Eslohe/Drolshagen. Das Altarbild für die Clemens-Kirche in Drolshagen sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Jetzt meldet sich Künstler Thomas Jessen selbst zu Wort.

Ein Altarbild, das Maria in Pullover und Jeans zeigt. Das Werk, das der Esloher Maler Thomas Jessen für die Drolshagener St.-Clemens-Kirche gemalt hat, sorgt bundesweit für Schlagzeilen und eine ganze Menge Aufregung. Jessen selbst kann den Rummel nicht nachvollziehen. Ein wenig freut er sich allerdings darüber. Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr Jessen, können Sie die Aufregung um ihr Bild nachvollziehen?

Thomas Jessen Nein! Ich denke auch, dass man das Ganze relativieren muss. Vor Ort in Drolshagen erlebe ich diese Aufregung überhaupt nicht. Der Rummel, den dieses Bild ausgelöst hat, ist eher durch die Medien hervorgerufen worden. Das Bild hat vor allem auf den Internetseiten der Zeitungen und Fernsehsender sowie in den Sozialen Netzwerken negative Reaktionen hervorgerufen. In Drolshagen selbst habe ich in erster Linie konstruktive Fragen zum Thema gehört - allerdings völlig unaufgeregt. Dort steht die politische Gemeinde ebenso wie die Kirchengemeinde dahinter. Ich glaube eher, dass die Medien hier etwas gesucht haben, was sie thematisieren können.

Wie bewerten Sie die kritischen Facebook-Kommentare?

„Der Künstler hat das Wort“ -  unter dieser Überschrift stand ein geistliche Abendimpuls in Drolshagen, zu dem Thomas Jessen  aus Eslohe angereist war und Details zu dem von ihm gemalten Bild bekannt gab.
„Der Künstler hat das Wort“ - unter dieser Überschrift stand ein geistliche Abendimpuls in Drolshagen, zu dem Thomas Jessen aus Eslohe angereist war und Details zu dem von ihm gemalten Bild bekannt gab. © Unbekannt | Meinolf Lüttecke

Das sind ja in erster Linie Kommentare von Menschen, die weit weg leben oder ihre Beiträge ausschließlich anhand einer Abbildung geschrieben haben. Die meisten von ihnen haben das Bild nie vor Ort gesehen. Sie beziehen sich quasi nur auf ein Bild von einem Bild. Und wenn jemand meint, sich anhand eines Zeitungsbildes von einem Gemälde ein Urteil bilden zu können, das ihn zu Hasskommentaren verleitet, dann empfinde ich das als armselig. Die meisten Medien legen den Fokus mediengerecht auf den vermeintlichen Zwist. Da geht es nicht um Malerei und künstlerische Auseinandersetzung. Das ist eine Art Aufregungsmaschinerie, die da in Gang gekommen ist.

Also viel Wind um nichts?

Im Prinzip kann man dem Ganzen mit einer einzigen Frage entgegentreten: Ist es tatsächlich so skandalös, wenn eine Frau eine Jeans trägt? Ich meine, was soll sie denn sonst anziehen – eine Abendgarderobe oder Badebekleidung, Es ist schon erstaunlich, dass eines der meistgetragensten Kleidungsstücke in Deutschland, solch eine Aufregung verursachen kann.

Wie genau lautete denn eigentlich der Auftrag der Drolshagener Kirchengemeinde?

Es sollte bei dem Altarbild um das Thema Menschwerdung im christlichen Sinne gehen. Das Übliche wäre nun vielleicht gewesen, die Weihnachtsgeschichte umzusetzen. Sie ist ja auch Bestandteil des Bildes. Die Geburt findet sich ebenso wieder wie die Auferstehung. Das kommt natürlich alles nicht zur Geltung, wenn in den Medien nur ein Ausschnitt des Bildes gezeigt wird, um Maria in der Jeans deutlicher hervorzuheben.

Was war Ihr Anspruch bei der Umsetzung?

Das war ein langer und intensiver Prozess. Bis es zur endgültigen Umsetzung kommt, geht man gedanklich verschiedene Wege und so wächst das Ganze dann heran. Und dieser lange Prozess spiegelt sich im Bild wider. Ich glaube, dass die Authentizität des Bild beeindruckend ist. Sie ist offensichtlich so beeindruckend, dass sich vor Ort viele dieser aufgeregten Medienfragen gar nicht stellen. Es ist mir darum gegangen, das Thema der Menschwerdung in der heutigen Zeit präsent zu machen und es scheint offenbar mehr als gelungen.

