Hagen. Rendezvous mit einem schlafenden Riesen. Seit der Flut steht der Wolkenkratzer der Arbeitsagentur in Hagen leer. Eine Multimedia-Reportage.
300 Stufen sind es bis nach ganz oben. In die 17. Etage des Wolkenkratzers an der Körnerstraße. Vom 75 Meter hohen Turm eröffnen sich faszinierende Blicke auf Hagen in alle Richtungen. Der Turm schmiegt sich ein zwischen die grauen Hagener Straßen, die Volme und die Ebene 2. Blick auf den Bahnhofsvorplatz(Warum forscher hier eine Bausünde sehen)auf der einen Seite, auf der anderen Seite weit hinaus über die Innenstadt bis zum (noch höheren) Hochhaus in Helfe mit 24 Etagen. „Es wäre schon traurig, wenn so ein Gebäude abgerissen werden würde“, sagt Ulrich Brauer, Sprecher der Arbeitsagentur, die immerhin mehr als 40 Jahre lang den „grünen Turm“ ihr Zuhause nennen durfte. Nicht nur für ihn hängen viele Erinnerungen an dem Hochhaus, das jedem Hagener bekannt sein dürfte. Es ist der letzte Wolkenkratzer in der Innenstadt.
Zugegeben: Im gesamten Gebäude wirkt es zumindest auf den ersten Blick nicht, als wäre hier durch die Volmeflut ein mehr als 12,1 Millionen Euro großer Schaden entstanden. Das Licht funktioniert. Der Aufzug fährt. „Per Notstrom-Aggregat“, erklärt Hausmeister Marco Ferreira. Etage 17. Großer Versammlungsraum. Er ist mittlerweile so gut wie leer geräumt. Lediglich ein paar Tafeln mit blauen Edding-Kritzeleien stehen noch hier. „Man kann es sich kaum vorstellen, was das für ein gigantischer Aufwand war, die Zwischenwand hier oben einzubauen“, erinnert sich Brauer und lacht. Die Zwischenwand, die den großen Versammlungsraum in zwei Räume teilt, musste mit einem Kran durch die Fenster reingehievt werden.
„Der Blick wird uns definitiv fehlen. Das ist schon spektakulär“, sagt Ulrich Brauer mit Blick auf das Foyer der Etage, auf dem sich neben WC-Anlagen lediglich einige kleinere Besprechungszimmer befinden. Die Chef-Etage ist schon vor einigen Jahren eine Etage weiter nach unten gezogen.
Entscheidung fällt in Nürnberg
Wie es mit dem Turm, dessen Technik zum Großteil durch das kontaminierte Schlammwasser der Volme beim Hochwasser zerstört wurde, weitergehen soll, ist noch offen. Abriss? Neubau? Sanierung? „Eine Entscheidung wird nicht vor dem Herbst fallen. Es werden mehrere Optionen geprüft“, betont Brauer. Und sie fällt nicht in Hagen, sondern in Nürnberg.
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Für welche Option man sich am Ende auch entscheidet. Sicher ist: „Wir werden in den nächsten Jahren hier nicht arbeiten.“ Bedeutet: Alle Mitarbeiter müssen umziehen, sind aktuell verteilt auf verschiedene Standorte oder arbeiten im Homeoffice. Aus dem Turm muss also alles raus.
Ein großer Teil der Möbel ist schon abgeholt worden. Nur noch einige rote Sessel, Schränke, vertrocknete Pflanzen, Regale oder Küchenmöbel verweilen bis zum finalen Abholdatum auf den Etagen. Alle fein säuberlich beklebt mit Zetteln, die ihr Ziel festlegen. „Wenn man das auf 17 Etagen hochrechnet, ist aber noch viel zu tun“, sagt Marco Ferreira mit Blick auf die Überreste der 40 Arbeitsjahre im Turm.
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Es geht wieder runter ins Erdgeschoss – auf den anderen Etagen sieht es ohnehin nicht viel anders aus. Raum 66. Der Pflanzenraum. Also mit den Pflanzen, die vor dem Vertrocknen gerettet werden sollen und regelmäßig gegossen werden. Sie bringen etwas Fröhlichkeit und Farbe in das sonst größtenteils leergezogene Gebäude.
Es geht ins Treppenhaus A, zu Fuß die paar Stufen runter in den Keller. Der Keller ist in dieser Geschichte eigentlich der Dreh- und Angelpunkt. Weil sich hier ein Großteil der Technik befindet, die es braucht, um im Wolkenkratzer arbeitsfähig zu sein. „Und es hätten nur noch zwei Treppenstufen gefehlt, dann wäre auch das Erdgeschoss geflutet worden“, deutet Marco Ferreira mit seinem Kinn auf eine Bleistift-Markierung an der Wand, an der sich nur noch unten ein restlicher Volmeschlamm-Rand abzeichnet.
Autos längst abgeholt
In der Tiefgarage steht verlassen eine Schubkarre, ein Schreibtisch, den die Arbeiter für ihre Pausen genutzt haben. Die vollgeschlammten Autos, die der Flut zum Opfer fielen, sind längst abgeholt worden. „Sie wurden nach drei oder vier Wochen rausgezogen“, blickt Ferreira auf die anstrengenden Wochen und Monate nach der Katastrophe zurück. „Wir haben bestimmt ein Dreiviertel Jahr gebraucht, um hier alles wieder einigermaßen hinzukriegen.“ Das Wasser ist weg. Der Schlamm auch.
Zurück bleibt ein leeres Kellergeschoss mit zerstörter Technik und etwas Gruselfilm-Atmosphäre in den menschenleeren, hallenden Gängen, die an ein Labyrinth erinnern. Marco Ferreira kennt jeden Winkel des Gebäudes, immerhin hat er zwölf Jahre hier gearbeitet. „Bis ich alle Gänge und Zimmer kannte, hat es bestimmt ein halbes Jahr gedauert“, erinnert sich der Hausmeister und lacht. Aktuell pendelt er zwischen den verschiedenen Standorten. „Das ist schon stressig“, räumt er ein, dass eine zentrale Lösung durchaus praktischer wäre.
Zimmer, die in den nächsten Jahren menschenleer sein werden. Selbst wenn die Entscheidung für eine Erhaltung des Turms fällt. Der letzte Wolkenkratzer in der Innenstadt.
Ein Hagener Wahrzeichen.
Wenn auch nicht das schönste.