Düsseldorf. Alle 396 Städte und Gemeinden in NRW wurden gefragt, wie sie ihre Finanzen einschätzen. Das Umfrage-Ergebnis ist niederschmetternd.

Die finanzielle Lage der NRW-Kommunen hat sich dramatisch verschlechtert: Nur noch 18 von landesweit 396 Städten und Gemeinden können einer aktuellen Umfrage zufolge in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen. „Das ist ein Alarmsignal. Wir fahren auf Verschleiß“, warnten der Chef des Städtetages NRW, Thomas Eiskirch (SPD), und der Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, Christoph Landscheidt (SPD), am Dienstag im Landtag.

Die Forderungen nach einer besseren finanziellen Grundausstattung der Städte durch das Land wird angesichts galoppierender Sozial- und Personalkosten lauter. Die Kommunalverbände erwarten, dass das Land die „Verbundquote“, also den Teil der Steuereinnahmen, die das Land den Kommunen zur Verfügung stellt, von heute 23 Prozent auf 25 Prozent erhöht. Das würde den Städten Mehreinnahmen von rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr bescheren, hieß es.

Die Städte dringen zudem auf eine Altschuldenlösung durch die Landes- und die Bundesregierung.

Lesen Sie hier, wie die Bundesländer zu einer Altschuldenlösung stehen.

Seit Jahrzehnten klagen viele Kommunen in NRW über Finanznöte. Sie sind heute schon mit insgesamt 64 Milliarden Euro verschuldet. Aber jetzt droht die Lage laut einer Umfrage unter allen 396 Städten und Gemeinden vollends aus dem Ruder zu laufen. Der Städtetag NRW sowie der Städte- und Gemeindebund NRW schlugen am Dienstag im Landtag Alarm.

Was kam bei der Umfrage heraus?

Die Rückmeldungen aus 396 Rathäusern sind besorgniserregend. Aktuell meinen nur fünf Kommunen, es gehe ihnen finanziell gut, 348 finden ihre Finanzsituation „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“. „Keine einzige Stadt geht davon aus, dass sich die Lage in den nächsten fünf Jahren verbessern wird“, sagte Christoph Landscheidt (SPD), Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW und Bürgermeister von Kamp-Lintfort.

Im Jahr 2023 hatten der Umfrage zufolge 73 Städte in NRW einen ausgeglichenen Haushalt, im laufenden Jahr sind es nur noch 18. Insgesamt 332 Städte und Gemeinden erreichen einen ausgeglichenen Haushalt nur, weil sie auf ihre knappen Rücklagen zurückgreifen. „Das kann nur über einen kurzen Zeitraum funktionieren“, sagte Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), der den Städtetag NRW führt. Jeder private Haushalt könne sich vorstellen, wie schnell in der Not Erspartes aufgebraucht sei. Fast 50 Kommunen sind in NRW schon in der Haushaltssicherung und können ihre Geschicke aufgrund von Sparzwängen kaum noch selbst bestimmen.

Schlaglöcher und Straßenschäden im Buggenbeck in Mülheim an der Ruhr
Sinnbild für die tiefe Krise der Kommunen: kaputte Straßen voller Schlaglöcher, die mehr schlecht als recht instand gehalten werden. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Welche Konsequenzen drohen?

Öffentliche Gebäude wie Ämter, Schulen und Kitas können nicht mehr neu gebaut oder saniert werden. Löchrige Straßen werden bestenfalls geflickt, Wartezeiten in städtischen Büros werden länger, Einrichtungen wie Kitas und der Offene Ganztag können nicht mehr so viele Menschen beschäftigen wie nötig. Geflüchtete müssen in schlechten Unterkünften hausen, Bäder schließen, die Kultur leidet. Geschätzter Investitionsstau: 50 Milliarden Euro in NRW.

Wie konnte es so weit kommen?

„Konnexität“ ist ein Schlüsselwort. Das bedeutet, dass ein Land oder der Bund Aufgaben, die sie den Städten aufbürden, auch finanzieren müssten. Motto: „Wer bestellt, bezahlt.“ Das geschieht aber nach Einschätzung vieler Städte in NRW nicht. Prominentes Beispiel: Der kommende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.

„Den Städten sind die Sozialausgaben weggaloppiert. In den letzten 15 Jahren haben sie sich verdoppelt auf 24 Milliarden Euro im Jahr“, sagte Eiskirch. In der Jugendhilfe, also bei den Kitas, im Ganztag und der Jugendsozialarbeit, seien die Kosten „völlig explodiert“. Die Steigerung hier in nur einem Jahr: 22 Prozent. NRW finanziere die Kitas und die Ganztagsbetreuung (OGS) nicht auskömmlich und stehle sich mit dem Verzicht auf ein OGS-Ausführungsgesetz aus der Konnexitäts-Verantwortung.

Zu den Top-Kostenfaktoren zählen die deutlich höheren Tariflöhne, Mehrkosten für die Miete von Sozialhilfeempfängern (Kosten der Unterkunft) sowie die Kosten für Unterbringung und Integration von Geflüchteten.

