Oeventrop. Wirtin Roswitha Keur nimmt nach 38 Jahren Abschied. Am Samstag, 12. Oktober, möchte sie mit ihren Gästen ein letztes Mal feiern. Um 11 Uhr geht es los.
In die Kamera schauen? Nichts für Roswitha „Rosi“ Keur. Die 72-Jährige hat ihren Zapfhahn im Blick, jeder Handgriff sitzt. „Erstmal ein paar Gläser anzapfen und stehen lassen“, sagt sie, „erst dann füllen - dann gibt es ein schönes Schaumkrönchen.“ Am großen Tisch wartet der Glösinger Stammtisch mit rund 30 Männern auf ihr Frischgezapftes. Die hausgemachten Frikadellen liegen auch schon bereit. Rosi ist erst in der letzten Nacht aus dem Urlaub zurückgekehrt - und schon steht sie wieder hinterm Tresen, um ihren Gästen etwas Gutes zu tun. Gut gelaunt. Immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen.
Und das seit 48 Jahren - knapp über ein Jahrzehnt allein. Denn „mein Mann ist vor zwölf Jahren verstorben“, sagt sie. Im Eingang des Gasthofs steht eine hölzerne „Staffelei“, auf ihr eine Erinnerung für die Ewigkeit. Stolz zeigt sie darauf. „Das waren mein Mann und ich vor 38 Jahren, als wir den Gasthof Dicke übernommen haben.“ Vorher leitete das Paar zehn Jahre lang den Sauerländischen Hof in Oeventrop. Die letzten zwölf Jahre unterstützte Klaas Keur (41), Rosis mittlerer Sohn, den Gaststättenbetrieb - übernahm die Küche. Auch seine Frau Inga (27) half die letzten Jahre mit.
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Angefangen in der Gastronomie, haben der aus den Niederlanden stammende Koch Hendrik „Harry“ Keur und Roswitha „Rosi“, gebürtige Düsseldorferin, mit Anfang 20 zunächst in Soest, aber dann lockte 1974 ein Angebot auf Selbstständigkeit in das kleine Dorf Berghausen bei Schmallenberg. Der erste Schritt ins Sauerland. Der zweite führte sie nach Oeventrop.
Lockere Gemeinschaft bei Umtrunk und Grillwurst im Brötchen
Doch nun soll für Roswitha „Rosi“ Keur Schluss sein. „Ich bin 72“, sagt sie, „das ist jetzt lange genug.“ Damit hat sie schon zwei Jahre länger durchgezogen, als sie 2017 an ihrem 65. Geburtstag sagte.
So locker diese Worte über ihre Lippen kommen, so tief sitzt jedoch auch ihr Schmerz. Denn sie schließt nicht nur die Tür zur Gaststätte in den nächsten Tagen zum letzten Mal ab, sondern damit auch mit einer tollen Zeit. Für Rosi beginnt ein neuer Lebensabschnitt - in einer 57 Quadratmeter großen Wohnung mit kleinem Balkon. Ein Leben ohne den Zapfhahn - aber mit einer positiven Lebenseinstellung.
„Ich freue mich auf eine lockere Gemeinschaft bei Umtrunk und Grillwurst im Brötchen. Und zwischendurch gehe ich dann mal hoch, weine und komme wieder herunter.“
Daher möchte sie am Samstag (12. Oktober) noch einmal richtig feiern - mit all ihren Gästen. „Ich freue mich auf eine lockere Gemeinschaft bei Umtrunk und Grillwurst im Brötchen“, sagt sie, „und zwischendurch gehe ich dann mal hoch, weine und komme wieder herunter.“ Das weiß sie schon jetzt. Los geht‘s ab 11 Uhr.
Und was geschieht mit dem Gasthof Dicke? Stille - für einen Augenblick. „Wir haben versucht, einen Pächter oder Käufer zu finden“, erklärt Inga Keur, Rosis Schwiegertochter. „Aber wir haben niemanden gefunden, der es übernehmen möchte.“ Auch wegen der notwendigen Investitionen. „Es wird abgerissen“, sagt Rosi. Ihre Stimme bricht einen Moment. „Die Stadt Arnsberg hat das Grundstück gekauft und wird die hinter uns liegende Schullandschaft erweitern.“ Dafür muss das seit 1843 existierende Gebäude samt Anbau weichen.
Erinnerungen an einmalige Zeiten im Gasthof Dicke
Das ist nicht nur für die langjährige Gastwirtin traurig, sondern auch für viele Stammgäste. „Rosi ist einfach ehrlich, hart und herzlich“, sagt Lisa Hane. Sie und ihre Freundin Sara Reimann werden die taffe Frau vermissen. „Wir sind total traurig - wenn das Haus abgerissen wird, dann fehlt etwas“, sind sich die Frauen einig. Es bleibt ein Loch, fügt Rosi hinzu. „Es bleibt ein Loch im Herzen.“
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Rosi schwelgt in Erinnerungen. „Früher war alles anders“, sagt sie, „da saß der ein oder andere schon um 10 Uhr in der Kneipe - und wenn die Frau anrief, war er nicht da.“ Sie lacht. Früher habe es allein in Oeventrop auch insgesamt 26 Kneipen gegeben - heute seien es, wenn sie weg sei, nur noch drei. „Die Zeiten haben sich geändert - es wird immer schwieriger.“
Rosi fällt der Abschied schwer, das ist spürbar. „Ich werde die Zeiten vermissen - die Stammtische, die Karnevalspartys, Stammgäste. Umso voller es war, desto besser war es auch.“ Und irgendwie hat sie sogar ein wenig Angst. „Als Harry damals starb, fühlte es sich an, als wäre er nach einem halben Jahr vergessen worden“, sagt sie, „ich habe schon ein wenig Angst davor vergessen zu werden.“ Sie jedenfalls wird ihre Zeit im Gasthof Dicke nicht so schnell vergessen - und auch nicht dabei sein, wenn das Haus abgerissen wird. „Das kann ich mir nicht ansehen“, sagt sie.
Trotz allem freut sie sich auf ihren neuen Lebensabschnitt. Zeit für ihr Enkelchen. Denn vor dreieinhalb Monaten ist Rosi Oma geworden - und ihr Sohn Klaas und Inga Keur sind Eltern. Auch ihre beiden anderen Söhne möchte sie besuchen - ihr ältester Sohn lebe in Düsseldorf; ihr mittlerer Sohn heirate im kommenden Jahr. „Ich freue mich drauf - und möchte mein Leben genießen“, sagt sie, „immer in Bewegung bleiben!“
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