Hochsauerlandkreis. Der Mann der im Sauerland Bank-Automaten knackte, ist seit mehr als 130 Tagen auf der Flucht. An die Justizbehörden gibt es viele Fragen.
Ein mutmaßlicher Geldautomatenknacker ist seit Monaten auf der Flucht. Der Umgang von Justiz und Polizei mit dem Fall wirft jedoch Fragen auf. Eigentlich sollte der mutmaßliche Bankautomatenknacker längst abgeurteilt worden sein. Die Beweise: erdrückend. Der Angeklagte, ein 50-jähriger Mann aus Neunkirchen, sollte sich vor dem Landgericht Arnsberg wegen besonders schweren Diebstahls verantworten. Ihm wird vorgeworfen, zwischen November 2021 und April 2023 in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens und Hessens, darunter Winterberg und Medebach, Geldautomaten aufgebrochen zu haben - Schaden: mehr als 100.000 Euro. Dem Familienvater droht eine lange Haftstrafe. Doch bereits vor Beginn der Hauptverhandlung am 20. September blieb der türkische Staatsangehörige unauffindbar. Dabei hatte dieser nach WP-Recherchen bereits Wochen vor dem Prozess seine Meldeauflagen nicht mehr erfüllt. Und obwohl Gericht und die Staatsanwaltschaft Arnsberg darüber informiert waren, wurde erst am Tag der Verhandlung entschieden, den zuvor außer Vollzug gesetzten Haftbefehl wieder zu aktivieren. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte jedoch längst untergetaucht.
Lesen Sie auch
- Geheimer Einblick: Drifter spricht in Winterberg über Szene
- Briloner Mutter verzweifelt: Schulbus der Kinder gestrichen
- B7n von Nuttlar nach Brilon: Jetzt geht es wirklich weiter
Und doch wurde bislang kein europäischer Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Darüber, wann zumindest der Antrag genau gestellt wurde gibt es unterschiedliche Angaben. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg erklärt: „Unter dem 30. Oktober 2024 erfolgte eine Anregung für einen solchen Haftbefehl, über den das Landgericht nunmehr kurzfristig entscheiden will.“ Dagegen sagt der Sprecher des Landgerichts, Alexander Brüggemeier: „Der diesbezügliche Antrag der Staatsanwaltschaft ist Freitag, 13. Dezember 2024, erstmals bei Gericht eingegangen.“ Am 16. Dezember sei dieser dem Vorsitzenden Richter vorgelegt worden, so der Pressesprecher. Die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung würden zeitnah geprüft. Die zeitliche Diskrepanz zwischen dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 30. Oktober und dem 13. Dezember erklärt der Pressesprecher des Landgerichts damit, dass zunächst Informationen nicht aufgeführt gewesen seien und somit die Staatsanwaltschaft noch weitere Fakten nachliefern musste.
Haftbefehl außer Vollzug: Ein Fehler?
Der ursprüngliche Haftbefehl gegen den Mann wurde am 17. April 2023 erlassen. Doch bereits im Mai 2023 wurde er aufgrund eines familiären Notfalls außer Vollzug gesetzt. Laut Staatsanwaltschaft wurde damals eingeschätzt, dass die Fluchtgefahr durch die familiäre Situation herabgesetzt sei. Poggel erklärt dazu: „Solange die Voraussetzungen eines Haftbefehls wegen Fluchtgefahr bestehen, ist aber auch immer zu prüfen, ob der Zweck der Untersuchungshaft durch Auflagen im Sinne von § 116 StPO erreicht werden kann. Davon ist hier im Rahmen einer Prognoseentscheidung Gebrauch gemacht worden.“ Der Angeklagte besitzt zudem einen türkischen Pass, was laut Staatsanwalt Thomas Poggel ein relevanter Faktor bei der Einschätzung der Fluchtgefahr ist: „Der Besitz eines türkischen Passes ist im Rahmen der Prüfung der Fluchtgefahr von Bedeutung, weil der Inhaber in der Regel dann auch Kontakte in der Türkei hat und damit die Möglichkeit, sich in das Ausland abzusetzen.“
Am 11. September wurde dem Landgericht erstmals durch die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein mitgeteilt, dass der Angeklagte seiner Meldeauflage zuletzt am 12. August nachgekommen sei. Nach derzeitigem Stand ist der mutmaßliche Verbrecher nun schon über 130 Tage auf der Flucht.
Ob ein europäische Haftbefehl (EuHB) tatsächlich den Behörden hilft ist fraglich. Er wird als ein juristisches Instrument zur grenzüberschreitenden Strafverfolgung innerhalb der Europäischen Union angewendet. Der EuHB wird von der zuständigen Justizbehörde eines EU-Landes ausgestellt, um die Festnahme und Übergabe einer Person in einem anderen EU-Land zu erwirken. Er gilt für schwere Straftaten, die im ausstellenden Staat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder zur Vollstreckung einer bereits verhängten Freiheitsstrafe von mindestens vier Monaten. Als nicht EU-Staat gilt der Haftbefehl in der Türkei nicht.