Attendorn. Die Hansestadt feiert in diesem Jahr 800-jähriges Jubiläum. Ex-Stadtarchivar Otto Höffer hat vier Jahrzehnte lang die Historie aufgearbeitet.
Das Stadtarchiv ohne Otto Höffer? Ohne den Mann, der es aufgebaut hat? Für viele Attendorner ein kaum vorstellbarer Gedanke, der nun aber Realität ist. Denn der 66-Jährige, der sich vier Jahrzehnte lang mit der Historie der 800 Jahre alten Hansestadt beschäftigt hat, ist Ende Februar in den Ruhestand gegangen und hat die Verantwortung in die Hände seines Nachfolgers Tammo Fuchs gelegt. Wir haben mit „Mister Stadtarchiv“, der eigentlich Lehrer werden wollte, über seine Zeit im Attendorner Stadtarchiv ausführlich gesprochen. Und dabei spannende Einblicke erhalten.
Sie wurden vor 40 Jahren ins kalte Wasser geworfen, nachdem ihnen der damalige Stadtdirektor Sperling den Job als erster Stadtarchivar anbot. Wie war das?
Otto Höffer Das war unglaublich und eine wahnsinnige Zeit. Ich musste das Stadtarchiv von Null an aufbauen. Fest angefangen habe ich nach meinem Staatsexamen im Frühjahr 1983, da war ich 27 Jahre jung. Ich habe während meines Lehramtsstudiums – eigentlich wollte ich Musik und Geschichte unterrichten -- bei den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe eine Archivar-Ausbildung gemacht. Die habe ich 1983 abgeschlossen und durfte somit ein Stadtarchiv leiten. Von der Theorie her wusste ich also, was zu machen ist. Schon im Februar 1982 hatte ich die ehrenamtliche Leitung des Stadtarchivs übernommen.
Und von der Praxis?
Ich habe davon profitiert, dass mich die Familienforschung schon mit 18 Jahren gepackt hat und ich damals viel Zeit im Pfarrarchiv verbracht habe. Das war mein Hobby. Als ich dann Stadtarchivar wurde, hatte ich bereits Erfahrung im Lesen alter Schriften und wusste, wie ein Archiv aufgebaut ist.
Wie bewerten Sie im Rückblick ihre Anfangszeit?
Sie war sehr turbulent. Jeder Mitarbeiter im Rathaus hatte Zugang zu der Altregistratur, jedes Amt hatte seinen eigenen Registratur-Keller, es gab keine Ordnung. Ich habe angefangen zu sortieren. Es gab noch keine Computer, deswegen habe ich alles auf Karteikarten handschriftlich erfasst. Mit heutigen Verhältnissen ist das nicht zu vergleichen. Als Ende der 80er Jahre der PC kam, war das eine große Erleichterung. Wenn wir heute etwas suchen in unserem Archivprogramm, bei fast 20.000 Akten, ist das nur noch ein Knopfdruck.
Wie lange hat das gedauert, bis Sie einen Überblick hatten?
Etliche Jahre. Die alten Bestände beginnen mit dem Stadtbrand von 1783. Bei diesem Ereignis ist das gesamte mittelalterliche Stadtarchiv abgebrannt. Ab diesem Zeitpunkt haben wir aber Überlieferungen. Im ältesten Aktenbestand liegen mehr als 900 Akten, mit Schriften ab 1783. Allein für diesen alten Aktenbestand habe ich fast neun Jahre gebraucht, um ihn zu sortieren und inhaltlich zu erschließen, weil die Überlieferungen heute kaum noch ein Mensch lesen kann.
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Also gibt es keine Überlieferungen über das Leben in Attendorn vor diesem Brand?
Nur wenige. Deswegen war mein Bestreben in all den Jahren, aus allen möglichen Sekundärquellen Wissen über unsere Stadt einzuholen. Das war schwerpunktmäßig in den Adelsarchiven, hauptsächlich im Archiv des Freiherrn von Fürstenberg in Herdringen, zu finden. Die Akten dort gehen zurück bis 1280. Rund 7000 Pergamenturkunden und etwa genauso viele Akten aus dieser Zeit habe ich in den letzten 35 Jahren inhaltlich erschlossen. Die meisten dieser Unterlagen haben mit den Burgen Schnellenberg und Waldenburg sowie der Stadt zu tun. Hinzu kommen alte Schriftstücke aus den kirchlichen Archiven und aus den Staatsarchiven. Das ist ein großer Fundus.
