Balve/Menden. Die Briten wollen 1947 Balves Höhle sprengen. Die Balver scheinen auf verlorenem Posten zu stehen. Doch da zückt Amtsdirektor Rips einen Joker.
Die Herren wirken geheimnisvoll. Mitte August 1947 erschienen drei Offiziere – zwei Belgier, ein Engländer – in Balve. Sie melden sich bei Amtsdirektor Franz Rips. Das Militär wolle sich darum kümmern, Maschinen aus der Balver Höhle zu entfernen, die im Zweiten Weltkrieg zur Herstellung von Rüstungsgütern dienten. Einzelheiten nennen die Herren nicht. Rips möge sich an ihre Dienststelle in Meschede wenden, heißt es.
Der Verwaltungschef ist verwirrt. Er hat ganze andere Informationen. Ende Juli – so hat es Rips am 27. August 1947 in einer Aktennotiz vermerkt – sind „Herren des Reichsbauamtes Dortmund“ nach Balve gekommen. Auch sie haben die Entfernung der Maschinen aus der Höhle verlangt. Mit einem kleinen Unterschied: Die Arbeiten sollen von „Firmen aus der hiesigen Gegend“ erledigt werden – unter Aufsicht der Stadt Balve. Nun, so scheint es, will die Besatzungsmacht den Auftrag erledigen.
Es kommt noch dicker. Tage später kommen die drei Offiziere noch einmal nach Balve. Am 18. August bitten die örtliche Polizeidienststelle „um Bereitstellung von elektrischen Lampen zur Beleuchtung des Höhlenraumes“.
Den Zweck ihrer Mission verraten sie nicht – jedenfalls nicht offiziell. Stattdessen erfährt Rips vom Betreiber des Höhlenrestaurants, Gastwirt Sauer, was die Besatzer planen: Die Höhle solle gesprengt werden. Er müsse Wohn- und Gasthaus räumen. Rips: „Diese Gerüchte verursachten verständlicherweise erhebliche Unruhe und Besorgnis in Kreisen der hiesigen Bevölkerung.“
Was tun?
Rips hat einen Plan. Gemeinsam mit Bürgermeister Wilhelm Hertin fährt er zur „Abwicklungsstelle für ehemalige Rüstungsanlagen“. Sie ist zwischenzeitlich von Meschede nach Arnsberg verlegt worden. Dort sprechen Rips und Hertin mit Leiter der britischen Behörde, Offizier H. G. Locke. Das Gespräch endet ernüchternd. Die Lage von Rips und Hertin scheint aussichtslos.
Warum?
Rips und Hertin schlagen vor, die Höhle in Eigenregie in den Vorkriegszustand zu versetzen. Sie führen an, die Höhle sei „ein prähistorischen Wahrzeichen der Stadt Balve“. Es sei „einmalig in seiner Art innerhalb des deutschen Raumes“.
+++ BALVER HÖHLE: EIN KLEINES WUNDER +++
Locke hält gegen. Warum habe die Stadt Balve „die Errichtung eines Rüstungsbetriebes in der Höhle zugelassen“?
Rips und Hertin entgegnen, die die paramilitärische Baueinheit Organisation Todt habe den Betrieb der Uerdinger Waggonfabrik „ohne Befragen der Gemeinde“ errichtet. Die Stadt Balve habe vergeblich Einspruch erhoben.
+++ BALVER HÖHLE: DER WORTMÄCHTIGE THEODOR PRÖPPER +++
Im Gespräch präsentiert die Balver Stadtspitze ein Argument, das sich in der Rückschau als Joker erweist: „Wir haben eindringlich darauf hingewiesen, daß die Höhle keinen eigentlichen Schutz gegen Bombardement bieten könne, da sich in dem Höhlenfeld verschiedene Risse befänden und am oberen Kopf eine Öffnung festgestellt sei, durch die vor Jahren bereits eine Kuh abgestürzt sei.“
+++ BALVER HÖHLE: BRITEN BEFÜRCHTEN GEHEIME AUFRÜSTUNG +++
Ergebnis: „Man verwies auf den Dienstweg.“
Genau den beschreitet Rips. Er wendet sich umgehend an den Oberkreisdirektor in Arnsberg.
Unterdessen organisiert der wortmächtige Kirchenorganist Theodor Pröpper öffentlichen Protest.
Obendrein sichert sich Rips politische Rückdeckung. Balves Rat tagt am 29. August 1947, elf Herren, eine Frau, Hildegard Gerken. Das Stadtparlament erhebt „einstimmig Einspruch“ gegen die geplante Sprengung der Höhle. Die Ringfedern-Produktion sei „nicht vorwiegend für kriegswirtschaftliche Zwecke“ gedacht gewesen. Die Stadt Balve wolle die Höhle in Eigenregie räumen – „gegebenenfalls unter Aufsicht“ der zuständigen militärischen Dienststelle.
Rips belässt es nicht dabei. Er holt sich Expertenrat. Gutachter Wilhelm Berg aus Iserlohn stellt am 5. September 1947 fest, „dass die Höhle für Luftschutzzwecke ungeeignet ist, ob nun für Fabrikationsbetriebe oder für die Bevölkerung. Eine mittlere Bombe kann, wenn sie günstig trifft, die schwache Decke durchschlagen.“ Damit scheide die Höhle „als Schutzraum für militärische Zwecke“ aus, „und damit wäre auch eine Sprengung nicht mehr gerechtfertigt“.
+++ BALVER HÖHLE: PRÖPPERS PROTEST +++
Zieht die Argumentation?
Tage vergehen. Hoffnung wächst. Am 20. September schreibt Rips Post an Professor Friedrich Langewiesche in Bünde. Er hat sich einen Namen als Heimat- und Naturforscher gemacht. Rips ist inzwischen gut vernetzt. Dazu zählen Kontakte zum Kultusministerium in Düsseldorf. Das Ministerium, so Rips, habe ihm signalisiert, dass „mit einer günstigen Regelung in der Höhlenangelegenheit zu rechnen sei“.
Am 27. September wird aus Hoffnung Gewissheit. Das Kultusministerium kabelt im Auftrag von Vize-Militärgouverneur General Lord Robertson, auf eine Sprengung der Höhle zu verzichten.
+++ GENERAL ROBERTSON: DER MANN, DER DIE BALVER HÖHLE VERSCHONT +++
Balve ist erleichtert. Die Zusammenarbeit von PR-Genie Pröpper und kühlem Verwaltungsexperten Rips hat bestens funktioniert.
Ende der Geschichte? Keineswegs. Am 5. Januar 1948 geht bei Rips Post der britischen Abrüstungsstelle ein. Es ist eine Beschwerde. Die Behörde sei mit dem Fortgang der Arbeiten in der Höhle „nicht zufrieden“. Ihr Anlegen – „das Aufbrechen des Cementbodens“ – sei trotz Terminverlängerung nicht erledigt. Letztlich bleibt es dabei.
General Lord Robertson hat andere Sorgen. Der kalte Krieg spitzt sich zu. Im Juni 1948 organisiert er, gemeinsam mit US-General Lucius D. Clay die Berliner Luftbrücke.