Arnsberg. Ein Leben im Griff der Alkoholsucht: Micha erzählt von seinem Kampf und der lebensrettenden Therapie. So verfiel er der Sucht.

Sein Körper zuckte - krampfte sogar, sagt Micha, und plötzlich sei er ohnmächtig geworden. Ein paar Minuten lang sei er nicht bei Bewusstsein gewesen. Eine Situation, die ihm fast das Leben gekostet hätte. „Ich bin dann im Krankenhaus aufgewacht“, sagt er, „Durch den Krampfanfall bin ich mit der Schulter auf die Tischkante geknallt und habe mich schwer verletzt.“ Noch heute könne er seinen Arm nicht richtig bewegen. Diagnose: Entzugsanfall. Ausgelöst durch seine jahrelange Alkoholsucht. Seit 20 Jahren ist der heute 68-Jährige nun trocken. Doch er weiß: „Alkoholiker bin ich immer - denn erst wenn der Deckel drauf kommt, ist man geheilt!“

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Worte, die vielleicht auch den Schülerinnen und Schülern der Fröbelschule in Arnsberg die Augen öffnen würden. Denn während Micha sich auf seine nächste Gruppensitzung der Anonymen Alkoholiker vorbereitet, bezwingen sie den sogenannten Alk-Parcours. Rund eineinhalb Stunden halten die Lernenden sich an den fünf Stationen auf, die sie bezüglich eines exzessiven Alkoholkonsums sensibilisieren sollen. Da geht‘s um die Sinne - und ab welcher Promille sie nicht mehr einwandfrei funktionieren; um Alkohol-Mythen, die immer wieder - auch unter Jugendlichen - aufploppen und um die körperlichen Beeinträchtigungen, die mit einem starken Alkoholkonsum einhergehen.

Alkohol ist eine gefährliche Droge

„Wie verändert Alkohol deine Reaktionen?“ oder auch „Was stellt Alkohol in deinem Körper an?“ Fragen, die Micha nur zu gut beantworten kann. Mit etwa 14 oder 15 Jahren habe er sich an Alkohol herangetastet. „Es fing alles im Spielmannszug an“, sagt er, „insbesondere beim Schützenfest. Dann hat es sich durch mein ganzes Leben gezogen.“ Alkohol sei eine gefährliche Droge. Gesellschaftsfähig, aber gefährlich. Und sie werde schon in jungem Alter konsumiert - des Gesellschaftswillen wegen. „Alkohol war früher völlig normal - ein Nahrungsmittel, kann man schon sagen“, so der trockene Alkoholiker, „Mit Freunden, in der Familie, sogar auf der Arbeit - für mich war Bier da immer normaler Umgang.“

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Genau diese Normalität ist es, die ihn mit der Zeit in eine Abhängigkeit rutschen ließ. Ihm sei von Bier nie schlecht geworden - anfangs vielleicht. Keine Kopfschmerzen, keinen Schwindel, keine Katerstimmung. „Es gehörte einfach dazu. Man trank was - in der Gruppe - kollektives Saufen. Und der Alkohol hatte ja irgendwie auch nur positive Effekte.“ Und genau das sei die Gefahr: Er sei entspannt gewesen, glücklich. Er habe Hemmungen und Ängste verloren. „Das löst im Gehirn etwas aus, das einem dann sagt: Nimm dir doch ein Bier dabei, dann geht alles lockerer.“ Irgendwann schaffe man die Abgrenzung nicht - und sei süchtig, ohne es zu merken.“ Alkoholismus gebe es schließlich nicht nur auf der Marktplatte, sondern ziehe sich durch die komplette Gesellschaft.

„Du hast ein riesiges Problem mit Alkohol“

Die Siebt- und Achtklässler zeigen sich irritiert, während sie die positiven und negativen Effekte des Alkoholkonsums benennen. Denn letztlich übersteigt die Zahl der Negativen die der Positiven immens. Auf der einen Seite fühle man sich zugehörig und könne abschalten, kristallisieren die Lernenden heraus, auf der anderen Seite schädige der Alkohol den Körper und führe bei vielen jungen Menschen zu einer Alkoholvergiftung, wenn nicht sogar zum Tod. Letztlich, und das sagt auch Imiele Momoh von der ginko Stiftung für Prävention sehr deutlich, geht es jedoch nicht darum, den Jugendlichen gegenüber ein Verbot auszusprechen, sondern darum, sie auf die Gefahren hin zu sensibilisieren.

„Alkoholiker bin ich immer - denn erst wenn der Deckel drauf kommt, ist man geheilt!“

Micha
Anonymer Alkoholiker

„Prävention gab es früher an den Schulen nicht“, sagt Micha, „es ist gut, dass die Jugendlichen das heute haben.“ Damit sie eben nicht auf den „Gruppenzwang“ hereinfielen, sich beispielsweise auf dem Schützenfest strunkelig zu saufen, sich womöglich noch zu übergeben - um irgendwann dann festzustellen, dass sie aus dieser Spirale nicht mehr herauskämen. „Ich bin erst nach meinem Entzugsanfall wach geworden und habe mir gesagt: Du hast ein riesiges Problem mit Alkohol.“ Ein Dreivierteljahr sei er zur Therapie gegangen - und habe sich dann den Anonymen Alkoholikern in Müschede angeschlossen. „Im Januar sind es 20 Jahre, die ich trocken bin.“

„Warum stellt man Alkohol dann her?“

Das sei seine Initialzündung gewesen - an diesen Vorfall denke er immer wieder, um sich selbst zu warnen. „Früher dachte ich immer, dass doch alle einsehen müssten, wie schädlich Alkohol ist. Aber mittlerweile denke ich mir: Es muss jeder selbst wissen. Ich erzählte es auch niemanden - geht niemanden etwas an. Wenn mich jedoch jemand um Hilfe bittet, dann helfe ich.“ Das ginge jedoch nur, wenn die Einsicht, süchtig zu sein, erfolgt sei. Oft seien es Angehörige, die ihn anriefen und um Rat bitteten. „Aber wenn einer nicht von sich aus aufhören will, dann bringt das nichts.“

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Für die Schülerinnen und Schüler sind die Ergebnisse aus dem Alk-Parcours nicht alle neu, diese aber noch einmal vor die Augen zu bekommen, finden sie gut. Und scheinbar wirken die Präventionsmaßnahmen an Schulen. Denn wie der Hochsauerlandkreis mitteilt, gab es im Jahr 2022 nur drei gezählte Fälle, in denen Kinder und Jugendliche aufgrund einer akuten Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus behandelt wurden. Einen Höchststand gab es 2016 mit 18 Fällen.

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Die Meinungen der Lernenden der Fröbelschule gehen weit auseinander. Während einer dennoch Bier trinken möchte, um eigene Erfahrungen zu sammeln, fragt ein anderer: „Warum stellt man Alkohol dann her? Wenn es doch so viele negative Effekte gibt.“ Beantworten kann ihm diese Frage niemand vor Ort.