Gevelsberg/Sizilien. Während die Rechten in Deutschland und Italien Rekordergebnisse erzielen, zeigen zwei Kleinstädte, was europäische Freundschaft bedeutet.

Während in Deutschland und Italien die Rechten mit Fremdenhass und einer Politik, die Menschen gegeneinander aufhetzt, hohe Ergebnisse bei der Europawahl eingefahren haben, zeigen sich zwei Kleinstädte davon unbeeindruckt. Butera und Gevelsberg leben den europäischen Gedanken, die Freundschaft und Verbundenheit über Ländergrenzen, unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten hinweg. Auf beeindruckende Art und Weise zelebrierten Deutsche und Italiener dies nun auf Sizilien.

„Städtepartnerschaft“ - schon in dem Wort schwingt so etwas wie angestaubte Vergangenheit mit. Schüleraustausch, ein Schaulaufen der Offiziellen, ein Relikt aus den 80ern? Ein Teil davon ist auch noch Realität, als etwa 80 Gevelsbergerinnen und Gevelsberger in die italienische Partnerstadt aufbrechen. Doch - und das überstrahlt diesen Alle-Jahre-wieder-Besuch - gerade die Freundschaft zu den Buteresi ist ein Sinnbild dessen, was Europa, was den Frieden und was ein Miteinander über tausende Kilometer Entfernung ausmacht. Ein Miteinander, das tief von Wertschätzung und ehrlichster Wiedersehensfreude geprägt ist. Das wurde einmal mehr auch in der unglaublichen Gastfreundschaft deutlich, mit der die Sizilianer ihre westfälischen Gäste empfingen.

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Die jüngste der Gevelsberger Städtepartnerschaften ist im Kern aber auch diejenige, deren Verbindungen im täglichen Leben am weitesten in die Vergangenheit reichen und die so etwas wie die Geschichte der Europäischen Union im Kleinen nachzeichnet. Grazia Prontera beschreibt die Geschichte der italienischen Migration nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesregierung warb nach einem internationalen Abkommen Arbeitskräfte in Italien ab. Die ersten italienischen Gastarbeiter trafen 1956 in Deutschland ein, ab Mitte der 1960er Jahre konzentrierte sich die Migrationsbewegung, die hauptsächlich aus dem Süden Italiens kam, auf die metallverarbeitende Industrie, die zu diesem Zeitpunkt in Gevelsberg sehr ausgeprägt war.

Den Grundstein für die Städtepartnerschaft mit Butera legte also im Prinzip der Startschuss für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in den 50er und 60er-Jahren, als zahlreiche italienische Gastarbeiter nach Gevelsberg kamen, darunter zahlreiche Buteresi. Ursprünglich als Arbeitskräfte angeheuert, fühlten sich die meisten der Italiener mit der Zeit hier heimisch, holten Familienmitglieder nach und entschieden sich, Gevelsberg zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen. Die italienische Community in Gevelsberg zählt mittlerweile 1000 Einwohner. Sie sind die Kinder, Enkel und auch schon Urenkel der Gastarbeiter, die einst nach Gevelsberg kamen.

Eine etwa 80 Teilnehmer starke Delegation aus Gevelsberg reiste in die sizilianische Partnerstadt nach Butera.
Eine etwa 80 Teilnehmer starke Delegation aus Gevelsberg reiste in die sizilianische Partnerstadt nach Butera. © Stadt Gevelsberg | Stadt Gevelsberg

„Die ehemaligen Gastarbeiter haben in Gevelsberg eine neue Heimat gefunden und Butera ist für uns ein Ort, in dem wir sehr willkommen sind“, sagt Bürgermeister Claus Jacobi, der mit seiner Familie nach Sizilien reiste und die Gevelsberger Delegation anführte.

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Die meisten Gevelsberger waren nicht zum ersten Mal in der Partnerstadt und wohnten in privaten Unterkünften, wo sich die Menschen zum Wiedersehen in die Arme fielen und auf das Herzlichste begrüßten. Beim Zusammenbringen von Italienern und Deutschen trat die Familie Tiranno in den Mittelpunkt, die sinnbildlich für eine wunderschöne Gastarbeiter-Geschichte über nationale Grenzen hinaus steht, wie an den Worten von Bürgermeister Claus Jacobi deutlich wird: „Luigi stammt aus Butera, seine Frau Alba aus Kalabrien. In Gevelsberg haben sie sich kennengelernt, und diese Familie ist wie ein Brückenpfeiler in der Beziehung zwischen Gevelsberg und Butera.“ Alba Tiranno ist als EU-Bürgerin für die SPD sogar Mitglied im Gevelsberger Stadtrat.

