Schwelm. Der bekannte Lokalpolitiker verlässt den Beirat für Menschen mit Behinderungen. Was sich in Schwelm gebessert hat und wo er noch Probleme sieht.
„Lassen Sie uns eine Stimme für die behinderten Menschen sein – geben wir ihnen eine Stimme.“ Es sind nicht nur Worte, die Rolf Steuernagel am 14. Oktober bei seiner offiziellen Verabschiedung aus dem Beirat für Menschen mit Behinderungen an das Gremium richtete. Es ist auch sein Wunsch für die Zukunft und gleichzeitig genau das, was ihn seit der Gründung 2011 stets angetrieben hat. Der Beirat war nur einer von vielen Bereichen, in denen sich der Schwelmer engagiert hat. Seit Jahrzehnten prägt er die Kommunalpolitik und das soziale Leben der Stadt mit. Mit Blick auf sein eigenes Alter plant der 80-Jährige langsam etwas kürzerzutreten und legte daher nun schweren Herzens sein Amt als ordentliches Mitglied im Beirat nieder.
Vom Sportmensch zum Sozialmensch
„Früher war das Soziale gar nicht meine Welt“, gibt Rolf Steuernagel offen zu. Als junger Mann war es vor allem der Sport, für den er brannte. „Ich habe immer viel Sport gemacht“, erinnert er sich. In den 1960er Jahren gründete er den Schwelmer Tauchsport-Club mit und war in weiteren Vereinen aktiv. Seit 1966 oder 1967 ist er Mitglied der CDU – es ist so lange her, er ist sich selbst nicht ganz sicher. Im September 1973 fand er sich dann als sachkundiger Bürger im Sportausschuss der Stadt wieder. Zwei Jahre später folgte das erste Direktmandat in den Rat. „Man wurde älter und reifer“, beschreibt er den langen Prozess vom Sport hin zum Sozialen. Aus anderen Sportvereinen trat er irgendwann aus, bleibt bis heute aber seinem Ski-Club treu.
„Wenn ich einen Job annehme, dann mache ich ihn auch richtig.“
Vor 20 Jahren trat er zusammen mit seiner Frau in den Sozialverband Deutschland (SoVD) ein, übernahm wenige Jahre später den Vorstand. „Wir waren ein sehr aktiver Verein hier in Schwelm“, erzählt Rolf Steuernagel rückblickend. Er brachte sich auch im Landesverband ein, ist heute noch im sozialpolitischen Ausschuss tätig. Mit Blick auf den Ortsverband Schwelm sagt er: „Man findet immer weniger Leute, die sich für diese Arbeit engagieren. Und es ist Arbeit.“ Auch für ihn war es nicht immer leicht, seine berufliche und sozialpolitische Laufbahn unter einen Hut zu bekommen.
Nach einer Lehre zum Kaufmannsgehilfen bei der Schwelmer Firma Rondo, machte er seinen Betriebswirt, arbeitete im Einkauf und Rechnungswesen bei Firmen in Wuppertal und Hagen-Haspe, bevor er schließlich nach erfolgreicher Karriere bei der Tepass Autohaus Gruppe 2008 in den wohlverdienten Ruhestand ging. „Die Politik lief nebenberuflich. Der Job ging immer vor.“ Dennoch galt damals wie heute: „Wenn ich einen Job annehme, dann mache ich ihn auch richtig.“
Gründung des Beirats für Menschen mit Behinderungen
Einer dieser vielen Jobs ergab sich 2011, als Rolf Steuernagel an der Gründung des Beirats für Menschen mit Behinderungen beteiligt war. Ein ausschlaggebender Faktor war, dass Deutschland 2009 der UN-Behindertenrechtskonvention, die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als ein grundlegendes Menschenrecht hervorhebt, beigetreten ist. Seitdem war ein möglicher Beirat bei Rolf Steuernagel und vielen anderen im Sozialverband ständig im Hinterkopf. „Dann ist die Idee auch in der Politik gereift.“ Offiziell war es ein Antrag der SPD, der letztendlich zur Gründung führte. Das war nur sinnvoll, so Steuernagel, da die SPD damals die stärkste Fraktion war und auch den Bürgermeister stellte. Widerspruch gab es von seiner Partei nicht. Im Gegenteil: „Müssen wir machen, tun wir, wollen wir.“
Die Politik wollte man aus dem Beirat heraushalten und so fand sich auch Rolf Steuernagel dort nicht als CDU-Mitglied wieder, sondern als Vertreter des SoVD. „Man wurde selbst älter und merkte, es ist notwendig, so etwas in Schwelm zu installieren. Denn schon damals gab es hier im Verhältnis eine sehr alte Einwohnerschaft.“ Es gehe schließlich nicht nur um Menschen mit angeborener Behinderung, sondern grundsätzlich um alle, die mit Einschränkungen im Alltag zu kämpfen haben. Oft sind das ältere Mitmenschen, kann aber auch die Familie mit Kinderwagen betreffen. Schnell war klar: Für all diese Menschen gab es „unheimlich viele Baustellen“ in Schwelm.
