Hagen. Drei Stunden auf Corona-Patrouille mit drei Ordnungsamtskollegen. Eine Rundfahrt zwischen Kontrolldruck und Respektlosigkeiten.
Als die beiden Kollegen des Ordnungsamtes die Sportfläche im Hameckepark betreten, ist es, als würde ein Kind Tauben auf dem Markusplatz in Venedig jagen. Rund 80 Menschen quatschen, kicken, spielen Basketball. Eine unglaubliche Ansammlung, gerade so, als würde es Corona und das ganze Regelwerk überhaupt nicht geben. Der Großteil nimmt die Beine in die Hand. Vier bleiben stehen. Sie kramen Zettel hervor. Ihr Freifahrtschein. Darauf steht offiziell: Sie sind genesen.
Als der Sommer endlich beginnt, diese Stadt heimzusuchen, hat sich die Stadtredaktion auf den Weg gemacht. Beobachterrolle bei Coronaschutz-Kontrollen, knappe drei Stunden lang. Was erleben die Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes, wenn sie an solchen Tagen mit Sonne und Feierabendstimmung losziehen? Und was macht es eigentlich mit den Menschen, die da in den Uniformen stecken, bewaffnet und gesichert, wenn sie schon wenige Minuten nach einer Hotspot-Kontrolle in sozialen Netzwerken lesen könnten, dass die Ecke, in der sie kontrollieren eigentlich die falsche ist und sie ja ohnehin überhaupt nicht richtig durchgreifen?
Trink-Gelage in der Augustastraße aufgelöst – Aufklärung und bestimmte Ansprache
Der Bulli vom Ordnungsamt rollt durch die Augustastraße. Vielleicht 200 Meter entfernt plötzlich hektisches Treiben an einer Trinkhalle, wo sich ein gutes Dutzend Leute die Woche bei der Flasche Bier noch mal durch den Kopf gehen lässt. Masken? Fehlanzeige. Abstände: nein. Einer der Kollegen hält an, springt raus, geht zügigen Schrittes auf die Herrschaften zu. Er klärt auf. Dann geleitet er die Trinkenden langsam weg von der Trinkhalle. Die Szene scheint eine Kleinigkeit. Routinierteste Routine, wie die Kollegen sie seit 14 Monaten erledigen. Die gemaßregelte Gruppe bleibt etwas verärgert zurück, aber ohne Motzen. Das wird jetzt gleich am Bodelschwinghplatz ganz anders aussehen.
Polizisten und Ordnungshüter hören sich jede Menge Entschuldigungen an
An der vorbeiführenden Wehringhauser Straße lehnen junge Männer an einer Hauswand, denen die Corona-Regeln egal zu sein scheinen. Ein junger Mann treibt es auf die Spitze. Nach dem Ordnungsamtsmitarbeiter Manuel Rogowski – ein trainierter, großer Mann mit Schutzweste, Uniform, Waffe im Halfter – sich vor ihm aufbaut, versucht der Ertappt, die Szene mit Ignoranz wegzubügeln. Der Bitte, sich auszuweisen, kommt er nicht nach. Es ist Freitagnachmittag, 17.30 Uhr, die Woche klingt scheinbar friedlich aus, aber der junge Mann lässt es wirklich darauf ankommen, sich von der herbeigerufenen Polizei und in Handschellen ins Gewahrsam bringen zu lassen. Vergeudung von persönlicher öffentlicher Freiheit, die doch ohnehin eingeschränkt ist in diesen Tagen.
Kontrollierte Person spricht vor Polizisten von „Bullen“
Nur wenige Meter weiter in Richtung der neuen Freizeitanlage „Bohne“ hat man sich an der Seite eines Wohnhauses gleich einen Holztisch nach draußen gestellt. Bierpullen drauf, hoch die Tassen. Masken- und abstandsfreies Abhängen. Ordnungsamt und Polizei stehen jetzt im Halbkreis um den Tisch herum und hören sich zunächst völlig haltlose Entschuldigungen an. Oft kämen die „Bullen“, sagt ein aufgebrachter Herr, Brustkorb voraus, ziemlich laut redend. Während er das sagt, fällt ihm wohl auf, dass er jene „Bullen“ gerade vor sich stehen hat und rudert zurück. „Polizisten natürlich“.
Kontrolliert und wieder aufgefallen: Minuten später ist alles wieder wie vorher
Die Runde wird aufgelöst. Der Herr, der Polizisten mit Bullen gleichsetzt, steht wenige Minuten später aber in der Parkanlage wieder im Blickpunkt einer Kontrolle. Während Manuel Rogowski und Kollege Felix Burwitz sich das Wort hier verbal und mit überdeutlicher Körpersprache erkämpfen müssen, krakeelt ein angetrunkener Mann, der neben seinem Kumpel ohne Maske auf der Wiese liegt: „Ihr braucht nicht mit mir zu reden, als wenn ich ein kleiner Junge wäre.“ Bei allem Respekt: Die Szenerie lässt das Gegenteil vermuten.
