Schwelm. Nach 13 Jahren als Direktorin des Märkischen Gymnasiums geht Katharina Vogt in den Ruhestand. Im Interview blickt sie auf die Zeit zurück.

2011 trat Katharina Vogt, die in Bochum zu Hause ist, die Stelle als Schulleiterin des Märkischen Gymnasiums in Schwelm an. Nun geht die 62-Jährige aus persönlichen Gründen frühzeitig in den Ruhestand. Am 3. Juli wird sie offiziell verabschiedet. Im Interview mit dieser Redaktion blickt die gebürtige Bremerin auf 13 Jahre in Schwelm zurück.

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Was hat sich seit dem Jahr 2011 am Märkischen Gymnasium verändert?

Rein äußerlich ist anzumerken, dass das Gymnasium sehr viel weiblicher geworden ist, wir haben heute mehr weibliche als männliche Lehrkräfte. Aber zunächst möchte ich sagen, dass ich 2011 eine sehr gut funktionierende Schule vorgefunden habe. Im Laufe der Jahre ist es uns gelungen, die Schule noch transparenter zu machen und mit unseren vielen Initiativen wie „Schwelm forstet auf“, der Stolperstein AG oder unserem Engagement bei den Wahlen mehr in die Stadt hineinzuwirken. Auch unser Kerngeschäft – der Unterricht – hat sich sehr verändert. Wir bieten kooperativere und individuellere Lernformen und viele Partizipationsmöglichkeiten für die Schüler an. Dann ist der enorme Wechsel zu den digitalen Medien zu benennen. Wir haben mit Schüler-Tablets – auch Dank der Bereitschaft der Eltern – vor Corona anfangen können. Diese Umstellung hat große Auswirkungen auf das Lernen. Darin sehe ich eine große Chance. Denn wir sind beständig gezwungen, immer wieder über das „Wie“ des  Lernens nachzudenken.

Sie haben sich über die Jahre auch zu einer kritischen Stimme entwickelt und sind für Ihre Schule eingetreten. Warum war das notwendig?

Ich denke, es ist die Aufgabe einer Schulleitung, sich für ihr System einzusetzen. Die Zusammenarbeit zwischen Schulträger und Schule habe ich hier aber immer als grundsätzlich konstruktiv und gut erlebt. Wie in jeder Beziehung, muss jeder seine Interessen vertreten und da gibt es nun einmal gelegentlich unterschiedliche Auffassungen oder auch Notwendigkeiten. Die müssen auf den Tisch und dann muss man sich um Lösungen bemühen. Und das gelingt hier.

Wie sehr mussten Sie für Ihre Schule kämpfen?

Ich würde das nicht Schwelm-spezifisch beantworten. Alle sagen, dass Bildung beziehungsweise Schulen eine große Verantwortung für die Entwicklung der Gesellschaft haben. Nicht nur im Hinblick auf eine zukunftsfähige Ausbildung der jungen Generation, sondern auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Als Lehrkraft muss man bereit sein, diese Verantwortung zu übernehmen. Letztlich macht es eine riesengroße Freude, durch die Zusammenarbeit mit jungen Menschen immer am Puls der Zeit zu sein. Aber die den Schulen zugeschriebene Verantwortung steht aus meiner Sicht in keinem Verhältnis zu den Mitteln, die uns von Land und Kommune zugebilligt werden. Wir brauchen mehr Lehrkräfte und weiteres Personal an Schulen, bessere Ausstattung, modernere Lernräume, um die Herausforderungen bewältigen zu können.

Ihr Appell?

Steckt Geld in die Bildung, so viel ihr könnt, honoriert den Stellenwert und auch die Erwartungen an Bildung finanziell.

Ärger mit der Turnhallen-Teilung, undichte Dächer – ist der Krach mit der Stadt gerade so groß wie nie?

Da möchte ich entschieden widersprechen – es gibt keinen Krach mit der Stadt. Es gibt natürlich unterschiedliche Notwendigkeiten und Bedarfe. Die gilt es fair auszuhandeln, und darum bemühen sich alle Beteiligten. Es gibt die Zusage, den Neubau einer Turnhalle nicht aus den Augen zu verlieren. Und natürlich sehe ich die finanziellen Gegebenheiten oder besser Zwänge der Stadt. Aber ich wäre eine schlechte Schulleiterin gewesen, wenn wir da nicht am Ball blieben und unsere Interessen formulierten. Meine Erfahrung ist, wenn es um finanzielle Mittel geht, ist das ein Dauerlauf, kein Sprint. Dafür braucht man Ausdauer. Das ist okay.

Was hätten Sie gern noch als Schulleiterin umgesetzt?

