Menden/Märkischer Kreis. Was können Frauen tun, wenn sie von ihrem Partner misshandelt werden? Interview mit der Opferschutzbeauftragten der Polizei, Dorothee Klein.

Mehr als 700 Fälle häuslicher Gewalt gibt es durchschnittlich Jahr für Jahr im Märkischen Kreis. Das aber ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer ist mutmaßlich hoch. Was aber können betroffene Frauen – nur selten sind Männer Opfer – unternehmen, um sich zu wehren? Wir haben die Opferschutzbeauftragte der Polizei des Märkischen Kreises, Kriminalhauptkommissarin Dorothee Klein (52), gefragt.

Welche Hilfe gibt es für Frauen, die von ihrem Partner geschlagen werden?

In der Regel sprechen wir von der Polizei ein zehntägiges Rückkehrverbot gegen den Täter aus. Er darf in dieser Zeit also nicht in die Wohnung. Und das wird durch Bezirksbeamte vor Ort auch überprüft.

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Und danach?

In den zehn Tagen können sich die Frauen übers Amtsgericht die Wohnung zuweisen lassen. Das heißt, dass der Mann die Wohnung in der Regel ein halbes Jahr nicht betreten darf. Manchmal auch weniger oder mehr, je nach Richterentscheid.

Halten sich die Täter denn an das Verbot, die Wohnung zu betreten?

In vielen Fällen sind die Männer leider schon nach ein paar Tagen wieder in der Wohnung – und das ist ein Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz. Es gibt auch Fälle, in denen wir wissen, dass es dort häusliche Gewalt gibt. Da gibt es dann besondere Schutzmaßnahmen und die Kollegen fahren dort öfter vorbei. Fest steht aber auch: Es gibt Täter, die hierdurch nicht abgeschreckt werden. Manche Täter lassen sich durch nichts abschrecken.

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Symbolbild: Ein als Silhouette abgebildeter Mann droht einer Frau mit der Faust. Mehr als 700 Fälle häuslicher Gewalt gibt es jedes Jahr im Märkischen Kreis – und das ist mutmaßlich nur die Spitze des Eisbergs.
Symbolbild: Ein als Silhouette abgebildeter Mann droht einer Frau mit der Faust. Mehr als 700 Fälle häuslicher Gewalt gibt es jedes Jahr im Märkischen Kreis – und das ist mutmaßlich nur die Spitze des Eisbergs. © picture alliance / dpa | Jan-Philipp Strobel

Warum werden Männer gegenüber ihrer Partnerin gewalttätig?

Das hat ganz viel mit Kontrolle zu tun. Oft sind es Männer, die ein geringes Selbstwertgefühl haben. Deshalb wollen sie Macht über ihre Partnerin haben und brauchen die Kontrolle. Hinzu kommt, dass auch Alkoholkonsum eine große Rolle spielt. Gewalt ist ein erlerntes Verhalten. Das ist klassisches Lernen am Modell: Die späteren Täter haben in der Regel schon als Kind entweder selbst oder zwischen den Eltern Gewalt erlebt.

Handelt es sich bei den Fällen häuslicher Gewalt, in denen Sie involviert sind, um einmalige oder wiederkehrende Fälle?

Ich habe hier Namen, die lese ich alle vier Wochen. In den meisten Beziehungen werden die Frauen „rückfällig“. Nach der Gewalt ist dann Honeymoon angesagt: Das ist die Entschuldigungsphase des Täters. Er macht Versprechungen, ist lieb, lädt die Frau zum Candle-Light-Dinner ein – bis zum nächsten Mal. Wenn er wieder einen Fuß in der Tür hat und ins gewohnte Umfeld zurückgekehrt ist, geht es mit der Gewalt weiter. Das ist oft eine Gewaltspirale.

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Landen die Täter denn irgendwann vor Gericht?

Die wenigsten Fälle häuslicher Gewalt kommen vor Gericht. Viele Frauen ziehen den Strafantrag zurück.

Welche Hilfen gibt es sonst noch für betroffene Frauen?

Es gibt ein neues Programm, das heißt „Operativer Opferschutz“. Das kann dann eingesetzt werden, wenn wir glauben, dass der Mann die Frau umbringen will. Dann wird die Frau mit ihren Kindern in ein anderes Bundesland gebracht und bekommt einen anderen Namen. Sie muss bereit sein, den Kontakt zu allen Menschen abzubrechen, die dem Mann Hinweise auf ihren Aufenthaltsort geben könnten. Das kann auch bedeuten, den Kontakt zu den Eltern und Geschwistern abzubrechen. 90 Prozent der Frauen halten das nicht durch und nehmen selbst wieder Kontakt auf.

Lotsin für betroffene Frauen vor Ort

Auch vor Ort in Menden können von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen Hilfestellung bekommen. Andrea Swoboda, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Menden, vermittelt auf Wunsch Kontakte.

