Schwelm. Schweren Herzens entschied sich die Schwelmer Nachbarschaft in diesem Jahr zu einem radikalen Schritt. Das sind die Gründe.

Die Nachbarschaft Ossenkamp musste in diesem Sommer eine schwere Entscheidung treffen. Weil der Verein zu wenig aktive Mitglieder hat, kann die Nachbarschaft beim diesjährigen Schwelmer Heimatfest nicht mit einem normalen Beitrag – also bestehend aus Festwagen, Fußgruppe und Einzelgänger – teilnehmen. „Wir werden stattdessen mit einer Notlösung dabei sein“, kündigt Herbert Buchenauer, zweiter Vorsitzender der Ossenkämper, an.

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Seit 40 Jahren ist Buchenauer in der Nachbarschaft Ossenkamp aktiv, schon seine Eltern brachten sich im Verein ein. Doch eine so schwierige Lage hat der 73-Jährige bisher nicht erlebt. Waren es zu Hochzeiten noch circa 20 Menschen, die am Heimatfestwagen der Ossenkämper mitgebaut und circa 70 Personen, die beim Umzug mitgewirkt haben, sind es heute einfach zu wenig Aktive. Zu viel Arbeit für zu wenige Schultern. „Wir haben ein großes Nachwuchsproblem. Der größte Teil der Aktiven ist im Rentenalter und zum großen Teil schon über 70. Das ist das Hauptproblem.“ Der Nachbarschaft fehlen jüngere Mitglieder, die fit genug sind, um beim Heimatfest als Fußgruppe oder Einzelgänger mitzuwirken. „Aber insbesondere fehlen Techniker und Handwerker, die beim Bau beim Heimatfestzuges mitmachen.“

Im vergangenen Jahr sei es auch schon schwierig gewesen. „Und jetzt sind von sechs oder sieben qualifizierten Wagenbauern nur noch zwei da und wir sind nicht mehr in der Lage, eine Fußgruppe zusammenzustellen. Die Planung ist nun, dass wir mit einem alten VW Käfer als Einführungswagen teilnehmen und damit einen Notbeitrag stellen. Wir wollen uns ja auch nicht blamieren“, sagt Buchenauer.

Dass die Nachbarschaft damit außerhalb der Wertung teilnimmt und auf ein eventuelles Preisgeld verzichtet, nimmt der Verein in Kauf. „Wenn wir mit aller Gewalt versuchen, einen Beitrag zu stemmen, der unseren eigenen Ansprüchen nicht genügt, nur um platt gesagt Geld zu bekommen – das ist nicht unser Anspruch“, macht Buchenauer deutlich.

Werben um Mitglieder: kaum Resonanz

Noch bevor es an den Bau des diesjährigen geplanten Wagens ging, musste die Nachbarschaft Ossenkamp feststellen, dass es dieses Jahr nicht reichen wird. „Wir standen relativ hilflos davor und konnten gar nicht erst richtig loslegen.“ Finanziell sei es kein Problem, die nötige Manpower fehle schlichtweg. „Die personellen Probleme haben wir seit Jahren schon befürchtet und haben auf verschiedene Weise versucht, Mitglieder zu werben. Die Resonanz war so gut wie null.“ Derzeit habe die Nachbarschaft circa 70 Mitglieder, davon zwei, die unter 40 sind. „Aber das zieht den Hering nicht vom Teller.“

Das Problem sei, dass sich die Menschen, die heute ehrenamtlich engagiert seien, häufig bei mehreren Dingen gleichzeitig einbringen würden. „Andere schaffen es altersmäßig oder wegen des Berufs nicht mehr, oder wollen ihren Freizeitstress minimieren.“ Das hatte zuletzt auch einen Wechsel im Vorstand der Nachbarschaft Ossenkamp zur Folge, weil sich Mitglieder nun in anderen Nachbarschaften oder bei anderen Aktivitäten engagieren.

