts zu tun. Die haben sich selbst die Bühne gesucht. Aber daran hindern, an der Demo teilzunehmen, können wir sie ja nicht.“

Von der Politik vereinnahmen lasse man sich nicht. Er selbst, so Orhan Aksu, nehme daher auch nicht mehr an den Demonstrationen, die eng mit den seit Jahre stattfindenden Montagsdemonstrationen verbinden sind, teil. Sein Betriebsrats-Kollege Esat Kösemihaloglu hatte die Montags-Demonstrationen - auch hier sind MLPD-Aktivisten beteiligt - dagegen ausdrücklich gelobt.

MLPD bestreitet Vorwurf der Unterwanderung

Aus Gewerkschaftskreisen ist indes der Vorwurf zu hören, die MLPD habe den berechtigten TWB-Protest unterwandert und stachele die Belegschaft auf. Eine Vorwurf, den Reinhard Funk, MLPD-Mitglied aus Hohenlimburg, zurückweist: „Wir haben den Kampf nicht unterwandert, wir haben ihn unterstützt. Aber die Entscheidungen hat die TWB-Belegschaft selbst getroffen.“



Die Mikrofonanlage, die im Demo-Zug mitgeführt wurde, stamme tatsächlich von der MLPD. „Aber es war ein offenes Mikrofon, das hätte jeder nutzen können – außer Faschos“, so Funk. Es werde auch bei den Montagsdemonstrationen eingesetzt - aber auch die sei keine MLPD-Veranstaltung, auch wenn er sie als Mitglied unterstütze.

IG-Metall-Chef verlässt Kundgebung vorzeitig

Die vielfach angegriffene IG-Metall-Chef Jens Mütze war nur kurz bei der Mai-Kundgebung. Er hatte sich diesmal nicht in die erste Reihe des Demonstrationszuges eingereiht. Er lief mit der Gewerkschafts-Fahne ein bisschen weiter hinten in der IG-Metall-Abteilung mit. Kurz nach Beginn der Kundgebung verließ er den Platz. Auch das war vorher abgesprochen worden, Mütze wollte so zur Deeskalation beitragen. Eine Anfrage, wie er die Situation empfunden hat, ließ er bislang unbeantwortet.

So reagieren IG-Metall-Mitglieder

Rund 2500 Teilnehmer gab es in der Spitze bei der Kundgebung im Volkspark.  
Rund 2500 Teilnehmer gab es in der Spitze bei der Kundgebung im Volkspark.   © Unbekannt | Michael Kleinrensing / WP

Bei IG-Metall-Mitgliedern kam die Aktion der TWB-Belegschaft unterschiedlich an. So äußerte Gudrun Sommer, die mit dem IG-Metall-Button an der Jacke die Kundgebung verfolgte, Verständnis: „Ich kann die Kollegen verstehen. Sie haben ihre Arbeitsplätze verloren. Warum lässt man sie dann hier nicht reden?“ Und ihr Mann Olaf sekundiert: „Hier ist viel über Europa gesprochen worden. Das ist schön und gut, aber man hätte doch erst einmal über die Probleme bei TWB hier vor Ort reden sollen.“




Ganz anders die Position von Bernd Wunner, langjähriges IG-Metall-Mitglied und Betriebsrat bei CD Wälzholz: „Ich habe Verständnis dafür , dass die Kollegen hier protestieren. Auch Kritik an der Gewerkschaft ist in o.k.. Das aber nur an Jens Mütze festzumachen, ist überhaupt nicht in Ordnung.“ Die jetzige Situation bei TWB sei auch durch das eigene Verhalten des Betriebsrats entstanden. „Statt hier Parolen zu skandieren, sollten sie lieber wieder das Gespräch mit der IG Metall suchen. Reden hilft immer.“

Ähnlich auch Mitarbeiter der DEMAG in Wetter. „Wir unterstützen zu 100 Prozent Jens Mütze und die IG Metall“, so Ivonne Eisenblätter, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende ist. „Wir hatten vor zwei Jahren die Situation, dass viele Arbeitsplätze bei uns auf dem Spiel standen. Wir haben alle Unterstützung von der Gewerkschaft und auch von Jens Mütze erhalten. Wir haben damals hier am 1. Mai auch protestiert – aber mit den Gewerkschaften“. Und ihr Kollege Toni Fernandez sagt: „Das Verhalten der TWB-Mitarbeiter war respektlos und unkollegial, so etwas geht gar nicht.“