Ruhrgebiet. Über 5000 Infektionen in einer Woche – das tauchen Fragen auf. Bringt die Impfung jetzt noch etwas? Sind Tests sinnvoll? Hier die Antworten.
Die Grippewelle nimmt einen neuen Anlauf – das tut sie regelmäßig nach den Weihnachtsferien. Doch in diesem Jahr erscheint die Lage vielen ernster als früher. Das Landeszentrum Gesundheit meldet für die aktuelle fünfte Kalenderwoche immerhin stolze 5068 Influenza-Fälle. Das sind zwar nur rund 500 mehr als zum selben Zeitpunkt im vergangenen Jahr, aber in der Vorwoche waren es 2803 – und die Wartezimmer der Hausärzte sind voll. Müssen wir uns Sorgen machen und wie können wir uns schützen?
Wie ist die aktuelle Lage?
„Nicht außergewöhnlich“, findet Prof. Oliver Witzke, Direktor der Klinik für Infektiologe der Universitätsmedizin Essen. „Die Grippe – Influenza – beschäftigt uns, aber besonders aufregend ist das Jahr in dieser Hinsicht bislang nicht.“ Die Saison habe etwas später als gewöhnlich begonnen und der Anstieg der Welle verlaufe vielleicht etwas „moderater“. „Aber die Rhythmik ist dieselbe wie immer“. Der wöchentliche „ARE-Bericht“ des Landeszentrums Gesundheit NRW berichtet von landesweit 13.093 Influenza-Fällen (in der gesamten bisherigen Saison 2024/25, bis Kalenderwoche 4); im Ruhrgebiet wurden bislang 4.200 Influenza-Infektionen gemeldet. Zum selben Zeitpunkt des vergangenen Jahres waren es 4481 (und in der Saison 2023/24, der ersten nach Corona: 10.341).
Er denke, so Witzke, dass die gerade steil ansteigende Kurve langsam wieder abflache und das Maximum der Grippewelle bald erreicht sei. „Danach geht es vier bis sechs Wochen weiter runter und im Februar oder März wird es wieder besser.“
„Wir sehen Betroffene auch beatmet auf der Intensivstation.“
Was kursiert neben Influenza?
Das Corona- und das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) – die häufigste Infektionserkrankung im Säuglingsalter. SarsCoV-2 dominiert das saisonale Infektionsgeschehen, das Landeszentrum zählte in der laufenden Saison bis Kalenderwoche 4 NRW-weit 18.693 Fälle. Aber „nur“ 2005 RSV-Infizierte. Im Juli hatte die Ständige Impfkommission eine neu verfügbare Impfung (Beyfortus) für alle Säuglinge empfohlen. Und das zeige bereits Wirkung, glaubt Witzke „Die RSV-Infektionen haben ganz klar später als bisher begonnen und sie haben bei weitem nicht frühere Größenordnungen erreicht.“
Was unterscheidet die echte Grippe von einem grippalen Infekt?
Ein grippaler Infekt, eine Erkältung, beginnt mit Halsschmerzen und laufender Nase, später kommen richtiger Schnupfen und Husten dazu. Wirklich gefährlich ist ein solcher Infekt in der Regel nicht. Eine echte Grippe, die Influenza, dagegen ist eine lebensbedrohliche Erkrankung. Sie beginnt sehr plötzlich und sehr heftig. „Wir sehen gerade Betroffene auch beatmet auf der Intensivstation“, erzählt Witzke. In der Vergangenheit gab es zudem regelmäßig Influenza-Pandemien, zuletzt in der Saison 2017/18. Damals starben 25.100 Menschen allein in Deutschland. Bei der Spanischen Grippe 1918 zählte man weltweit 400.000 Tote. Der Infektiologe Witzke betont zudem, dass mit einer Grippe-Welle stets auch mehr Schlaganfälle oder Herzinfarkte einhergingen. „In der Woche, in der jemand an Grippe erkrankt, hat er ein fünf- bis zehnfach höheres Risiko für eine Herz-Kreislauf-Dekompensation“, erklärt Witzke. „Viele sterben daran, nicht an der Grippe selbst.“
Gibt es einen Grippe-Test?