Was hat Ihnen bei der Arbeit am meisten Freude bereitet?
Stadtarchivar in einer kleinen Stadt wie Attendorn zu sein, war sehr spannend, weil jeden Tag etwas anderes zu tun war. Im Laufe der Jahre wurde das lückenhafte Mosaik unserer Stadtgeschichte immer greifbarer und dichter, mit jedem Schriftstück, das wir in die Hände bekamen.
Mit welchen Hürden wurden Sie im Laufe der Jahre konfrontiert?
In 40 Jahren passiert viel. Zum Beispiel die Phase von 1991 bis 2003, da übernahm ich mit Ludwig Korte und Uli Goebel quasi nebenbei die kommissarische Museumsleitung. Da bin ich ehrlicherweise auch an Grenzen gestoßen. Große Herausforderungen gibt es als Stadtarchivar aber immer.
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Gab es Schnittpunkte bei ihrer Arbeit als Stadtarchivar und Museumsleiter?
Wir haben im Stadtarchiv hauptsächlich schriftliche Überlieferungen, im Museum sind es die historischen Sammlungsstücke. Das war und ist eine ideale Kombination. Die Geschichte dieser Exponate historisch hinterfragen zu können, ist äußerst spannend. Ein Beispiel: Wir haben damals das mittelalterliche goldene Altarkreuz aus der Pfarrkirche untersucht. Dafür haben wir den Auftrag vergeben an eine Kreuz-Spezialistin aus Münster. Es stellte sich heraus, dass das Kreuz aus dem 14. Jahrhundert stammt. Solche Kreuze gab es vor allem im Ostseeraum, also dort, wo die Attendorner Hanseleute tätig waren. Die Kaufleute haben dieses Kreuz wahrscheinlich hierhergebracht.
34 Jahre im Elferrat, 25 Jahre Chorleiter des Männergesangsvereins
Otto Höffer wurde im Jahr 1956 geboren. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhne – Christoph und Sebastian.Der Stadtarchivar im Ruhestand kommt selbst aus Attendorn. Die Familie Höffer ist seit 1457 in Attendorn nachgewiesen. Schon seit frühester Kindheit lebte Höffer das Brauchtum und das Vereinsleben in Attendorn hautnah mit und prägte dieses auch. So war er 34 Jahre im Elferrat, davon sechs Jahre Präsident der Karnevalsgesellschaft. 25 Jahre war er Chorleiter des Männergesangsvereins.Während seiner Zeit als Stadtarchivar brachte Höffer 37 Publikationen heraus, darunter kleine Schriften und historische Texte, drei Bände über Dörfer und vier Bände über die Attendorner Geschichte. In den Jahren 1982 bis 1990 war Otto Höffer alleine im Stadtarchiv tätig. Seit 1990 gibt es einen zweiten Mitarbeiter. Sein Nachfolger ist Tammo Fuchs.
Haben Sie viel über die Attendorner Geschichte gelernt, von der Sie vorher nichts wussten?
Eine ganze Menge, wo soll ich da anfangen? Nehmen wir das Alter unserer Schützengesellschaft. Bis in die 90er Jahre war es festgeschrieben auf das Jahr 1410. In Worms gab es in den 90er Jahren eine große Ausstellung zum 700-jährigen Jubiläum des Rheinischen Städtebunds, dem Attendorn 1255 beigetreten ist. In dem Ausstellungskatalog war die Beitrittsurkunde von Attendorn abgedruckt, die ich damals nicht kannte. Durch die wissenschaftliche Untersuchung kam heraus, dass nur solche Städte Mitglied werden konnten, die in der Lage waren, sich selbst und andere Städte zu verteidigen. Erzbischof Engelbert von Köln verlieh im Jahr 1222 Attendorn die Stadtrechte und gab unserer Stadt das Recht, eine neue Stadtbefestigung zu bauen. Dazu gehörte auch eine Stadtmauer mit Toren und Türmen. Sie musste verteidigt werden und das war Aufgabe der Schützen. Sie muss es also schon 1222 gegeben haben. Deswegen haben wir das Gründungsdatum der Schützengesellschaft von 1410 auf 1222 zurückdatiert.