Viele Baustellen in Schwelm
Die erste „Baustelle“, die in Angriff genommen wurde: „Abgesenkte Bordsteinkanten waren ein Riesenthema in Schwelm.“ Zum Beispiel am Seniorenzentrum im Feierabendhaus an der Döinghauser Straße. „Da gab es einen Überweg, den die Bewohner des Hauses so gut wie gar nicht nutzen konnten, weil da so eine hohe Bordsteinkante war“, erzählt Rolf Steuernagel. Es seien oft Kleinigkeiten, die für Menschen mit einer Behinderung zu einer großen Hürde werden können. Schnell wurde ein weiterer Mangel deutlich: Es gab zu wenig Sitzmöglichkeiten für Menschen, die nicht weit laufen können und zwischendurch eine Pause brauchen. Neu aufgestellte Bänke in der Stadt sollten Abhilfe schaffen.
Persönliches Highlight war für Rolf Steuernagel das halbe Jahr, in dem er in der Stadtverwaltung als Vertretung des Beirates die städtischen Baumaßnahmen begleitet hat und besonders die Barrierefreiheit unter die Lupe nahm. „Das war eine herausfordernde Aufgabe, die ich mithilfe der Verwaltung gut lösen konnte.“ Das Einiges von seiner Planung nicht umgesetzt wurde, sei wiederum ein anderes Thema. Auch hier sind es oft die Kleinigkeiten, auf die es ankomme: ein Schalter oder ein Fenstergriff auf der richtigen Höhe. Vieles bekomme man erst mit, wenn man Menschen mit Behinderungen aktiv in den Prozess miteinbinde.
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Besonders seit seiner Hüftoperation im vergangenen Jahr weiß Rolf Steuernagel nur zugut, dass auch die Schwelmer Innenstadt für viele Menschen ein Ärgernis bedeuten kann: „So toll die Fußgängerzone auch ist – das mit der Pflasterung ist ein Problem.“ Eines, das weiterhin besteht. Der Beirat setzt sich schon seit längerem dafür ein, dass es einen glatt asphaltierten Streifen gibt. Ein wichtiger Teil der Arbeit sei es, auch bei Rückschlägen immer wieder auf die Probleme aufmerksam zu machen und dranzubleiben.
Generell sei die Situation für Menschen mit Behinderungen in Schwelm seit der Gründung des Beirates deutlich besser geworden. Viel zu tun gibt es aber immer: „Es ist ein Riesenfeld.“ Alleine schon, weil es so viele unterschiedliche Behinderungen gibt. Man könne es wohl nie zu 100 Prozent erreichen, dass alle Probleme gelöst werden. Es sei aber wichtig, dass man immer danach strebe. „Und das wird der Beirat weiterhin tun“, ist sich Rolf Steuernagel sicher. In Zukunft auch ohne ihn.