Hochsauerlandkreis. Traurige Realität in Frauenhäusern in Deutschland. Auch im Hochsauerlandkreis ist die Lage kritisch. Eine Sozialarbeiterin erzählt aus dem Alltag
Frauen, die Opfer von häuslicher bzw. sexualisierter Gewalt werden, sollen durch Frauenhäuser Schutz finden können. Zu diesen und anderen Maßnahmen hat sich der Staat mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention verpflichtet, die seit 2023 uneingeschränkt in Deutschland gilt. Von der Umsetzung dieses Versprechens ist er jedoch weit entfernt: Der Bedarf an Frauenhäusern mit Plätzen für Frauen und Kinder, die vor Gewalt fliehen müssen, ist nicht mal ansatzweise gedeckt. „Es fehlen ca. 14.000 Frauenhausplätze in Deutschland“, erklärt Nina Balkenohl. Die Sozialarbeiterin arbeitet im Frauenhaus Arnsberg, dem einzigen Frauenhaus im gesamten Hochsauerlandkreis. Auch hier mangelt es an zahlreichen Plätzen - was mit Blick auf Größe des Einzugsbereichs wenig überrascht.
Im HSK fehlen mindestens 14 Frauenhausplätze
Ein Familienzimmer pro 10.000 Einwohner/innen lautet der Schlüssel, nach welchem laut der Istanbul-Konvention der Bedarf an Schutzplätzen berechnet wird. Für ganz Deutschland bedeute das einen Bedarf an 21.000 Plätzen, sagt Nina Balkenohl. Die Realität, die die Expertin schildert, ist jedoch ernüchternd: Die rund 400 Frauenhäuser, die bundesweit existieren, können nur etwa 6.400 gewaltbetroffenen Frauen und Kindern Schutz bieten. Im Jahr 2022 bedeutete das, dass rund 23.000 Frauen und ihren Kindern aufgrund von Platzmangel von den Schutzeinrichtungen abgewiesen werden mussten.
„Wir sind über das Jahr meist voll belegt und müssen viele Frauen abweisen.“
Das Frauenhaus in Arnsberg, die einzige Schutzeinrichtung im gesamten Hochsauerlandkreis, verfügt seit seinem Umzug im vergangenen Jahr über 12 Familienplätze und vier weitere für alleinstehende Frauen. Doch für den Bedarf im Kreis reicht das lange nicht, wie die Sozialarbeiterin erklärt: „Im Hochsauerlandkreis fehlen mindestens 14 Frauenhausplätze.“ Die Auslastung der wenigen Plätze, die das Frauenhaus Arnsberg aufbieten kann, liege derzeit bei 100 Prozent, so Nina Balkenohl: „Wir sind über das Jahr meist voll belegt und müssen viele Frauen abweisen.“ Werde ein Zimmer frei, melde das Frauenhaus diesen bei der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) und der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW (LAG). Doch dieses sei schon am selben Tag wieder belegt, schon innerhalb weniger Stunden. „In der Regel nehmen wir noch am selben Tag eine Frau mit ihren Kindern auf.“ Vielen Frauen müsse das Team des Frauenhauses auch Absagen erteilen, weil die Belastungsgrenze schnell erreicht sei: „In diesen Fällen verweisen wir auf die Internetseiten und andere Frauenhäuser.“
Mobilität im HSK ist eine der größten Herausforderungen für Frauenschutz
Die ländliche Umgebung und die damit verbundenen Entfernungen stellen für den Frauenschutz im HSK ein weiteres großes Problem dar. Als einzige Anlaufstelle im gesamten HSK müsse das Frauenhaus Arnsberg einen großen Bereich abdecken. Für die Betroffenen bedeute das oft eine weite Anfahrt, erklärt Nina Balkenohl: „Dabei kommt es oft zu Schwierigkeiten auf dem Weg zu uns.“ Auch die Gleichstellungsbeauftragte des Hochsauerlandkreises, Katrin Schüttler-Schmies, erkennt in der ländlichen Prägung der Region eine große Herausforderung für den Frauenschutz. Frauenberatungsstellen wie in Meschede oder Arnsberg böten Beratungen deshalb nicht nur in Präsenz an, sondern auch telefonisch oder im Onlinechat. „Darüber hinaus steht 24/7 das bundesweite ‚Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen‘ zur Verfügung“, so Katrin Schüttler-Schmies.
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Auch den terminlichen Alltag im Frauenhaus Arnsberg zu bestreiten, ist angesichts der ländlichen Mobilitätsvoraussetzungen für alle Beteiligten schwierig. Weite Fahrten zu Behörden, Arztpraxen und Anwaltsterminen, auf denen die Betroffenen von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses begleitet werden, seien eine logistische Herausforderung, wie Nina Balkenohl schildert: „Wir haben nur einen Bulli zur Verfügung, in dem nicht alle Frauen mit ihren Kindern Platz finden.“ Daher seien sie oft auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Ebenfalls sehr schwierig sei es, eine neue Wohnung in der Umgebung für die Frauen und Kinder zu finden, die vor der Gewalt in ihrem früheren Zuhause geflohen sind. „Der Wohnungsmarkt ist auch hier im HSK sehr angespannt“, erklärt Nina Balkenohl.
