Essen. Die „ePa“-Pilotphase startet im Januar, unter anderem in Bochum und im Kreis Recklinghausen. „Es wird nicht reibungslos laufen“, ahnen Experten.

Noch elf Wochen, dann wird für jeden, der will (und der gesetzlich versichert ist), eine elektronische Patientenakte freigeschaltet. NRW gehört neben Franken und Hamburg zu den drei Modellregionen, in denen die „ePa“ ab 15. Januar auf Herz und Nieren getestet wird, bevor sie Anfang März bundesweit an den Start geht. An die 100 Praxen (und Kliniken) in NRW – unter anderem in Bochum und im Kreis Recklinghausen – beteiligen sich an der Pilotphase.

Dirk Spelmeyer vergleicht die Einführung der „ePa für alle“ beherzt mit einem „bemannten Flug zum Mars“; er spricht von einer „riesengroßen Herausforderung“. Auf einer Pressekonferenz am Montag betont der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) zugleich, die elektronische Patientenakte könne ein „Booster für die medizinische Versorgung“ sein: „weniger Akten und Papier, weniger Zeit am Telefon, weniger Wartezeit auf angeforderte Unterlagen, weniger Doppeluntersuchungen und gleichzeitig mehr Klarheit über die Medikation“. „Doch wir dürfen nicht erwarten, dass das von jetzt auf sofort reibungslos zu machen ist.“ 50 KVWL-Praxen seien deshalb bereits in der Pilotphase dabei. Bei eRezept und eAu, so Spelmeyer, „hat das geholfen“.

Eine Gesundheitsakte fürs Leben

Befundberichte, Laborwerte, aktuelle Medikationslisten, Arztbriefe und bildgebende Diagnostik werden in der ePA gespeichert: Daten, die niedergelassene Ärzte oder Klinik-Ärztinnen sowie Psychotherapeuten eingeben, alle, die behandeln. Sie sind dazu verpflichtet. Freiwillig kann Weiteres (wie Vorsorgevollmacht oder Organspende-Ausweis) eingestellt werden. Irgendwann später sollen auch Pflege- und andere Leistungserbringer ihre Daten einfügen. Nach und nach soll sich die persönliche digitale Gesundheitsakte eines Patienten so füllen – und ihn ein Leben lang begleiten. Wichtig: Der Patient führt seine ePA dabei selbst, er allein verwaltet die Daten – über eine App der Krankenkasse oder deren Ombudsstelle; er entscheidet, wer auf welche Daten Zugriff hat; er kann einzelne Daten oder die ganze Akte auch wieder löschen.

Dr. Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe spricht zu den Journalisten. Beim Presse-Briefing wurde über die aktuelle Lage der Coronavirus-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und über den Stand bei den Auffrischungsimpfungen informiert. +++ dpa-Bildfunk +++

„Wir dürfen nicht erwarten, dass das von jetzt auf sofort reibungslos zu machen ist.“

Dr. Dirk Spelmeyer

Die KVWL, die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) sowie die Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) begleiten die Testphase engmaschig. Man sehe die Einführung der elektronischen Patientenakte als „Meilenstein in der medizinischen Versorgung“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme. Aus eigener Anschauung weiß Andreas große Bockhorn um deren Nutzen. Schon seit 2006 gibt es in seiner Hausarztpraxis in Altenberge im Kreis Steinfurt keine „Zettelwirtschaft“ und keine Karteikartenschränke mehr. Viele seiner Patienten haben zudem die ePa schon freiwillig beantragt (seit 2021 ist das möglich, wurde aber bislang nur von 700.000 der 73 Millionen gesetzlich Versicherten genutzt). „Auf einen Tastenklick kann ich alle Patientendaten einsehen, selbst wenn ich unterwegs bin“, erzählt große Bockhorn.

Das e-Rezept ist aus dem Praxis-Alltag nicht mehr wegzudenken

Die „ePa für alle“, denkt der Allgemeinmediziner, werde seinen Praxis-Alltag weiter vereinfachen, „weil wir damit vielleicht nicht mehr so lange hinter den Entlassbriefen der Kliniken her telefonieren müssen.“ Vorteile erhofft er sich auch für seine Arbeit bei einem ambulanten Palliativdienst. „Wenn ich da nachts am Bett eines Patienten sitze, den ich gar nicht kenne und der nicht mehr in der Lage ist, mit mir zu reden – dann könnte ich in seiner ePa die Informationen finden, die ich brauche. Das bietet ganz viel Sicherheit, für mich und den Patienten.“

Wenig Widersprüche


In den vergangenen Wochen haben die gesetzlichen Krankenkassen ihre Versicherten angeschrieben, sie über die Einführung der elektronischen Patientenakte informiert – und darauf hingewiesen, dass sie auch ablehnen könnten, dass für sie automatisch eine ePA angelegt werde. Jeder fünfte der bundesweit 73 Millionen gesetzlich Versicherten, war erwartet worden, werde einen solchen Widerspruch einlegen. Tatsächlich haben es sehr viel weniger Menschen getan. Die Deutsche Presse Agentur fragte bei AOK, Techniker, Barmer und DAK nach, den vier Krankenkassen, die allein 50 Millionen Menschen versichern. Die Widerspruchsrate läge „im niedrig einstelligen Bereich“ oder sogar „unter ein Prozent“ lauteten die Antworten.

Bis es soweit ist: Brauche man Geduld, betont Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVW und selbst Hausarzt. Bedenken nämlich gibt es noch auf beiden Seiten, bei Patienten wie Praxen. Letztere sorgen sich vor allem um die reibungslose Eingliederung der ePA in ihre Praxisverwaltungsysteme, sie fürchten, künftig doppelt dokumentieren zu müssen. „Entscheidend ist, dass die Anbieter der mehr als 100 verschiedenen PVS-Systeme reibungslose Lösungen hinkriegen“, fordert Schrage. „Von Beginn an, sonst kommt nur Frust auf.“ Doch auch er ist von der ePA überzeugt, selbst „ wenn es anfangs ruckelt, und es wird anfangs ruckeln“. Bei der Einführung des elektronischen Rezeptes habe es zunächst auch Anlaufschwierigkeiten gegeben, „heute ist es aus dem Praxisalltag nicht mehr wegzudenken“.

Sicherheitslücken werden noch ausgemerzt

Patienten sorgen sich vor allem um die Sicherheit ihrer sensiblen Daten in der ePA. Zumal die Gematik, die Nationale Agentur für digitale Medizin, die sie zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium verantwortet, das Sicherheitskonzept gerade vom Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie prüfen ließ – und dabei Zweifel laut wurden. Die Gutachter fanden 21 „Schwachstellen“. „Die ePa ist sehr, sehr sicher, sie erfüllt höchste Sicherheitsstandards“, betont Jakob Scholz, Digital-Health-Experte der KVWL. „Und dass jetzt Schwachstellen gefunden wurde, ist doch gut. Darum haben wir das Konzept prüfen lassen. Sie werden ausgemerzt sein, bevor wir an den Start gehen.“