Düsseldorf. Komfortabel sollte das neue E-Rezept sein. Für viele Patienten in NRW ist es immer noch ein Ärgernis. Hausärzte schlagen Alarm.
Die Umstellung auf das E-Rezept stellt viele Apotheken und Arztpraxen in NRW auch noch zehn Wochen nach dem Start vor Probleme.
E-Rezept: Stundenlange Ausfälle der Technik
Laut dem Hausärzteverband Westfalen-Lippe sorgen technische Störungen aktuell für große Probleme: „Fast täglich kommt es zu mehrstündigen Ausfällen bei der Erstellung von E-Rezepten und beim Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Der Fehler liegt dabei nicht auf Seiten der Praxen oder Apotheken, es ist ein Fehler im Betrieb der Dienste, der damit in der Verantwortung der Betreibergesellschaft Gematik liegt“, erklärte Dr. Jens Grothues, 3. Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, am Mittwoch in einer Mitteilung. „Diese massiven Störungen beeinträchtigen nicht nur die Arbeit der Ärztinnen, Ärzte und Apotheken, sondern auch die Patientenversorgung“, so Grothues weiter.
Der Hausärzteverband Westfalen-Lippe fordert von der Gematik daher eine schnelle Lösung der technischen Defizite. „Es braucht schnellstmöglich einen reibungslosen, zuverlässigen und dauerhaft sicheren Betrieb der Telematikinfrastruktur (TI) und der Dienste, die etwa für den Betrieb des E-Rezeptes verantwortlich sind“, so Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Es sei den Arztpraxen „nicht zumutbar“, so weiterzuarbeiten.“
Hausärzte warnen: Das Vertrauen der Patientinnen und Patienten wird verspielt
Die Digitalisierung in der ambulanten Versorgung solle die Arbeitsabläufe in den Praxen sinnvoll unterstützen. „Sie ist ein wichtiger Baustein für die effiziente und sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten und kann – bestenfalls – Arbeitsabläufe im Praxisalltag vereinfachen und beschleunigen. Im Moment ist allerdings das Gegenteil der Fall“, schreibt Dr. Jens Grothues in der Mitteilung. „Wir Ärztinnen und Ärzte sind bereit, den Weg der Digitalisierung zu gehen. Aber dafür muss sie störungsfrei funktionieren und zu einem echten Mehrwert führen.“ Durch die anhaltenden Störungen werde immer mehr Vertrauen der Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker in die staatlich verordnete digitale Struktur verspielt.
Auch die Apothekerinnen und Apotheker sind mit dem Start des E-Rezeptes unzufrieden. „Das E-Rezept sollte zu Erleichterungen und weniger Bürokratie führen. Das Gegenteil ist der Fall. Insgesamt führt jedes fünfte E-Rezept zu Problemen“, sagte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, Mitte Februar dieser Redaktion. Diese „Problemquote“ hatte Preis schon kurz nach der Einführung des neuen Rezeptes Anfang Januar genannt. Eine nennenswerte Verbesserung scheint es seitdem nicht gegeben zu haben.
E-Rezept: Falsche Verordnung ist nicht so einfach zu korrigieren
Die Apothekerinnen und Apotheker nennen zwei Faktoren, die den Start des E-Rezeptes erschwerten. Erstens lasse die Software in den Arztpraxen zu viele „unplausible“ Medikamenten-Verordnungen zu. Die habe es zwar auch bei den Papier-Rezepten gegeben, solche Probleme seien aber früher unbürokratisch in Absprache mit den Praxen gelöst worden. Das E-Rezept zwinge bei Unklarheiten immer gleich zu einer neuen Verordnung.
E-Rezept: Manche müssen einen Tag lang auf ihre Medizin warten
„Das zweite ganz große Ärgernis ist, dass in vielen Fällen der Patient nach dem Arztbesuch in der Apotheke ist, das Rezept aber noch nicht abgerufen werden kann“, erklärt Preis. Viele Rezepte würden gebündelt erst mittags oder sogar nur einmal täglich abends freigegeben. Patienten müssten teilweise bis zu 24 Stunden warten, um an die Arzneien zu kommen. „Das kann zu gefährlichen Situationen führen, denn so kann eine dringend notwendige Arzneimitteltherapie nicht rechtzeitig beginnen oder nur mit zu langen Unterbrechungszeiten fortgeführt werden“, warnt Preis. Etwa zehn Prozent der E-Rezepte gelangten verzögert in die Apotheken.
Seit dem 1. Januar sind alle Praxen in Deutschland verpflichtet, Rezepte elektronisch auszustellen. Anstelle der gewohnten rosa Zettel können sie über drei Wege eingelöst werden: Indem man die elektronische Gesundheitskarte der Krankenkasse in der Apotheke in ein Gerät steckt, über eine E-Rezept-App oder mit einem ausgedruckten QR-Code auf Papier.
E-Rezept: Das Urteil der Hausärzte fiel zunächst etwas milder aus
Aus der Sicht der Hausärzte in NRW verläuft die Einführung des E-Rezeptes zwar „insgesamt gut“, stelle aber mache Praxis-Teams noch vor Schwierigkeiten. „Viele Praxen haben keine Probleme und sehen eine Arbeitserleichterung. Bei anderen ,ruckelt‘ es noch oft. Die Übertragung der Daten dauert oft zu lange und es kommt während des Uploads immer wieder zu Übertragungsabbrüchen. Das kostet wertvolle Zeit, die dann für die Patienten an anderer Stelle fehlt“, sagte eine Sprecherin des Hausärzteverbandes Nordrhein vor vier Wochen.
Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, erklärte, es gebe „in Einzelfällen“ noch Probleme mit der Praxissoftware. „Wenn ein Software-Update zum Teil zu tagelangen Systemausfällen führt, ist das nicht hinnehmbar. Eine funktionierende Technik ist Grundvoraussetzung für eine Erfolgsgeschichte des E-Rezeptes“, so Rettstadt.
Laut dem Bundesgesundheitsministerium bietet das neue elektronische Rezept (E-Rezept) den Patientinnen und Patienten „mehr Komfort“, weil sie sich nun die altmodischen Papierrezepte und viele Wege in Arztpraxen sparen könnten. Tatsächlich aber stoßen viele Versicherte in den ersten Wochen nach dem Start dieses Rezeptes auch auf Nachteile. Ihr wohl größtes Problem: die zum Teil längere Wartezeit auf Medikamente.
Verbraucherzentrale NRW meldet große Nachfrage nach E-Rezept-Kurs
Die Verbraucherzentrale NRW (VZ) bietet ab dem heutigen Montag einen kostenlosen „Online-Selbstlernkurs“ zum E-Rezept an, für den sich Interessierte auch jetzt noch anmelden können. Rund 500 Frauen und Männer haben schon ihr Interesse bekundet. Für Sabine Wolter, Referentin für Gesundheitsrecht bei der Verbraucherzentrale NRW, ist diese Nachfrage ein Beleg dafür, dass der Informationsbedarf zum E-Rezept nach wie vor groß sei.
Zum Start sei die Verunsicherung bei vielen Verbrauchern groß gewesen, erklärt Wolter. Ein Ärgernis für viele sei, dass die Patienten ohne Papierrezept nicht mehr gleich prüfen könnten, ob ihnen auch das „richtige“ Medikament verordnet worden sei. Bis in die zweite Januarwoche hätten Verbraucherinnen und Verbraucher berichtet, dass manche Praxen trotz der gesetzlichen Verpflichtung noch keine E-Rezepte ausstellen konnten.
Oftmals hätten Praxis-Teams Probleme gehabt, die Fragen der Patienten zu beantworten, zum Beispiel zur E-Rezept-App. An diese App trauen sich viele Menschen noch nicht heran. Die meisten lösten das neue Rezept über die Gesundheitskarte der Krankenversicherungen ein, so Wolter.
Warum manche Mediziner die E-Rezepte erstmal „sammeln“
Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die sich wegen des E-Rezeptes ratsuchend an die Verbraucherzentralen wenden, beschwerten sich aber darüber, dass Sie das Rezept nach dem Arztbesuch nicht direkt in der Apotheke einlösen könnten.
„Das liegt daran, dass viele Ärzte die Rezepte gesammelt, zum Beispiel nach der Sprechstunde am Abend, mit der so genannten ,Stapelsignatur‘ digital unterschreiben. Sie nutzen nicht die Möglichkeit, per ,Komfortsignatur‘ das Rezept gleich nach dem Termin zu unterzeichnen“, erklärt Sabine Wolter. Betroffene sollten daher gleich in der Praxis fragen, wann das Rezept voraussichtlich zur Verfügung stehe.
Aus Sicht der Verbraucherzentrale NRW handelt es sich um „Anlaufprobleme“ aufgrund von technischen Problemen und der Unerfahrenheit einiger Patientinnen und Patienten. Beschwerden über wirklich große oder langanhaltende Störungen registriere die VZ allerdings nicht.
E-Rezept: Musste man es ausgerechnet in der Grippesaison einführen?
Die Zwischenbilanz der Hausärztinnen und Hausärzte zum E-Rezept fällt insgesamt besser aus als die der bei diesem Thema sehr kritischen Apotheken. Der Hausärzteverband Nordrhein hält aber den Zeitpunkt der Einführung „mitten in der Grippesaison“ nicht für ideal. „Wir haben davor immer gewarnt, da wir aus anderen Bereichen mit der Gematik ja schon die technischen Schwierigkeiten kennen“, sagte eine Verbandssprecherin. Die Gematik, also die mehrheitlich bundeseigene Nationale Agentur für digitale Medizin, müsse jetzt beim E-Rezept schleunigst auf das neueste technische Level kommen.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, Lars Rettstadt, meint, die Umstellung aus E-Rezept habe in den Praxen insgesamt gut funktioniert. In Einzelfällen gebe es allerdings noch Probleme mit der Praxissoftware. „Wenn ein Software-Update zum Teil zu tagelangen Systemausfällen führt, ist das nicht hinnehmbar. Eine funktionierende Technik ist Grundvoraussetzung für eine Erfolgsgeschichte des E-Rezeptes“, so Rettstadt.
Hoffnung: Wenn‘s erst mit der Technik klappt, wird das E-Rezept akzeptiert
Wenn das E-Rezept erst in den digitalen Praxisalltag eingebaut und man im Umgang geübt sei, bedeute es eine Verbesserung, sowohl für die Teams in den Hausarztpraxen als auch für die Patientinnen und Patienten. Rettstadt: „Gerade bei chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten bietet es viele Erleichterungen, weil sie nicht mehr für jedes Rezept in die Praxis kommen müssen.“ In einem technisch einwandfreien E-Rezept stecke eine „große Chance“.
Laut Rettstadt reagierten die Patientinnen und Patienten gelassen auf die Neuerung. Meist würden sie darin einen Mehrwert für sich sehen. Wenn die Technik erst richtig laufe, sei das E-Rezept für alle Seiten eine unkomplizierte und schnelle Angelegenheit.
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