Ich hätte gern mehr Projekte angestoßen, die Schülern ein freieres Lernen ermöglichen. Das ist mit Blick auf den gesetzlichen Rahmen schwierig. Mein Traum ist es immer gewesen, für Schüler der Mittelstufe, in der eine gewisse Schulmüdigkeit herrscht, mehr Erfolgserlebnisse auch außerhalb des schulischen Lernens zu ermöglichen. Wo sie für sich selbst eine Herausforderung erblicken und wir sie begleiten, diese zu bewältigen. Aus Erfahrungen von Schulversuchen wissen wir, dass daraus ein unglaublich großes Selbstbestätigungs und -bestimmungserlebnis resultiert. Das muss ich mir vorwerfen, solche pädagogischen Grundgedanken nicht stärker beworben zu haben.

Wie haben Sie immer die Nerven behalten?

Ob ich das wirklich immer getan habe, müssen andere beantworten. Aber ich kann sagen, dass es sich für mich unglaublich lebendig angefühlt hat, wenn man morgens in die Schule kommt und man erstmal seine To-do-Liste für den Tag wegwerfen muss, weil 15 unerwartete Dinge passieren. Ich bin ein optimistischer und positiver Mensch, glaube ich, und ich mag das „Brausige“ in der Schule einfach wahnsinnig gern.

Würden Sie Ihren Job heute nochmal machen?

Ja, das würde ich. Eben, weil es sich so lebendig anfühlt. Ich würde manches heute insofern gelassener sehen, weil ich weiß, dass sich vieles von allein zurecht ruckelt.

Sie hören aus privaten Gründen auf. Wie sieht ihr künftiges Leben aus?

Ich möchte mehr Zeit für meinen Mann und meine Familie, aber auch für mich haben. Aber ich habe mir vorgenommen, erstmal auszuatmen, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Und keinen Plan zu haben. Das wird nicht einfach sein für mich. Ein bisschen Plan gibt es allerdings schon: Ich möchte reisen – gern mit dem Rad –, werde mich ehrenamtlich engagieren und ich möchte mehr lesen und intensiver Französisch lernen.

Was werden Sie am Schulleben vermissen?

Ob ich die durchgetaktete Tagesstruktur vermisse, wird sich zeigen. Aber ganz sicher werde ich die vielen menschlichen Kontakte vermissen, das Gefühl, mitten im Leben zu sein und die Herausforderung, mit ganz unterschiedlichen Situationen zurechtzukommen.

Wie wird Ihr Abschied aussehen?

Am 3. Juli gibt es eine Abschiedsfeier, die fällt lustigerweise mit unserem Aufräum-Tag zusammen – da werde ich also aufgeräumt die Schule verlassen (lacht). Es sind viele Wegbegleiter eingeladen, das Kollegium, Schüler. Einen Tag vorher findet unser Schulfest statt, das ist ein schöner Abschied.

Wer wird Ihre Nachfolge antreten?

Es bestehen sehr gute Chancen, dass meine bisherige Stellvertreterin, Anita Neumann-Adolphs, meine Nachfolge als Schulleiterin antritt. Das finde ich großartig. Ich bin für sie weiterhin greifbar, werde mich aber hüten, ihr Ratschläge zu geben.

Was hat sich im Vergleich zu Ihrer eigenen Schulzeit geändert?

Wir haben mittlerweile eine Übergangsquote von den Grundschulen zum Gymnasium von circa 50 Prozent landesweit, das ist deutlich mehr als in meiner Jugend. Damit einher geht zum einen eine Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Herkunftsfamilien. Zweitens gibt es mehr Schüler, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist. Darauf müssen Schulen mit ihrem Unterricht sowie ihrer Begleitung von Schülerinnen und Schülern und auch Eltern reagieren. Viele sagen ja, früher sei der Lehrerberuf einfacher gewesen. Aber wenn man für eine offene, vielfältige und pluralistische Gesellschaft eintritt, in der der Diskurs einen Wert darstellt, dann ist das anstrengend, weil das eben nicht über Auswendiglernen, Befehl und Gehorsam funktioniert. Aber wenn man es als Beruf begreift, dass man für die Erziehung junger Menschen und damit für die Entwicklung unserer Gesellschaft verantwortlich ist, ist das sehr erfüllend.

Worauf sind Sie stolz?

Ich hoffe, dass ich dazu beigetragen habe, die Schule ein Stück nahbarer und offener zu machen. Es war mir schon immer wichtig, bei den Schülern die Lust für das Lernen zu wecken und dafür, sich für unsere Demokratie einzusetzen. Das ist heute wichtiger denn je. Schule muss offen und transparent sein. Das war mein Motor. Wenn mir das ein Stück weit gelungen ist, kann ich zufrieden sein.

Der Pausengong ertönt, Schüler strömen auf die Gänge, man hört Gespräche und Gelächter. „Wenn ich diese Pausengeräusche höre, das wird mir fehlen“, sagt Katharina Vogt und lächelt. „Dieses Lebendige, das Unordentliche, was eine Schule auch mit sich bringt, das ist unglaublich gut.“

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