Hagen. Durch einen Behandlungsfehler bei der Geburt wurde das Leben von Lara Zinkann zerstört. Seitdem kämpfen ihre Eltern um Geld, das ihnen zusteht.

2013 kam Lara Viktoria Zinkann im Evangelischen Krankenhaus Hagen-Haspe mit einem schweren Hirnschaden zur Welt. Sie wird für immer ein Pflegefall bleiben (Pflegstufe 5). Ihre Eltern, Tanja und Thorsten Zinkann aus Ennepetal, kämpfen seitdem um Geld, das ihnen zusteht. Die Zinkanns möchten einen Schlussstrich ziehen und keinen Kontakt mehr zu jener Versicherung haben, die für sie symbolisch für die Täter steht. Es geht deshalb um das Geld für das gesamte Leben ihrer Tochter. Ein hoher Millionenbetrag.

Eine Ärztin am „Mops“ hatte der damals schwangeren Tanja Zinkann ein Präparat verordnet, das bei der Frau einen allergischen Schock auslöste. Tanja Zinkann war seinerzeit an einen Tropf mit „Gelafundin“-Lösung angeschlossen worden. Damit sollte bei der schwangeren Frau die Fruchtwasserproduktion angeregt werden. Kaum war das Medikament injiziert, lief Tanja Zinkann krebsrot an, alles brannte, die Luft blieb ihr weg. Sie erlitt eine allergische Schockreaktion. Sie musste reanimiert werden. Zu diesem Zeitpunkt ging es um Leben und Tod von Mutter und Kind.

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Währenddessen war die Sauerstoffzufuhr zum Kind im Mutterleib unterbrochen. Die Notgeburt musste eingeleitet werden. Lara Viktoria kam mit schwerem Hirnschaden zur Welt und wird immer ein Pflegefall (Stufe 5) bleiben. „Wir sind bei Tag eins“, sagt eine sichtlich erschöpfte Tanja Zinkann heute. „Die Situation ist die gleiche. Wir sind 24 Stunden damit beschäftigt, Lara zu versorgen. Wir können nicht mehr und bis heute fließt bei uns kein Geld für alle Schäden und notwendigen Dinge, die seit der Geburt und bis zu Laras Tod anfallen werden. Auch nicht für die Pflege. Wir haben das Gefühl, die Versicherung wartet einfach nur auf den Tod“. Dabei hat die schwerbehinderte Lara eine ganz normale Lebenserwartung.

Natürlich steht Lara im Mittelpunkt dieses Dramas. Doch während der verhängnisvolle Arztfehler Lara ein normales Leben für immer verbaut hat, ist auch das des Ehepaars Zinkann, so beschreiben sie es selbst, für immer zerstört. Beide hatten sich ein Leben aufgebaut, das sie sich immer gewünscht hatten. Er war Vertriebsdirektor, sie Förderungsmanagerin. Monetär mangelte es an überhaupt nichts und man war in der Lage, sich vieles leisten zu können. Kinder sollten das perfekte Glück abrunden. Heute sind die Zinkanns psychisch am Ende. Beide sind durch die Belastung nicht mehr arbeitsfähig. Und überdies schwebt über ihnen immer der grauenvolle Gedanke, dass ihre Tochter sie überleben wird. Und dann?

„Der Pflegeplatz für Lara würde allein 8000 Euro im Monat kosten“, sagen die Zinkanns. Ihr Haus mussten sie umbauen. Hinzukommt, dass die Zinkanns manchmal tagelang damit beschäftigt sind, mit Krankenkassen oder Versicherungen zu kommunizieren. „Wir wollen diesen Täterkontakt nicht mehr“, beschreiben sie den Umgang mit der Versicherungskammer Bayern, die die Schäden für das Evangelische Krankenhaus Haspe eigentlich regulieren soll, als schwer belastend. Ein Schmerzensgeld von 600.000 Euro war seinerzeit überwiesen worden. Die immateriellen Schäden, die durch den Arztfehler bis heute entstehen, würden aber nicht bezahlt, obwohl das Gericht dies so geurteilt habe.

