Arnsberg. Nach dem starken Abschneiden der Rechtsradikalen bei der Europawahl sorgen sich Zugewanderte. Navid will sich einbürgern lassen, doch das dauert.
Er verfolgt sie stets - die deutschen Nachrichten; ist interessiert an innen- und außenpolitischen Themen. Bei der EU-Wahl durfte er leider nur zuschauen, kein eigenes Kreuzchen setzen. Doch das Wahlergebnis, auch in Arnsberg, löst Sorge in ihm aus. „Was, wenn ‚die Rechten‘ regieren?“, fragt Navid (Name geändert), „werde ich dann abgeschoben?“
Navid ist etwa 40 Jahre alt und gebürtiger Iraner. Er reiste 2015 in Deutschland ein; wurde mit dem Bus ins sichere Arnsberg gebracht und lebte anfangs in der Notunterkunft, die seinerzeit in der Pestalozzischule untergebracht war. Er hielt sich von Ärger fern, verstand sich mit den Menschen von nah und fern - und bekam Unterstützung von Arnsbergern, sich in der Stadt zu integrieren. Mit Erfolg. Denn er arbeitet, ist ehrenamtlich aktiv und lernte mit den Jahren, die Sprache gut zu sprechen.
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Doch eines trübt sein neues Leben: sein Aufenthaltsstatus. Über Jahre hinweg erhält er eine Duldung nach der anderen - und zuletzt, vor zwei Jahren, einen Aufenthaltstitel, der einem ausgestellt wird, wenn man „besondere Integrationsleistungen“ erbringt. Alle zwei Jahre muss er diesen Aufenthaltstitel verlängern - so wie auch jetzt wieder.
Besondere Integration
Zu den besonderen Integrationsleistungen gehören insbesondere im Bundesgebiet erbrachte besonders gute schulische, berufsqualifizierende oder berufliche Leistungen oder bürgerschaftliches Engagement. Zum bürgerschaftlichen Engagement gehören insbesondere ehrenamtliche Tätigkeiten bei der freiwilligen Feuerwehr, dem THW oder anderen Rettungsorganisationen oder bei sozialen Diensten oder Vereinen im sportlichen, sozialen, politischen, gewerkschaftlichen oder kulturellen Bereich, mit denen ein den Durchschnitt übersteigender Wille zur Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert wird.
Navid erfüllt die Voraussetzungen zur Einbürgerung
„Es sind nicht nur die Ergebnisse der Europawahl, die mir Sorgen bereiten“, sagt er, „es ist auch das, was ich täglich in den Nachrichten sehe. Und auch die Äußerungen politisch Verantwortlicher, die ich höre.“ Navid sorgt sich um seine Zukunft; befürchtet, abgeschoben zu werden, wenn sich der Rechtsruck weiter festigt.
Einziger Ausweg: die deutsche Staatsbürgerschaft. Das reformierte Staatsangehörigkeitsrecht ist am 27. Juni dieses Jahres in Kraft getreten. Danach erfolgen Einbürgerungen bei hinreichender wirtschaftlicher Integration unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit, so dass sich niemand mehr um die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit bemühen muss. Weiterhin ist die erforderliche Voraufenthaltszeit von acht auf fünf Jahre herabgesetzt. Eine weitere Verkürzung der Voraufenthaltszeit auf drei Jahre ist möglich, wenn die Person imstande ist, den Lebensunterhalt für sich und die unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nachhaltig ohne öffentliche Transferleistungen zu bestreiten, deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau der Stufe C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und besondere Integrationsleistungen nachweisen kann.
All diese Voraussetzungen erfüllt Navid. Wo ist also der Haken? Nun, Navid wurde von der zuständigen Ausländerbehörde in Arnsberg mitgeteilt, dass er seinen Antrag gerne stellen könne - aber erst 2027. „Ich soll nun zwei bis drei Jahre warten, nur um den Antrag auf Einbürgerung stellen zu können?“, fragt er irritiert.