Also die perfekte Umsetzung?

Ja, allerdings mache ich das nicht an der Reaktion der Menschen fest, sondern an der Präsenz. Wenn man sich die Frage stellt, ob es in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich ist, ein Altarbild herzustellen, dann ist dieses Bild die Antwort auf diese Frage. Ja, es ist möglich. Je präsenter ein Bild ist, umso präsenter fühlt sich der Betrachter vor dem Bild selbst. Und wenn man sich selbst sehr präsent fühlt, dann ist man automatisch herausgefordert, Stellung zu nehmen, weil man sich selbst spürt. Alles, was die Menschen vor diesem Bild äußern, äußern sie von sich selbst. Diese Emotionen sind das Entscheidende. Über die Abbildung des Bildes in den Medien, lässt sich diese Präsenz jedoch nicht vermitteln, weil man eben nur ein Bild vom Bild sieht. Dort bleibt dann nur der platte Inhalt. Das Tolle an Kunst ist ja, dass man in den Raum kommt, sich vor ein Bild stellt und davon gefangen ist und sich automatisch Fragen stellt. Wer meine Kunst kennt, weiß, dass sie letztlich immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst ist. Wer bin ich? Was bin ich? Und damit bin ich automatisch schon beim Thema der Menschwerdung.

Als Künstler kann Ihnen doch eigentlich gar nichts Besseres passieren, als bundesweit in den Schlagzeilen zu stehen, oder?

Dieser vermeintliche Hype hat mir natürlich sehr gut getan, weil sich dadurch erst recht jeder dieses Bild anschaut. Und das ist ja für einen Künstler nicht schlecht. Das ist natürlich auf der einen Seite schön. Auf der anderen Seite ist das aber nicht die Auseinandersetzung, die man sich als Künstler wünscht. Zumindest ich male keine Bilder, um zu provozieren, zu spalten oder eine Sensation hinzulegen.

Wie oft kommt es heute noch vor, dass Kirchengemeinden mit Aufträgen auf Sie zukommen?

Das ist nach wie vor immer mal wieder ein Thema - wobei es schon deutlich weniger geworden ist in einer Zeit, in der Kirchen eher zurückgebaut werden. Insofern finde ich es besonders mutig von der Drolshagener Gemeinde, dass sie einen völlig anderen Weg gegangen ist, zuversichtlich in die Zukunft schaut und sich entschieden hat, dem Kirchenraum einen neuen Impuls zu geben. Dort wird die Kirche eben nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen, sondern es wird der Auftrag, für die Menschen da zu sein, in den Mittelpunkt gestellt. Insofern empfinde ich das schon als ein Highlight - für mich als Künstler aber auch für die Gesellschaft.

  • Auf Facebook finden sich hunderte Kommentare zu Jessens Bild. Sie reichen von „Katastrophe“ über „Ist das Kunst oder kann das weg?“ bis hin zu: „Ganz grausam“ oder satirisch: „Heilige Maria war shoppen im KiK“ und „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Es gibt aber positive Reaktionen: „Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt gesteinigt werde: Mir gefällt es!“ oder „Ich finde, es regt zum Nachdenken an, und damit ist schon viel erreicht“.
  • „Eine historische Darstellung nimmt dem Thema die Schärfe“, ist Jessen überzeugt. Deshalb ist auch der Marienaltar in Drolshagen die Übersetzung einer Legende aus dem Marienleben in die Gegenwart. Erzählt wird die Geschichte von der Gürtelspende: Maria reicht dem zweifelnden Apostel Thomas ihren Gürtel als Beweis, dass sie in den Himmel aufgefahren ist.
  • In Menden zum Beispiel zeigt Jessen nicht das übliche Bild einer Kreuzigung, sondern ein Bild der Mendener Kreuztracht. Damit übersetzt er das biblische Geschehen in die Jetztzeit.
  • Der Maler Thomas Jessen gestaltete u.a. im Paderborner Dom das Atrium-Portal und im Bischofshaus in Speyer einen Kreuzweg. Außerdem hat er viele Bilder und Fenster für Kirchen entworfen, unter anderem für St. Pantaleon in Köln, St. Norbert in Werl und St. Magdalena in Dortmund-Lütgendortmund.