Sehr spannend. Wie war es mit dem Karneval, der im Kattfillerland eine große Rolle spielt?
Die Karnevalsgesellschaft ging stets davon aus, im Jahr 1888 gegründet worden zu sein. 1988 wollten die Karnevalisten daher ihr 100-Jähriges feiern. Ich fand damals rein zufällig eine Zeitungsannonce von 1863 über den Veilchendienstag in Attendorn. Das war die erste urkundliche Erwähnung des Karnevalsumzuges. 1988 haben wir also schon 125-Jähriges gefeiert. Das war eine kleine Entdeckung mit großer Auswirkung.
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Selbst nach Feierabend hat Sie der Job nie losgelassen. Wieso nicht?
Weil ich die Kirchengeschichte aufarbeiten wollte. Aus der Pfarrei Attendorn ist im Grunde die Stadt hervorgegangen. Es gibt ein sehr altes Pfarrarchiv. Dort finden sich Originalurkunden ab 1329. Die sind glücklicherweise nicht Opfer unserer Stadtbrände geworden. Deshalb haben wir vieles aus der Zeit vor den Stadtbränden im Kirchenarchiv. Das habe ich parallel in all den Jahren mitbetreut, und zwar nach Feierabend. Es vergeht heute kein Abend, an dem ich nicht eine Stunde oder mehr am PC sitze und nachforsche. Ich möchte eines Tages die Geschichte der Burgen Schnellenberg und Waldenburg zu Papier bringen. Dafür habe ich in Herdringen unheimlich viel Material gefunden. Und ich werde im Laufe dieses Jahres eine große Quellensammlung zur Geschichte der Pfarrei vorstellen, passend zur 950-jährigen Wiederkehr der urkundlichen Ersterwähnung. Daran habe ich mein Leben lang gearbeitet.
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Wie hat sich die Digitalisierung innerhalb der Jahre entwickelt?
Das wird vor allem die Hauptaufgabe meines Nachfolgers. Es geht in erster Linie darum, dass die digitalen Dokumente auch in 50 Jahren noch lesbar sind. Unsere Dokumente werden dafür in ein digitales Langzeitarchiv überführt. Daran arbeiten wir unter Hochdruck.
Gibt es etwas, dass Sie ihrem Nachfolger an die Hand geben möchten?
Ich hatte das komfortable Zeitfenster von zehn Monaten, um ihn einzuarbeiten. Er hat drei akademische Abschlüsse. Ich habe ihm die Praxis übergestülpt, jetzt muss er einfach marschieren. Da muss sich niemand Sorgen machen.
Ein Sprung in die Zukunft. Wie stellen Sie sich das Stadtarchiv in zehn Jahren vor?
Es wird nicht mehr so sein, dass der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung analoger Unterlagen liegt, so wie ich es gemacht habe. Die Kernaufgabe wird die Digitalisierung sein. Das ist eine unglaubliche Herausforderung. Es geht darum, die Öffentlichkeit miteinzubinden und unser Stadtarchiv modern aufzustellen. Ich bin überzeugt: Das wird meinem Nachfolger gelingen.
Nun überlassen Sie die Arbeit im Stadtarchiv ihrem Nachfolger Tammo Fuchs. Wie werden Sie Ihre freie Zeit nutzen?
Ich bin seit fast 30 Jahre Mitglied des Kirchenvorstands. Ein großes Projekt wird die Einrichtung eines Pastoralverbundarchivs sein. Das ist ein Pilotprojekt im Erzbistum Paderborn, bei dem von allen Kirchengemeinden, die der Pfarrei Attendorn angeschlossen sind, die Archive zusammengeführt werden. Damit diese auch künftig gesichert aufbewahrt werden. Und auch die Burgführungen werde ich weiterhin machen. Ich freu mich aber auch auf meinen Garten. Ich werde vielmehr Zeit für meine Familie haben. Chorgesang und Orgelspiel gehören natürlich in der Zukunft auch dazu. Also langweilig wird es mir sicher nicht.