Düsseldorf. Die Altschuldenhilfe scheint ein Opfer der Regierungskrise im Bund zu sein. Es gibt aber noch eine letzte Chance, meint ein Experte.

Kann die „Reste-Ampel“ aus SPD und Grünen zusammen mit der Union im Bundestag bis zur Neuwahl noch wichtige Entscheidungen treffen? An einigen Stellen scheint diese Zweckgemeinschaft zu funktionieren, zum Beispiel bei der Frage, wie das Bundesverfassungsgericht vor Demokratiefeinden geschützt werden kann, und bei der Sicherung des Deutschlandtickets. Ein Thema, das für NRW immens wichtig ist, scheint allerdings auf den ersten Blick keine Rolle mehr zu spielen: die Altschuldenlösung für verarmte Städte. Ist sie noch zu retten?  Der Finanzexperte und Ökonom Martin Junkernheinrich glaubt daran.

Junkernheinrich hat mit einem Autorenteam über viele Jahre für den Regionalverband RVR den „Kommunalfinanzbericht Ruhr“ geschrieben, oft verbunden mit Warnungen vor den Tiefen des Schuldensumpfes. Nun verabschiedet sich der Professor aus Kaiserslautern in den Ruhestand und wirbt für einen letzten Versuch, den Altschuldenfonds trotz der Regierungskrise im Bund noch auf den Weg zu bringen.

Junkernheinrich: „Gravierende Schieflage in den Kommunalfinanzen“ in Sicht

Denn ein Scheitern würde zu ernsten Konsequenzen führen, sagte Junkernheinrich gegenüber dieser Redaktion. „Wenn jetzt kein Kompromiss zwischen Bund und Ländern für einen solidarischen Altschuldenfonds zustande kommt, entstünde eine gravierende Schieflage in den Kommunalfinanzen in NRW, die der kommunale Finanzausgleich nicht ausgleichen kann.“

Prof. Dr. Martin Junkernheinrich - TU Kaiserslautern
„Es entsteht eine Neuschuldenszene neben der Altschuldenszene“, warnt der Ökonom und Experte für die Ruhrgebietsfinanzen, Prof. Martin Junkernheinrich. © FunkeFotoServices | Kai Kitschenberg

Vor der Idealvorstellung, Bundestag und Bundesrat könnten unter den aktuell so widrigen Umständen eine Altschuldenlösung durch eine Grundgesetzänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit herbeiführen, muss man sich wohl entfernen. Junkernheinrich macht aber einen Alternativvorschlag.

Gesetzentwurf könnte den Bundestag zur Beratung über die Entschuldung zwingen

Nun komme es darauf an, dass der neue Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) dem Bundestag einen Gesetzentwurf für eine Altschuldenhilfe vorlege. „Der könnte zwar vom Bundestag abgelehnt werden, aber immerhin müsste sich das Parlament damit befassen, und dann erkennt man, wer dafür und wer dagegen ist“, so der Finanzexperte. In diesem Fall würde auch klar werden, ob NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) tatsächlich die Kraft habe, in der Union für eine Altschuldenlösung zu werben.

Hendrik Wüst signalisiert Interesse an einer Altschuldenlösung auf den letzten Drücker

Wüst hatte in der vergangenen Woche im Landtag bekräftigt: „Wenn wir eine Altschuldenlösung hinkriegen, gerne lieber gestern als morgen.“ NRW habe sich an die Spielregeln gehalten und biete den Kommunen eine Entschuldungshilfe über 7,5 Milliarden Euro – 30 Jahre lang jährlich 250 Millionen Euro – an. Der Bund müsse nun „Teil zwei“ der Antwort geben.

Ein einfaches Bundesgesetz stünde zwar im Vergleich zur Grundgesetzänderung juristisch auf unsicherem Fundament, wäre aber immer noch besser als Nichtstun, heißt es sogar in Regierungskreisen in NRW.

Neben der Altschuldenszene entsteht eine Neuschuldenszene

Laut Junkernheinrich wäre es jedenfalls  „fahrlässig“, die wohl letzte Chance für eine Altschuldenlösung verstreichen zu lassen, denn: „Es bauen sich jetzt schon wieder neue Schulden auf, vor allem in den mittleren und kleinen Kommunen. Es entsteht eine Neuschuldenszene neben der Altschuldenszene.“ Selbst viele Orte aus dem ländlichen Raum gerieten immer stärker in Turbulenzen.

NRW-Städte bereiten sich auf den Fall der ausbleibenden Bundeshilfe vor

Der vorsichtige Optimismus des NRW-Ministerpräsidenten, es könne vielleicht doch noch etwas werden mit dem Altschuldenfonds, wird in den Rathäusern aufmerksam registriert: „Eine Altschuldenlösung, an der sich der Bund beteiligt, ist der Idealfall. Das ist und bleibt die Position der NRW-Städte. Deshalb ist es gut, dass der Ministerpräsident in dieser Woche erklärt hat, dass er trotz Neuwahlen im Bund weiter eine Umsetzungschance für eine finanzielle Beteiligung des Bundes an der Altschuldenlösung sieht“, sagte Thomas Eiskirch (SPD), Vorsitzender des Städtetages NRW und Oberbürgermeister der Stadt Bochum, dieser Redaktion. Allerdings sei das Zeitfenster klein und Wüst müsse noch viel Überzeugungsarbeit bei CDU und CSU leisten.

Altschuldenhilfe auf der Kippe

Sowohl Schwarz-Grün in NRW als auch die gescheiterte Ampel haben sich in Koalitionsverträgen zur Altschuldenhilfe bekannt.

Der Kommunalausschuss des Landtags lädt am Freitag zur Expertenanhörung. In ihren Stellungnahmen dringen die kommunalen Spitzenverbände und mehrere Kämmerer auf eine Lösung des Altschuldenproblems. Der Bund der Steuerzahler NRW empfiehlt eine Erhöhung des Landesanteils von 250 auf 350 Millionen Euro jährlich, sollte sich der Bund nicht beteiligen. Die Gladbecker Kämmerin Silke Ehrbar-Wulfen schreibt: „In der Übergangsphase bis zu den Neuwahlen im Februar bietet sich nun die Gelegenheit, den Einfluss NRWs zu nutzen, um das Projekt Altschuldenlösung zum erfolgreichen Abschluss zu führen.“ (mk)

Angesichts der aktuellen Ungewissheit bereiteten sich die Städte aber auf verschiedene Szenarien vor: „Wir müssen jetzt dringend alle Vorbereitungen treffen, um beide Varianten für 2025 zu ermöglichen – eine Landeshilfe ohne Bundesbeteiligung und eine Altschuldenlösung mit Bundesbeteiligung“, erklärt Eiskirch. Der Städtetag vertraue auf das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün, zur Not auch eine Altschuldenhilfe ohne Bundesbeteiligung zu leisten.

Vorschlag für Plan B: Landes-Hilfe auf 45 Jahre verlängern

Wie dieser „Plan B“ funktionieren könnte, skizziert Martin Junkernheinrich gegenüber dieser Zeitung: „Falls es nicht zu einer Einigung mit dem Bund kommt, sollte NRW beschließen, mit 250 Millionen Euro im Jahr 2025 zu beginnen und dann, wenn sich die Landesfinanzen wieder verbessern, den Betrag – nach einem vorher festgelegten Automatismus – zu erhöhen.“ In einer Stellungnahme für den Kommunalausschuss des Landtags nennt der Ökonom auch die Möglichkeit, die geplante Landes-Schuldenhilfe von 30 auf bis zu 45 Jahre zu verlängern.

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