Ruhrgebiet. Die Stiko empfiehlt „Beyfortus“ für alle Säuglinge – das Vakzin schütze wirksam vor den Infektionen und sei gut verträglich. Doch es gibt Streit darum.

Im Juni hat die Ständige Impfkommission die einmalige Impfung gegen das „Respiratorische Synzytial-Virus“ (RSV) grundsätzlich für alle Säuglinge empfohlen. Sie soll die ganz Kleinen vor der ersten Saison schützen, sie soll erklärtermaßen aber auch Praxen und Kliniken entlasten. Denn RSV-Infekte sind die häufigsten Infektionen im Säuglingsalter. Wenige Wochen vor der Erkältungs- und Infektionszeit ist indes noch ungeklärt, wer für die Kosten aufkommt. „Am Ende sind die Patienten die Gelackmeierten“, sagt Michael Achenbach, niedergelassener Kinderarzt in Plettenberg und stellvertretender Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe.

Herr Achenbach, in NRW wurden laut Landeszentrum Gesundheit in den vergangenen vier Wochen insgesamt sechs RSV-Infektionen registriert, bundesweit werden aktuell neun Kinder deswegen stationär behandelt. Klingt noch nicht nach Welle. Wann geht die Saison los?

RSV-Infekte sind saisonale Infekte, im Oktober/November, spätestens im Februar/März erwarten wir die Spitzen.

Wie gefährlich ist eine RSV-Infektion für Babys?

Meist ist sie harmlos, manchmal heftig. Extreme Frühchen, Kinder mit Herzerkrankungen oder Säuglinge mit einer Lungenschädigung zählen zu den Risikogruppen. Zwei Drittel aller Infekte, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, betreffen aber nicht die Risikogruppen. Ich sehe in jeder RSV-Saison immer wieder kleine Patienten, die unter Sauerstoffgabe mit dem Rettungswagen in die nächste Kinderklinik gebracht werden müssen.

MIchael Achenbach ist Kinderarzt in Plettenberg und stellvertretender Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe.
MIchael Achenbach ist Kinderarzt in Plettenberg und stellvertretender Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. © Handout | Privat

Hilft die neue Impfung?

Ja, ich halte sie für sehr gut, sie schützt zuverlässig – vor Ansteckung und schwerem Verlauf. Es gibt ein ganz ähnliches Medikament ja schon viele Jahre, allerdings nur für die Risikogruppen. Das schützte aber nur einen Monat lang. Die jetzt zugelassene Impfung wirkt etwa fünf Monate lang, hilft also über die komplette erste Saison der Kinder hinweg. Deswegen freuen wir Pädiater uns darüber sehr.

Wann und wie oft sollten Kinder geimpft werden?

Alle Säuglinge in ihrer ersten Saison einmal, da ist die Gefährdung am höchsten. Risikopatienten vielleicht später erneut. Fast jedes Kind wird aber nach seiner ersten Saison Kontakt zum RS-Virus gehabt haben. Wann der beste Zeitpunkt für die Impfung ist? Für in der Saison Geborene: am besten sofort. Für außerhalb der Saison Geborene: eine Frage für Hellseher, da der beste Zeitpunkt eine Impfung direkt vor Beginn der Saison ist.

Nun soll die neue Impfung nicht nur Säuglinge schützen, sondern auch das Gesundheitssystem entlasten helfen. Weniger RSV-Infektionen, weniger Klinikeinweisungen, weniger Druck?

Warum stehen die Kliniken denn im Herbst/Winter so unter Druck? Der Grund ist ein unbändiger Sparwille. Mir scheint, als solle diese Impfung der Politik ein gutes Gewissen verschaffen, noch mehr Betten abzubauen. Früher gab es sehr viel mehr Puffer. Das erforderliche Maß einer stationären Versorgung für Infektionskranke kann man nicht in der ‚Saure-Gurken-Zeit‘ messen, sondern dann, wenn sie notwendig ist. Das ist anders als bei Hüft-OPs. Die sind planbar. Infektionen nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich freue mich über jeden Patienten, bei dem wir eine schwere Infektion mit der Impfung verhindern können. Aber die Art und Weise der Einführung stimmt mich schon etwas nachdenklich.

Bringt die Impfung wenigstens den Kinderarzt-Praxen etwas? Wie voll war es bei Ihnen in der vergangenen Saison?

