Oeventrop. Emad Shreetah kämpft gegen Stigmatisierung nach einem Attentat in Solingen, während er auf seine Einbürgerung in Deutschland wartet.
„Guck ma‘, da sind die Komischen“ - Worte, die beim Flugplatzfest Oeventrop leise durch die Lüfte ziehen. Gepaart mit Blicken, die gefühlt eine gewisse Verachtung ausdrückten. Gemeint sind Emad Shreetah, seine Ehefrau und seine zwei Kinder, da ist er sich sicher. „Das war zwei Tage nach dem Attentat in Solingen“, sagt der 36-Jährige, „und meine Frau trägt Kopftuch.“
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Generell spüre er die Veränderng in der Gesellschaft, den „Rechtsruck“ in der Politik - und auch die Angst vor dem Islam. „Aber Islamismus ist nicht gleich Islam“, sagt er. „Nur weil ein Syrer schlecht ist, sind wir nicht alle schlecht. Wir sind nicht alle böse!“ Er spricht den tödlichen Messerangriff in Solingen an, der von einem Syrer ausgeführt wurde - und zu dem sich der IS bekannte. Emad Shreetah fürchtet eine pauschale Stigmatisierung aller Syrer.
Offene Arme in Oeventrop
Emad Shreetah kommt 2015 nach Deutschland, lebt etwa vier Wochen in einer Sammelunterkunft, bevor er nach Oeventrop gebracht wird. Er flieht allein. Seine Ehefrau bleibt zunächst in Syrien. „Die Oeventroper waren sehr herzlich - viele haben uns von Beginn an unterstützt, waren für uns da, wenn wir Fragen oder Probleme hatten.“ Dass das jemals kippen könnte, möchte sich der Familienvater nicht vorstellen.
Vier Jahre lang kämpft er darum, seine Ehefrau nach Oeventrop „nachziehen“ zu dürfen. Vier Jahre, in denen er sich aber auch darum kümmert, seiner Frau und sich ein schönes Leben aufbauen zu können. „Ich habe eine Ausbildung in der Spedition gemacht“, sagt er, „habe dann neun Monate in einer Spedition gearbeitet, bis ich betriebsbedingt gekündigt wurde.“ Es habe nur eine kurze Weile gedauert, bis er einen neuen Job in der Kantine einer Flüchtlingsunterkunft angetreten sei. „Ich muss Arbeit haben, um meinen Antrag auf Einbürgerung nicht zu gefährden.“ In Syrien sei er Nachhilfelehrer für Arabisch gewesen - und habe zwei Jahre als Journalist für eine lokale Zeitung gearbeitet.
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Seit 2016 ist er zudem innerhalb der Oeventroper Flüchtlingshilfe aktiv. „Hinterher mit meiner Frau zusammen, die dann endlich 2019 im Zuge des Familiennachzugs einreisen durfte.“ Gemeinsam führen sie das „Interkulturelle Café“, jeden Montagnachmittag, ein Sprachcafé, in dem auch Fragen zur Wohnungssuche geklärt werden, ebenso wie zum Kindergarten, zur Schulte oder auch zur Berufstätigkeit in Deutschland. Dazu gehöre auch das Ausfüllen etwaiger Antragsformulare. „Ich unterstütze einige Menschen, damit sie sich genauso interegrieren können“, sagt Shreetah, „Formulare fülle ich inzwischen blind aus.“ Er lacht.
Unsicherheit wächst mit Rechtsruck in der Gesellschaft
Inzwischen hat das Paar zwei Töchter. „Vier und eineinhalb Jahre“, sagt Emad Shreetah. „Meine Frau ist noch zu Hause bei unserer Kleinen.“ Dennoch, erzählt er, habe sie sehr gut Deutsch gelernt. Sei jetzt auf dem Stand B2 und arbeite an C1. Bewertet werden Deutschkenntnisse nach dem sogenannten „Gemeinamen Europäischen Refernzrahmen für Sprachen“; „B2“ bedeutet, dass sie die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen; sich spontan und fließend verständigen und ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengung führen kann.
„Aktuell lassen wir gerade ihren Abschluss in Literatur aus Syrien in Deutschland anerkennen“, so Shreetah. Danach wolle sie gerne im Bereich Erziehung arbeiten. Seine Frau und er seien zudem nicht die einzigen, die auf ihre Einbürgerung warteten. „Es gibt so viele Menschen, die auch warten. Wir sind normale Menschen. Viele von uns haben ihre Wege gefunden.“ Rund 150 Menschen aus fernen Ländern lebten in Oeventrop, und die meisten seien aktiv und integrierten sich.
Daher appelliert er an die Gesellschaft: „Sprecht miteinander, lernt Syrer kennen und urteilt nicht pauschal anhand eines Menschen, der böse ist!“
Seine Sorge: Dass nun alle Syrer verurteilt werden. Dass Asylanträge „an die Seite“ gelegt oder direkt abgelehnt werden. Dass sein Einbürgerungsantrag abgelehnt wird! Letzteres wäre ein Tiefschlag, erklärt er, denn aufgrund seiner politischen Verfolgung kann er nicht nach Syrien zurück. Seinen Antrag auf Einbürgerung habe er bereits im Frühjahr 2023 eingereicht - doch bis heute gebe es keine Entscheidung. Nachfragen würden von der Ausländerbehörde abgeblockt. „Sobald das Verfahren abgeschlossen werden kann, erhalten Sie von hier unaufgefordert eine entsprechende Rückmeldung. Von weiteren Sachstandsanfragen bitte ich daher abzusehen“, heißt es in einer Email-Antwort im März dieses Jahres. „Seitdem habe ich nichts mehr gehört - telefonische Anfragen werden abgeblockt.“
Fachkräftemangel mit unterstützenden Händen lindern
Dass Einbürgerungsanträge bzw. die Terminvergabe zur dessen Einreichung bereits bis in das Jahr 2027 datieren, sei auch ihm nicht neu. Bereits im Juli dieses Jahres hatte diese Zeitung über einen Iraner berichtet, der erst im kommenden Jahr einen Termin zur Einreichung seines Antrags erhalten hat.
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Fehle der Ausländerbehörde das Personal für die Bearbeitung, so Emad Shreetah, könne sie ja auch auf die Unterstützung von Ehrenamtlern oder Aushilfen setzen. „Es braucht kein Studium, um bei der Antragserstellung zu unterstützen, um Papiere entgegenzunehmen oder Rückfragen zu halten“, sagt er. Da brauche es Menschen, die Praxiswissen mitbrächten.
„Meine Familie und ich möchten volle Mitglieder der Gesellschaft werden, unsere beiden Kinder sind in Deutschland geboren“, so Shreetah abschließend, „Ohne mit Vorurteilen zu leben und ohne die Angst, unsere neue Heimat zu verlieren und ausreisen zu müssen.“