Wie Betroffene im HSK Hilfe und Schutz finden
Der Weg ins Frauenhaus beginne für viele Betroffene mit einem Anruf, durch sie selbst oder andere Institutionen wie Sozialdienste, Beratungsstellen oder das Jugendamt. „In diesem Telefonat wird geklärt, in welcher Situation sich die Fau mit ihren Kindern befindet und ob sie von Gewalt betroffen ist“, schildert Nina Balkenohl. Dann würden Details geklärt wie der einfachste Weg zum Frauenhaus und mitzubringende Unterlagen. Eine Adresse werde zu keinem Zeitpunkt genannt: Stattdessen vereinbaren die Mitarbeiterinnen einen Treffpunkt an dem sie die Schutzsuchenden abholen: „Das ist essentiell für die Sicherheit der anderen Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen.“
Nach der Ankunft können die Frauen in ihrer Wohneinheit erstmal zur Ruhe kommen. Dann gehe es ans Ausfüllen der Unterlagen. Oft werde direkt ein Bürgergeldantrag beim Jobcenter gestellt, wenn die Bewohnerin von Sozialleistungen lebt. „Dies ist sehr wichtig, da die betroffene Frau meist ohne finanziellen Mitteln und kaum Kleidung oder Lebensmitteln zu uns ins Frauenhaus kommt.“ Für Lebensmittel erhielten sie meistens einen Vorschuss, passende Kleidung aus der durch Spenden bestückten Kleiderkammer. Später bekämen die Bewohnerinnen dann psychosoziale Beratungen und Unterstützung bei weiteren Antragstellungen wie beispielsweise Kindergeld. „Und es wird eine Auskunftssperre (§51 BMG) eingerichtet.“
Unterstützung bei Behördengängen und Anträgen
Hier wird ihr erst zunächst ihre Wohneinheit bzw. Zimmer gezeigt und sie kann erstmal zur Ruhe kommen. Im Laufe des Tages müssen einige Unterlagen ausgefüllt werden. Wir stellen unsere Hausordnung indem die Regel für das Zusammenleben dargelegt sind. Zu diesem Zeitpunkt wird oft zusätzlich direkt ein Bürgergeld Antrag bei unserem Jobcenter gestellt, sofern die Bewohnerin von Sozialleistungen lebt. Dies ist sehr wichtig, da die betroffene Frau meist ohne finanziellen Mitteln und kaum Kleidung oder Lebensmitteln zu uns ins Frauenhaus kommt. Meistens geben wir vorab schonmal einen Vorschuss, damit die Frau sich Lebensmittel kaufen kann. Zudem gehen wir mit ihr in unsere Kleiderkammer, welche aus Spenden besteht, in der sie für sich und ihre Kinder nach passender Kleidung schauen kann.
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Im Laufe der Zeit werden psychosoziale Beratungen durchgeführt, die Bewohnerin bekommt Unterstützung bei Antragstellungen z.B. für Kindergeld und es wird eine Auskunftssperre (§51 BMG) eingerichtet. „Je nach der Gefährdungslage kann ein Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz bei dem Familiengericht gestellt werden und ein Kontakt- und Annäherungsverbot erwirkt werden.“ Traumasensible Beratungsgespräche, Kriseninerventionen, Unterstützung und Begleitung bei Terminen oder der Wohnungs- und Kindergartenplatzsuche oder dem Schulwechsel - die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses helfen, wo sie nur können. Sie wollen die betroffenen Frauen dabei unterstützen, neue Perspektiven zu finden: „Jede Frau ist für sich selbst und ihre Kinder verantwortlich und wir unterstützen sie für ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt.“
Hier finden Frauen in Not Ansprechpartner:
Alleinstehende Frauen oder Frauen mit Kindern aus dem HSK, die vor häuslicher Gewalt fliehen müssen, finden bei den Frauenberatungsstellen in Meschede (Tel.: 0291 52171) und in Arnsberg (Tel.: 02932 8987-703) Ansprechpartner und Hilfestellung. Informationen über freie Frauenhausplätze gibt es auf den Internetseiten der ZIF und der LAG. Vertrauliche und kostenfreie Beratungsangebote und Unterstützung finden gewaltbetroffene Frauen rund um die Uhr über das Hilfetelefon ‚Gewalt gegen Frauen‘ über die Telefonnummer 116016. Auch eine Online-Beratung ist hier möglich: https://onlineberatung.hilfetelefon.de/.