In diesem Jahr kann die Nachbarschaft Ossenkamp nur mit einem Notbeitrag am Heimatfestumzug teilnehmen. Keine leichte Entscheidung.
In diesem Jahr kann die Nachbarschaft Ossenkamp nur mit einem Notbeitrag am Heimatfestumzug teilnehmen. Keine leichte Entscheidung. © Alisa Schumann | Alisa Schumann

Der Nachbarschaft sei die Entscheidung, in diesem Jahr keinen regulären Festbeitrag umzusetzen, sehr schwergefallen. „So eine schwerwiegende Entscheidung trifft der Vorstand nicht allein, da haben wir eine Vereinsversammlung durchgeführt. Wir hoffen, dass noch ein Wunder geschieht und wir neue Mitglieder hinzugewinnen können.“

Herbert Buchenauer selbst ist „alter Ossenkämper“, kommt aus der Jesinghauser Straße. „In meiner Kindheit gab es noch einen nachbarschaftlichen Zusammenhalt und man hatte so ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das führte dann auch zu gemeinschaftlichen Aktionen. Ich würde sagen, dass 80 Prozent der Nachbarschaftsmitglieder damals im Ossenkamp gewohnt haben.“ Das sei heute nicht mehr Fall. „Einige sind weggezogen, andere verstorben. Und die Kinder haben entweder kein Interesse am Nachbarschaftsleben oder sind auch weggezogen. Die Weitergabe von Generation zu Generation hat bis auf wenige Einzelfälle nicht stattgefunden.“ Der 73-Jährige sieht es auch an seiner eigenen Familie: Die beiden Töchter von Buchenauer leben nicht mehr in Schwelm und sein Sohn wiederum engagiert sich heute in der Nachbarschaft Oberstadt, weil er in den Bezirk gezogen ist.

Nachbarschaftliche Zusammenhalt fehlt

Natürlich seien auch neue Menschen an den Ossenkamp gezogen, aber dieses Gefühl, Teil einer Nachbarschaft zu sein, sei heute nicht mehr so gegeben, wie früher. „Der nachbarschaftliche Zusammenhalt fehlt heute vielleicht“, vermutet Buchenauer. Der Nachbarschaft Ossenkamp sei es nicht gelungen, Neuzugezogene für die Arbeit des Vereins zu gewinnen. „Ich glaube, dass sich auch generell das Freizeitverhalten verändert hat. Man sieht ja in sehr vielen Bereichen in Vereinen oder Organisationen, dass der Nachwuchs fehlt.“

Das Mitarbeiten an einem so großen Projekt wie dem Heimatfest war für Herbert Buchenauer immer etwas Besonderes. „Das ist für mich ein Erlebnis. Das Gefühl, vor Tausenden von Zuschauern zu agieren, ist sehr besonders.“ Natürlich sei vor dem großen Festumzug jede Menge Arbeit zu erledigen. Ungefähr drei Monate dauere es, einen Wagen für den Umzug fertigzustellen. „Wir bauen normalerweise in dieser Zeit an zwei Abenden in der Woche und jeden Samstag bis in den Nachmittag hinein.“

Darüber hinaus nimmt die Nachbarschaft an den beiden Schwelmer Trödelmärkten teil, an denen sie Verpflegungsstände unterhalten, um Einnahmen zu generieren. „Früher haben wir auch noch Sommerfeste organisiert. Doch das hat sich vom Aufwand und Nutzen her nicht mehr gelohnt“, sagt Buchenauer. „Aber das ist schon ein Problem, weil die Sommerfeste auch das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt haben.“ Mit dem jetzigen Personal könne die Nachbarschaft die Feste jedoch nicht wiederaufleben lassen. „Man kann nichts erzwingen. Und der Schwerpunkt war bei uns immer, dass es Spaß machen sollte.“

Wer sich bei der Nachbarschaft Ossenkamp engagieren möchte, kann per E-Mail an info@nachbarschaft-ossenkamp.de Kontakt aufnehmen.

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