Einbürgerungsinteresse hat sich erhöht
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts habe bei der ausländischen Bevölkerung ein besonderes Einbürgerungsinteresse hervorgerufen, was zu einer Mehrbelastung in der Ausländer- und Staatsangehörigkeitsbehörde geführt habe, teilt Ramona Eifert, Stadtsprecherin, auf Nachfrage mit. „Hier muss zunächst der Blick auf die Entwicklung der Anzahl der im Stadtgebiet lebenden Ausländer und Ausländerinnen gerichtet werden: Heute leben in der Stadt Arnsberg 9765 Ausländer. Damit leben etwa 80 Prozent mehr Ausländer im Stadtgebiet als vor zehn Jahren (vgl. 1. Juli 2014: 5387).“
„Im letzten Jahrzehnt wurden in Arnsberg durchschnittlich 100 Einbürgerungen pro Jahr vollzogen. Im Jahr 2021 waren es 219 und im Jahr 2022 sogar 279 Einbürgerungen. 179 Personen wurden im letzten Jahr bis Oktober eingebürgert. Danach konnten wegen des Cyber-Angriffs über Monate keine Einbürgerungen mehr erfolgen.“
Allein diese Entwicklung lasse erkennen, dass der potenziell in Frage kommende Personenkreis für eine Einbürgerung stark gewachsen sei. „Dies spiegelt sich auch bei den vollzogenen Einbürgerungen wider. Im letzten Jahrzehnt wurden in der Stadt Arnsberg durchschnittlich 100 Einbürgerungen pro Jahr vollzogen. Im Jahr 2021 waren es 219 und im Jahr 2022 sogar 279 Einbürgerungen. 179 Personen wurden im letzten Jahr bis Oktober eingebürgert. Danach konnten wegen des Cyber-Angriffs über Monate keine Einbürgerungen mehr erfolgen“, so Eifert weiter.
Stadt bestätigt Warteliste bis 2027
Bereits vor der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts habe die Bearbeitungszeit eines Einbürgerungsantrags bei 18 Monaten gelegen. Durch den Cyberangriff sei ein enormer Rückstau der Anträge entstanden, den es zunächst aufzuarbeiten gelte. Aus den letzten Jahren seien noch 447 Einbürgerungsverfahren nicht beschieden. Zum aktuellen Zeitpunkt müssten sich Einbürgerungsinteressenten daher darauf einstellen, erst im Juni 2027 einen Termin für die Beantragung einer Einbürgerung zu bekommen. Allerdings arbeite die Stadt daran, die Wartezeit zu verkürzen.
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Ein Ausweichen auf die Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises ist nicht möglich. „Da die Stadt Arnsberg eine eigene Einbürgerungsbehörde hat, muss die Antragstellung von Einwohnern der Stadt Arnsberg auch dort erfolgen“, sagt Martin Reuther, Sprecher des HSK. Nach den gesetzlichen Vorgaben müsse die Antragstellung persönlich erfolgen. Hierfür betrage die Wartezeit beim HSK zwischen sechs und neun Monate. „Für die Bearbeitung einer Einbürgerung beträgt die Wartezeit ebenfalls sechs bis neun Monate; bundesweit betragen die Wartezeiten nach Medienberichten durchschnittlich zwischen sechs und 36 Monaten“, so Reuther weiter.
Navid, wie auch vielen weiteren Menschen, die sich einbürgern lassen möchten, bleibt also nichts weiter übrig als abzuwarten.
„Natürlich haben die Menschen Angst vor dem, was die Rechtsradikalen möchten“, bestätigt Shahin Kiumarssi. Sie berät geflüchtete Menschen für die Evangelische Kirchengemeinde am Berliner Platz. „Selbst wenn sie dann den deutschen Pass bekommen - vielleicht müssen sie dann trotzdem das Land verlassen., wer weiß?“ Auch ihr wurden Wartezeiten von mehreren Jahren genannt. In ihre Beratung jedenfalls kämen viele Menschen, die das Thema „Rechtsruck“ beschäftigt. „Die einen nehmen es locker, die anderen machen sich Sorgen“, sagt sie, „ich versuche dann immer, sie zu beruhigen.“