Die Bohne ist patrouilliert. Nachfrage bei Felix Burwitz, Manuel Rogowski und dem weiteren Kollegen Julian Gante: „Lesen Sie von der vielen Häme, die da oft auf das Ordnungsamt niedergeht?“ „Ja, wir kriegen das mit, und das ist oft traurig“, sagt Felix Burwitz. „Wir machen diese Arbeit gut. Wir wissen das, weil wir die Gebiete und die Lagen kennen und sehen, was unsere Kontrollen und Ansprachen bringen. Es ist doch aber auch klar, dass wir nicht gleichzeitig an allen Brennpunkten sein können.“
Ordnungsamtskollegen stehen vom Image her hinter Polizei und Feuerwehr
Zu der mangelnden Wertschätzung käme noch hinzu, dass die Ordnungsamtskollegen „vom Standing her“ hinter Polizei und Feuerwehr deutlich zurückstehen würden. „Zum Beispiel,“, sagt Lichtenberg, „wenn wir vor einer Pizzeria anhalten, um uns in einer Pause eine Pizza zu holen, ist das Foto mit jeder Menge blöder Kommentare sofort im Netz. Wenn die Feuerwehr das tut, sind es die Lebensretter, die verdient Pause machen.“
Der Hass und die Respektlosigkeiten, die beispielsweise Politessen entgegenschlagen, sind in abgewandelter Form auch bei den Corona-Kontrollen zu spüren. Hier kommt zur Abneigung gegen die Ordnungskräfte noch der ideologische Konflikt hinzu. Dass Corona in den Augen vieler Kontrollierter nämlich entweder nicht schlimm, nicht existent oder gar erfunden ist.
Der regeltreue Bürger im Fokus: „Wir wissen, für wen wir das hier machen“
„Man darf nie vergessen, für wen wir das hier machen. Nämlich für die 90 Prozent der Bevölkerung, die sich an die Regeln halten und die verdient haben, dass man diejenigen aufsucht, die das nicht tun. Und eines muss man auch dazu sagen: Es gibt sehr viele Menschen, die wirklich dankbar sind, für das, was wir tun“, sagt Felix Burwitz.
Im Hameckepark ist es brechend voll an diesem Tag, Familien belagern die Wiesenflächen, aber alle halten sich an die Regeln. Dass ein kleines Mädchen einen kräftigen Listenhund an der Leine spazieren führt: an diesem Nachmittag nur ein kleiner Hinweis und Verständnis beim dahinter folgenden Vater.
„Das Wort Allgemeinverfügung kannte doch vor Monaten noch keiner“
Thomas Lichtenberg, seines Zeichens Chef des Ordnungsamtes, ist in einer Zeit Leiter dieser Behörde, die mit der all seiner Vorgänger unvergleichbar ist. „Dass der Bereich der öffentlichen Sicherheit mal so in den Fokus geraten würde und wir solche Eingriffe in das Leben der Menschen vornehmen müssen, hätte ich niemals geglaubt“, sagt er. Das Wort „Allgemeinverfügung“ habe doch vor 14 Monaten noch niemand gekannt.
Hauptbahnhof. Vorplatz. Sinnbild für lasche Regelauslegungen und Coronaschutz-Ignoranz in den vergangenen Wochen. Die Ordnungsbehörden halten den Kontrolldruck hoch. „Aber auch hier gilt: Wir kommen, die Masken gehen hoch und die Leute verschwinden. Wenn wir weg sind und nach einer Viertelstunde wiederkommen, ist alles so wie vorher“, sagt Thomas Lichtenberg. Stress gibt es keinen. Auch wenn man als Beobachter manchmal das Gefühl hat, dass gleich die Fetzen fliegen.
Rogowski, Burwitz und Pohl fahren in die Nacht. „Seht ihr die Gruppe auf zwölf Uhr?“ hört man Julian Gante noch über Funk sagen. Da sind schon die nächsten, die sich nicht an die Regeln halten.
Die personelle Ausstattung des Stadtordnungsdienstes und die Perspektive
Im Ordnungsdienst der Behörde – also in den Truppen, die wirklich auf der Straße für Ordnung sorgen – arbeiten in Hagen aktuell 16 Leute in einem Schichtsystem.
In der Theorie wäre ein Mitarbeiter pro 10.000 Einwohner wünschenswert in Hagen, aber im Vergleich und angesichts der Finanzsituation stehe die Stadt mit dieser Ausstattung gut da, sagt auch Ordnungsamtschef Thomas Lichtenberg.
„Wir wissen doch auch, dass viele Sachen, die wir den Leuten heute erzählt haben, am Wochenende schon gar keine Gültigkeit mehr haben können. Dann müssen auch wir uns auf neue Lockerungslagen einstellen. Schön ist es nicht, in so einer ungewissen Phase immer wieder aufklären zu müssen“, sagt Lichtenberg und wünscht sich mehr Verlässlichkeit.