Daneben ticke eine weitere finanzielle Zeitbombe, warnen die beiden kommunalen Spitzenverbände: Kosten, die den Kommunen wegen der Corona-Pandemie und wegen der Folgen des Ukraine-Krieges entstanden, konnten bisher aus den regulären Haushalten ausgegliedert werden. Ab 2025 müssen die Städte diese Schulden in Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro über maximal 50 Jahre mühsam abstottern.

Was kann die NRW-Städte retten?

Zwei Forderungen stehen im Raum. Erstens der Appell an das Land NRW, an die anderen Bundesländer, den Bundestag und die Bundesregierung, sich auf eine Altschuldenlösung zu einigen, von der vor allem die hoch verschuldeten Städte in NRW profitieren würden. Deren Altschulden betragen etwa 18 Milliarden Euro. NRW und der Bund haben diese Altschuldenhilfe in Aussicht gestellt, aber sie ist kompliziert, weil dafür eine Grundgesetzänderung nötig wäre, und die setzt Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat voraus. Thomas Eiskirch meint dennoch, eine Altschuldenlösung sei „für NRW greifbar nahe“. Im Hintergrund liefen vielversprechende Gespräche. Die Landesregierung betont, dass sie ihren angebotenen Teil zur Altschuldenlösung – 250 Millionen Euro im Jahr über 30 Jahre – schon fest im Haushalt verankert habe.

Die Forderung Nummer zwei richtet sich an das Land NRW: Es möge die sogenannte „Verbundquote“ – das ist das Geld, das die Städte und Gemeinden von den Steuereinnahmen des Landes bekommen – von heute 23 Prozent in einem ersten Schritt auf 25 Prozent anheben. Dies würde jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro mehr in die kommunalen Kassen spülen, heißt es. In den 1980-er Jahren habe die Verbundquote sogar bei 28 Prozent gelegen.

Die Landesregierung hält wenig von dieser Idee. Angesichts der Haushaltslage des Landes sei sie „nicht vorstellbar“, sagte NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach der „Neuen Westfälischen“. Die Kommunen redeten sich manchmal selber schlecht. Es werde der Lage nicht gerecht, „den Untergang des kommunalen Abendlandes zu propagieren“, so die Ministerin. In Summe sei die Situation der Kommunen durchaus „robust“.

Die Reaktion von Kommunalministerin Scharrenbach

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte nach der Pressekonferenz der beiden Kommunalverbände: „2023 haben die Kommunen das erste Mal seit 2017 wieder in der Summe ein Finanzierungsdefizit in Höhe von rund zwei Milliarden Euro erwirtschaftet. Bis einschließlich 2023 haben die NRW-Kommunen seit 2017 rund sieben Milliarden Euro Kassenkredite zurückgeführt. Seit 2017 sind die Investitionsausgaben stetig gestiegen: Zuletzt auf über zehn Milliarden Euro. Wichtig bei der Analyse ist es, zu schauen, wo die Mehrausgaben der Kommunen herkommen. Zum einen steigen die Ausgaben durch die Tarifabschlüsse im Personalbereich. Zum anderen schlägt die Bürgergeld-Reform voll zu Buche. Zudem gibt es weitere Steigerungen bei der Kinder- und Jugendhilfe. Ein wesentliches Problem ist hierbei, dass die Bundesregierung sich an den Ausgaben nicht beteiligt, obwohl sie die Aufgaben von den Kommunen verlangen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Kommunen in finanzielle Schieflage kommen. Die Kommunen erhalten durch die NRW-Landesregierung alleine im Landeshaushalt 2024 insgesamt rund 35,8 Milliarden Euro Zuweisungen – das ist seit 2017 eine Steigerung um zehn Milliarden Euro. Jedoch kann die Landesregierung Mehrkosten, die aus bundespolitischer Gesetzgebung resultiert, nicht kompensieren. Der, der die Musik bestellt, hat sie zu bezahlen.“

Wie bewerteten andere Politiker die Umfrage?

Die Landesvorsitzende der Grünen in NRW, Yazgülü Zeybek, sagte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) müssten Wort halten und die Kommunen von ihren Altschulden entlasten. „Wir schulden den Kindern und Jugendlichen in NRW, dass die Schultoilette saniert werden kann und sie im Sommer nicht vor verschlossenen Freibädern stehen“, so Zeybek.

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, vorne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Halten sie den Schlüssel für eine Altschuldenlösung in der Hand? Die Chefin der Grünen in NRW, Yazgülü Zeybek, sieht das so. © AFP via Getty Images | Tobias Schwarz

NRW-FDP-Chef Henning Höne forderte vom Land dauerhaft mehr Geld für die Kommunen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) stehe in der Verantwortung, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von einer Altschuldenlösung zu überzeigen. Außerdem müssten Bund und Land nach dem Motto handeln: Wer bestellt, bezahlt.

SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott warnte: „Kommunen sind das Fundament des Staates und unserer Demokratie. Doch das bröckelt in NRW gewaltig.“ Die Landesregierung ignoriere die Not der Städte.    

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