Als Gleichstellungsbeauftragte nimmt Andreas Swoboda regelmäßig am Runden Tisch des Nordkreises zum Thema teil. Hier sind weitere Stellen wie beispielsweise Frauenhaus und Frauenberatungsstelle, Gleichstellungsbeauftragte anderer Städte sowie verschiedene Institutionen involviert: „Wir tauschen uns aus und gucken, wie wir noch mehr Hilfestellung geben können.“

Das Wichtigste: „Die Initiative muss von den Frauen ausgehen“, sagt Andrea Swoboda „Wenn die Frauen nicht wollen, dann können wir nichts tun. Wir können die Frauen aber sicherlich bestärken und begleiten auf ihrem Weg.“ Andrea Swoboda sieht sich vor allem als Lotsin, aber auch „als Mutmacherin und Begleiterin“, die betroffenen Frauen mit den entsprechenden Kontakten weiterhilft.

Kontakt zur städtischen Gleichstellungsbeauftragten Andrea Swoboda: 02373-903-1540, Mail: a.swoboda@menden.de.

Warum glauben die Frauen den Versprechungen ihres Partners und geben ihm immer wieder neue Chancen?

Zum einen ist ganz viel Scham mit dem Erlebten verbunden. Und zum anderen haben die Frauen meistens ein geringes Selbstwertgefühl und denken, dass sie es alleine – vielleicht mit Kindern – nicht schaffen und den Mann brauchen. Darüber hinaus glauben sie oft ihrem Partner, dass er ja eigentlich nicht gewalttätig ist und nur weil er Alkohol getrunken hat, zugeschlagen hat.

Das heißt, dass die Hilfsangebote oft gar nicht angenommen werden?

Ja, das ist leider so. Wenn meine Kollegen Freitag zu einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt gerufen werden und ich Montag die Frau kontaktiere, heißt es oft: „Nein, alles wieder in Ordnung, ich brauche keine Beratung.“ Die Hilfe ist da, aber sie muss auch angenommen werden. Konsequenz – das ist das Wichtigste. Die Frau muss das Ganze dann auch durchziehen.

Wie oft kommt der umgekehrte Fall vor, also dass eine Frau ihren Mann schlägt?

Da gab es im vergangenen Jahr 36 Männer im Märkischen Kreis, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Da ist ganz oft Alkohol im Spiel. Und in der Regel sind es Frauen, die sich wehren und dann zurückschlagen.

Sie sind als Opferschutzbeauftragte erste Ansprechpartnerin für die Betroffenen. Wie geht es dann weiter?

Ich vermittele nach Bedarf an verschiedene Stellen weiter. Da gibt es etliche Möglichkeiten. Zum Beispiel gibt es in der Frauenberatungsstelle auch eine Trauma-Fachberatung. Denn viele Opfer sind traumatisiert. Dann gibt es in Iserlohn eine Trauma-Ambulanz des LWL, die für den ganzen Märkischen Kreis zuständig ist.

Welche Unterstützung gibt es für Männer?

Es gibt in Olpe eine Männerberatungsstelle. Dorthin können sich sowohl Täter als auch Opfer wenden. „Echte Männer reden“ ist da das Motto. Im Märkischen Kreis gibt es bislang keine vergleichbare Einrichtung. Dass Männer sich als Täter dorthin wenden und sich Hilfe suchen, setzt voraus, dass sie ihr Verhalten reflektieren und wissen, dass sie Hilfe brauchen. Das passiert in der Regel nicht.

Kontakte und Hilfsangebote

Beim Opferschutz der Polizei gibt es eine Fülle von weitergehenden Informationen mit zuständigen Ansprechpartnern und Einrichtungen, die sich bei häuslicher Gewalt kümmern. Darunter sind beispielsweise auch Broschüren in 17 Sprachen sowie eine Broschüre in Leichter Sprache für Menschen mit einer geistigen Behinderung.

Im Jahr 2020 gab es im Märkischen Kreis 731 Fälle häuslicher Gewalt – Opfer waren hier Frauen, Männer oder Kinder. Im Jahr 2021 waren es 701 Fälle, die bei der Polizei aktenkundig wurden. Für 2022 gibt es derzeit noch keine Gesamtzahlen.

Kontakt zum Opferschutz der Polizei: 02372/9099-5517 (Kriminalhauptkommissarin Dorothee Klein), 02372/9099-5518 (Kriminalhauptkommissar Christian Vogel) und 02372/9099-5510. Hotline: 02371/9199-7777.

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000116016.

Frauenhaus Iserlohn: 02371/12585.

Frauenberatungsstelle MK: 02372/8440122.

Rechtsantragstelle beim Amtsgericht Menden: 02373/95920

Wie erfährt die Polizei von Fällen häuslicher Gewalt? Melden sich die Betroffenen selbst?

Meistens sind es Nachbarn, die uns anrufen. Die Frauen selbst rufen eher an, wenn sie sich zum Beispiel ins Schlafzimmer retten und einschließen konnten. Es gibt auch ganz viel Gewalt in reicheren Gegenden – da hören es die Nachbarn nur nicht, weil das nächste Einfamilienhaus erst ein paar Meter weiter steht.