Wir mussten die Patienten noch nicht stapeln, aber es war schon viel los. Soviel, dass wir triagieren mussten, und deswegen mussten Eltern mit kranken Kindern, die vormittags in die Praxis gekommen waren, auch mal auf den Nachmittag vertröstet werden. Wenn weniger Kinder erkranken, hilft uns das natürlich. Wenn wir aber einen halben Jahrgang, nämlich den, der nicht direkt nach der Geburt in der Klinik geimpft wird, nun plötzlich mal eben so nebenbei impfen sollen – dann ist das eine Mehrbelastung, für die wir nach jetzigem Stand nicht einmal bezahlt werden sollen. Dabei werden viele Praxen dafür Extra-Sprechstunden einführen müssen. Das muss als Präventivmaßnahme vergütet werden, kann nicht mit der Quartalspauschale abgegolten werden. Der Klempner installiert Ihnen die neue Heizung auch nicht umsonst. Nebenbei gesagt: Die ersten Kliniken haben schon zu verstehen gegeben, dass sie die Durchführung logistisch auch nicht stemmen können. Diese dort nicht geimpften Neugeborenen müssen dann von uns Ärztinnen und Ärzten noch zusätzlich geimpft werden.

Keine große Freude für kleine Patienten – aber Impfungen können vor schweren Erkrankungen schützen. Jetzt empfiehlt die Stiko für alle Säuglinge eine gegen RSV-Infektionen.
Keine große Freude für kleine Patienten – aber Impfungen können vor schweren Erkrankungen schützen. Jetzt empfiehlt die Stiko für alle Säuglinge eine gegen RSV-Infektionen. © Future Publishing via Getty Images | CFOTO

Tatsächlich ist nicht einmal geklärt, ob die Krankenkassen für ihre Versicherten die neue RSV-Impfung zahlen. Der Gemeinsame Bundesausschuss berät aktuell über das Thema, stellte aber schon klar, gesetzlich Versicherte hätten nur Anspruch auf Schutzimpfungen. Ist die RSV-Impfung denn keine?

Es ist kompliziert. Da es sich bei der Impfung um eine passive Immunisierung handelt, fällt sie streng genommen nicht unter die Richtlinie für Schutzimpfungen. Im Infektionsschutzgesetz ist die vorbeugende passive Impfung schlicht vergessen worden. Deswegen darf ich mir den Impfstoff auch noch nicht in den Kühlschrank legen und kein Kassen-Rezept dafür ausstellen. Das muss dringend entschieden werden, zwei Wochen vor der Saison wird es nicht mehr funktionieren. Uns läuft die Zeit davon – und Politik und Gremien haben gleichzeitig den Schleichgang eingelegt.

Sollten Eltern die Impfung selbst bezahlen müssen, was würde sie kosten?

Theoretisch ist das natürlich möglich, logistisch schwierig, unter anderem wegen der einzuhaltenden Kühlkette. Für die Durchführung der Impfung inklusive Beratung, Aufklärung. Rezeptausstellung und Untersuchung berechnen wir pi mal Daumen 40 bis 50 Euro. Das Medikament selbst ist derzeit für 453,83 Euro zu bestellen.

>>> INFO: Die RSV-Impfung

Im Juni hat die Ständige Impfkommission (Stiko) die neue RSV-Impfung für alle Säuglinge empfohlen. Für Risikopatienten war ein anderer Impfstoff schon zuvor erhältlich. Bei dem neuen Impstoff Nirsevimab (Beyfortus) handelt es sich um einen vorgefertigten „monoklonalen Antikörper“, der den Empfänger direkt und sofort schützt (sog. passive Immunisierung). Bei aktiven Immunisierungen wird durch die Impfung das Immunsystem des Impflings angeregt, selbst Antikörper zu bilden, die ihn vor dem Virus schützen.

Kinder, die zwischen April und September geboren werden, sollten möglichst noch vor Beginn ihrer ersten RSV-Saison geimpft werden: zwischen September und November. Kinder, die zwischen Oktober und März geboren werden, erhalten die Impfung „idealerweise“ noch als Neugeborene in der Geburtsklinik.

Die nur einmalig erforderliche Impfung ist laut Robert-Koch-Institut „in der Regel gut verträglich“ und sehr wirksam: Das Risiko einer Erkrankung werde um rund 80 Prozent reduziert.

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