Ja, einen PCR-Test, der ähnlich funktioniert wie der für Covid-19. Der Infektiologe hält ihn auch für „grundsätzlich sinnvoll“, räumt aber ein, dass längst nicht mehr „flächendeckend oder auf dem Niveau getestet wird, wie zu Corona-Zeiten“. Gerade da, wo Menschen mit besonders Gefährdeten zusammen leben oder arbeiteten, sei ein Test aber eine gute Idee. Zudem sei es wichtig zu wissen, an welchem Atemwegsinfekt ein Patient erkrankt sei, die Symptome von Grippe, Corona und RSV ähnelten sich. Doch die Therapie sei unterschiedlich.
Wie kann man sich schützen?
Durch eine Grippeschutz-Impfung, betont der Experte. Sie verhindere nicht die Ansteckung, schütze aber vor schweren Verläufen. Die Nebenwirkungen seien auch in diesem Jahr „moderat, leichte Schmerzen an der Einstichstelle, vielleicht ein bisschen Fieber“. Der saisonale Impfstoff, dessen genaue Zusammensetzung die Weltgesundheitsbehörde alljährlich empfiehlt, wirke „ganz gut“, gegen die gerade zirkulierenden Virusstämme – das war nicht immer so. Acht verschiedene Vakzine sind auf dem Markt, knapp 20 Millionen Impfdosen hatte das Paul-Ehrlich-Institut bereits im Oktober 2022 freigegeben. Geimpft wird unter anderem von Hausärzten, in Apotheken und Betrieben. Neben der Impfung wirkten: Absonderung und Masken. Wer sich erkältet fühle, solle nicht ohne Maske in Bahn oder Büro auftauchen. Grippe ist sehr ansteckend, das Virus wird beim Niesen, Husten oder Sprechen von Mensch zu Mensch weitergegeben (Tröpfchen-Infektion), aber auch über „verseuchte“ Gegenstände wie Türklinken und Treppengeländer. Erste Symptome zeigen sich ein bis zwei Tage nach der Ansteckung.
Ist eine Grippeschutzimpfung jetzt noch sinnvoll?
„Absolut“, erklärt der Essener Infektiologe. „Wir stecken ja noch mittendrin in der Saison.“ Der ideale Zeitpunkt für die Impfung sei zwar eigentlich der Dezember. Aber die Wirkung ließe tatsächlich auch nach, und die Impfung schütze zudem schon nach ein paar Tagen. Ihre volle Wirkung zeige sich nach zwei, drei Wochen. „Bei wem jetzt also ein Urlaub oder eine wichtige Prüfung ansteht, für den ist die Impfung eine sehr gute Option.“ Tatsächlich müsse, wer sich jetzt noch gegen die Grippe impfen lassen wolle, womöglich ein wenig nach verfügbarem Impfstoff suchen. „Sie bekommen ihn noch, aber ich höre, die oder andere Apotheke bereits Lieferengpässe habe.“
Wer ist besonders gefährdet?
Ältere und Menschen mit schwachem Immunsystem, nennt der Essener Experte, zudem Herz-, Lungen-, Nieren-, Leber- oder neurologischen Erkrankungen, auch Diabetiker. Angehörige von solchen Patienten, rät er, sollten sich impfen lassen – und die, die sie, etwa in Heimen oder Kliniken betreuen. An den aktuellen Zahlen kann man zudem sehen, dass von der Grippe alle Altersklassen betroffen sind. „Kinder“, so Witzke, „sind oft zu Beginn einer Welle als erste betroffen.“
Was tun bei einer Grippe-Infektion?
Das hängt vom persönlichen Risiko ab. Eine 20-jährige Frau ohne Vorerkrankungen werde höchstwahrscheinlich gut mit der Influenza fertig werden. Sie sollte sich ins Bett legen, ausruhen und darauf hören, was ihr Körper rät, empfiehlt Witzke. Ein 70 Jahre alter herz- und lungenkranker Mann sollte dagegen sofort zum Arzt – und sich dort auf Grippe testen lassen. Schon, damit die richtige Therapie einen schweren Verlauf rechtzeitig verhindert.
Wie lange dauert eine Grippe-Infektion?
Die Akutphase: zwei bis vier Tage, so Witzke. Aber manche Patienten sind deutlich länger erkrankt, fühlten sich noch Wochen oder sogar Monate später schlapp und müde. Post-Influenza nennen Infektiologen dieses Syndrom. Sie kannten es schon vor Covid.