Die Leitende Oberärztin, der der Fehler geschehen war, wurde 2018 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 12.800 Euro verurteilt. Die Verurteilung, die in zweiter Instanz sogar reduziert worden war, lag knapp unterhalb der Vorstrafengrenze und wurde darum nicht ins Führungszeugnis der Klinikärztin eingetragen. Tanja Zinkann hatte angesichts der in ihren Augen zu großen Milde des Gerichts damals im Gerichtssaal bei der Verkündung geweint.

Kein Einzelfall in dem Krankenhaus

Der Fall von Lara Zinkann ist im Ev. Krankenhaus Haspe, dessen Geburtststation 2018 geschlossen wurde, kein Einzelfall gewesen. Die heute zehnjährige Emma Karnath kam dort im selben Jahr wie Lara zur Welt. Aufgrund mehrerer medizinischer Behandlungsfehler bei ihrer Geburt ist sie für immer schwer behindert und ohne Hilfe nicht lebensfähig.

Auch die Familie Karnath beklagt, dass aus ihrer Sicht die Versicherung der Klinik, die Versicherungskammer Bayern, nicht für den Mehrbedarf zahle, der für das gesamte Leben von Emma anfällt und den das Landgericht Hagen per Urteil zugesichert hat. Das Gericht habe klar feststellte, dass die Gesamtschuldner - ein Arzt, eine Ärztin und eine Hebamme - „sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die infolge der fehlerhaften Behandlung entstanden sind“ ersetzen müssen.

Doch bis heute werde kein Geld gezahlt, so die Karnaths. Noch dazu, so behaupten sie, sei die Versicherung der Klinik nur bereit, für neun Stunden Pflegemehraufwand zu zahlen. „Wir sind aber bei 24 Stunden“, sagt Emmas Mutter Julia Karnath. Alle weiteren Kosten, die entstehen, hätte die Versicherung ebenfalls nicht abgegolten. Die Karnaths wollen nun Schadenersatzklage erheben.

Die Zinkanns wollen ein Ende der Kommunikation mit der Versicherung. „Wir wollen von denen, die uns seit elf Jahren hängen und mit ihrer Verschleppungstaktik bluten lassen, nichts mehr zu tun haben“, sagen die Zinkanns. Deswegen geht es in einer Schadensersatzklage um eine Abgeltung der langfristigen Folgen für das gesamte Leben. Ein - Stand heute - geschätzter hoher Millionenbetrag.

Die Versicherungskammer Bayern meldete auf Anfrage der Redaktion zurück, dass sie das tragische Schicksal von Lara sehr bedauere und dass man wisse, dass die „emotionale und oftmals auch finanzielle Belastung der betroffenen Familien immens ist“. Da bei einigen Positionen die Bewertungen zu einer angemessenen Schadensersatzleistung deutlich auseinander liegen würden, seien Prozesse anhängig. „Wir haben uns intensiv um eine gütliche Einigung bemüht, waren bislang damit aber nicht erfolgreich, sodass diese wiederum gerichtlich mit entsprechend bestellten Sachverständigen herbeigeführt werden wird.“ In dem Verfahren hätten gerichtliche Vergleichsvorschläge vorgelegen, „denen wir zugestimmt hätten, welche aber von den Familien abgelehnt wurden.“

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Man sei interessiert, eine möglichst zeitnahe Klärung zu erwirken, damit sich die Familien nicht auch noch mit diesem Thema länger befassen müssten, doch könne man zulasten der Solidargemeinschaft aller Versicherten nicht „ungerechtfertigte Leistungen bezahlen, die das notwendige Maß überschreiten“. Das evangelische Krankenhaus in Haspe erklärt überdies, dass man dort berührt sei durch das Schicksal von Lara Zinkann. „Selbstverständlich wünschen wir uns, dass es zu einer zügigen und angemessenen Schadensersatzleistung kommt“, so Klinik-Sprecher Thomas Urban.