Italiener und Deutsche haben zwar mit Händen und Füßen miteinander kommuniziert, doch das funktionierte wie stets, ganz wunderbar. Und für die Fälle, bei denen es wirklich ernst wurde, hatten die Gevelsberger Dolmetscher dabei: „Wir hatten ja viele, die übersetzt haben. Englisch konnten viele in Butera nicht flüssig sprechen“, sagt Jacobi. Doch dank der Gastarbeiter-Historie gibt es viele Italiener mit Deutschkenntnissen.

Tanz, Musik Kultur - die befreundeten Städte feierten sich selbst.
Tanz, Musik Kultur - die befreundeten Städte feierten sich selbst. © Stadt Gevelsberg | Stadt Gevelsberg

In Butera wurde auch eine Tafel aufgehängt, auf der ein sizilianisches Gedicht zu lesen ist, das die Gefühlslage der Gastarbeiter beschreibt, die vor Jahrzehnten zu uns gekommen sind“, sagt Claus Jacobi. „Diese Situation muss damals mit viel Wehmut und auch Heimweh bei den jungen Männern verbunden gewesen sein“, fährt er fort. Jahrzehnte später ist klar, dass sie es waren, die entscheidende Impulse für gegenseitiges Verständnis und viele tiefe Freundschaften gegeben haben.

Gevelsbergs Bürgermeister Claus Jacobi (2. v. li.) mit seinem Amtskollegen aus Butera, Giovanni Zucchala (2. v. re.), bei der Enthüllung der Skulptur, die die Stadt Gevelsberg Butera schenkte.
Gevelsbergs Bürgermeister Claus Jacobi (2. v. li.) mit seinem Amtskollegen aus Butera, Giovanni Zucchala (2. v. re.), bei der Enthüllung der Skulptur, die die Stadt Gevelsberg Butera schenkte. © Stadt Gevelsberg | Stadt Gevelsberg

Exakt in diese europäische Erfolgsgeschichte reihte sich auch das Gastgeschenk ein, das die Gevelsberger mit nach Sizilien nahmen: Sie schenkten der Stadt Butera einen Alltagsmenschen, wie sie in Gevelsberg an zahlreichen Stellen das Stadtbild aufwerten. Die Figur, die die Stadt erneut bei den beiden Wittener Künstlerinnen Christel und Laura Lechner für Butera anfertigen ließ, ist einem Gastarbeiter nachempfunden, der mit Koffer und einem Netz voller Orangen seine Reise ins Ungewisse antritt. „Die Skulptur wurde vor Ort enthüllt und die Menschen waren begeistert“, berichtet Jacobi von einem emotionalen Moment mit unglaublicher symbolischer Strahlkraft für das Zusammenwachsen von Gevelsbergern und Buteresi.

Ein Alltagsmensch mit höchster symbolischer Strahlkraft ziert nun die Stadt Butera. Die Skulptur ist einem sizilianischen Gastarbeiter nachempfunden.
Ein Alltagsmensch mit höchster symbolischer Strahlkraft ziert nun die Stadt Butera. Die Skulptur ist einem sizilianischen Gastarbeiter nachempfunden. © Stadt Gevelsberg | Stadt Gevelsberg

Die Gevelsberger hatten sich zudem eine besondere Aktion für ihre italienischen Freunde überlegt, um auch etwas Ruhrpott-Ess-Kultur in das Land von Pasta und feinsten Fischgerichten zu bringen : 1200 Würstchen hatte die Stadtverwaltung im Vorfeld nach Sizilien transportieren lassen, um den Freunden aus Butera ein ordentliches Currywurst-Erlebnis zu spendieren. Frisch gezapftes Pils und Waffeln rundeten das Gevelsberg-Menü ab. „Eine unglaubliche Aktion“, sagt Jacobi, der sich freut, dass die sizilianischen Freunde begeistert zugegriffen hätten.

Gemeinsam wolle man nun über weitere mögliche Projekte sprechen, die Butera und Gevelsberg künftig zusammen umsetzen möchten und die die Freundschaft für ein starkes Europa weiter festigen sollen. „Wir haben uns vor Ort über künftige touristische und wirtschaftliche Austauschbeziehungen unterhalten und haben dabei die Idee verfeinert, einen Butera-Tag in Gevelsberg zu veranstalten“, gibt Claus Jacobi einen Einblick in die Planungen für die Zukunft. Eine Zukunft, in der freundschaftliche Bande in Gevelsberg und Butera auch weiterhin zeigen, wie wichtig ein friedliches und vereintes Europa ist.

Verwaltungen, Behörden und deren Mitarbeter aus Deutschland und Italien unter sich.
Verwaltungen, Behörden und deren Mitarbeter aus Deutschland und Italien unter sich. © Stadt Gevelsberg | Stadt Gevelsberg