Brilon. Ein Gesetz bringt Besserung bei Lieferengpässen, doch Probleme bleiben. Apothekerin Sandra Dietrich-Siebert aus Brilon über Folgen des Mangels.

Lieferengpässe bei Medikamenten sind längst kein neues Phänomen mehr. Doch auch in Brilon merken die Apotheken die Auswirkungen dieser Krise immer deutlicher. Sandra Dietrich-Siebert, Sprecherin der Briloner Apotheker, beschreibt die Situation als zunehmend belastend: „Bei einigen Medikamenten wie Fiebersäften und Antibiotika hat sich dank des neuen Gesetzes eine leichte Verbesserung eingestellt. Doch andere Mittel, darunter Morphine oder auch Diabetesmedikamente, sind weiterhin schwer zu bekommen – teilweise müssen die Patienten bis Juni 2025 warten.“

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Bei dem Gesetz, welches Dietrich-Siebert anspricht, handelt es sich um das sogenannte ALBVVG Gesetz - hinter diesen sechs Buchstaben verbirgt sich der nahezu unaussprechliche Name „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“. Das ALBVVG wurde im Juli 2023 von der Ampelregierung verabschiedet, um Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten zu reduzieren. Es zielt darauf ab, die Versorgungssicherheit zu verbessern, indem es Generikahersteller stärkt und Produktionskapazitäten in Europa fördert. 

NRW-Gesundheitsministerium alarmiert

Ein Lieferengpass ist übrigens etwas anderes als ein Versorgungsmangel: Während man bei einem Lieferengpass oft auf vergleichbare Medikamente ausweichen kann, ist das bei einem Versorgungsmangel nicht möglich. Denn Alternativen stehen dann in der Regel nicht zur Verfügung. Dann gibt das Bundesministerium für Gesundheit den Mangel im Bundesanzeiger bekannt. Dadurch haben die Bundesländer die Möglichkeit, das strenge Arzneimittelgesetz an einigen Stellen zu lockern und die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland zu erleichtern.

„Wir hatten es jetzt auch mal mit einem Rezeptfälscher zu tun. Das Rezept war so gut gefälscht, dass wir das erst später erkannt haben. Oftmals werden die Medikamente dann im Darknet oder bei Facebook zu überhöhten Preisen weiterverkauft.“

Sandra Dietrich-Siebert
Apothekerin

Mit diesem Problem steht Brilon auch nicht alleine da. Das NRW-Gesundheitsministerium zeigte sich am Wochenende alarmiert, nachdem der Apothekerverband Nordrhein auf neue Versorgungsengpässe hingewiesen hatte. Besonders betroffen sind derzeit auch Kochsalzlösungen, die sowohl in Kliniken als auch in der ambulanten Versorgung unverzichtbar sind. „Was in den Kliniken schon seit Monaten ein großes Problem ist, erreicht jetzt auch die ambulanten Patienten. Es gibt zurzeit viel zu wenig Kochsalzlösung“, erklärte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, gegenüber der „Rheinischen Post“.

Krankenhausgesellschaft NRW warnt vor OP-Verschiebungen

Die Knappheit der Kochsalzlösungen wirkt sich zunehmend auf die Krankenhäuser aus. Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Der Engpass bei den Kochsalz-Spüllösungen beschäftigt die Krankenhäuser schon sehr lange. Seit Juni warnen wir davor, dass Operationen verschoben werden müssen.“ Zwar seien Patientinnen und Patienten dank des Engagements der Krankenhäuser bisher nicht gefährdet gewesen, doch die Situation bleibe angespannt.

„Am Anfang des Monats sieht es meist besser aus, weil dann neue Kontingente abgerufen werden können. Doch gegen Ende des Monats kommen die Engpässe wieder verstärkt zum Tragen“, erklärte Blum. Um die Versorgung möglichst aller Abteilungen sicherzustellen, müssten die Krankenhäuser oftmals die angeforderten Mengen flexibel anpassen. Hoffnung setze man auf Meldungen, dass sich die Lage bis Ende des Jahres entspannen könnte.

500 Medikamente von Engpässen betroffen

Nicht nur Kochsalzlösungen, sondern rund 500 Medikamente insgesamt sind laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit von Lieferengpässen betroffen. In seiner Datenbank, in der Hersteller versorgungskritische Arzneimittel eintragen, sind derzeit zahlreiche Schmerzmittel, Antibiotika und Fiebersäfte gelistet. Die Situation verschärft sich insbesondere durch die zunehmende Globalisierung der Medikamentenherstellung, wie Sandra Dietrich-Siebert erläutert: „Die Wirkstoffe werden mittlerweile zu 70 bis 80 Prozent in China hergestellt. Das bedeutet, dass Produktionsengpässe oder fehlerhafte Chargen sofort zu Lieferproblemen führen, weil es keine Alternativen auf dem Markt gibt.“

Ein weiteres Problem seien gefälschte Rezepte, die gerade in Zeiten knapper Bestände vermehrt auftauchen. Dietrich-Siebert schildert ihre eigenen Erfahrungen: „Wir hatten es jetzt auch mal mit einem Rezeptfälscher zu tun. Das Rezept war so gut gefälscht, dass wir das erst später erkannt haben. Oftmals werden die Medikamente dann im Darknet oder bei Facebook zu überhöhten Preisen weiterverkauft.“

Auch Rabattverträge der Hersteller mit den Krankenkassen spielen eine Rolle in der Misere. Dietrich-Siebert erklärt: „Es gibt mittlerweile 40.000 Rabattverträge. Dadurch wird zwar vieles günstiger, aber für die Hersteller auch weniger attraktiv. Oft entscheidet die Krankenkasse nur nach dem Preis, nicht nach der Lieferbarkeit.“ Dies führe dazu, dass sich viele Hersteller zunehmend auf patentierbare Medikamente konzentrieren, während die Basisversorgung gefährdet werde.

Keine schnelle Lösung in Sicht

Trotz aller Herausforderungen betont die Apothekerin aus Brilon, dass keine Patentlösung in Sicht sei. „Es braucht eine europaweite, wenn nicht sogar globale Lösung. In Deutschland alleine werden wir das nicht stemmen können, auch wenn es sinnvoll ist, Teile der Produktion zurückzuholen.“ Sie selbst versucht jedoch, die Menschen in Brilon zu beruhigen: „Wir Apotheken tun alles, um die Versäumnisse aufzufangen. Letztes Jahr habe ich mehr Wirkstoff bestellt, um Fiebersäfte vor Ort herstellen zu können. Einige Kunden kamen dafür sogar aus Bielefeld, obwohl der selbst hergestellte Saft teurer ist als die industriellen Produkte.“

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Dietrich-Siebert wünscht sich für Apotheker mehr Freiheiten, um flexibler auf Lieferengpässe reagieren zu können: „Wir dürfen häufig nur das rausgeben, was auf dem Rezept steht. Selbst wenn eine Alternative verfügbar ist, müssen wir erst Rücksprache mit dem Arzt halten. Das kostet wertvolle Zeit.“ Mit Material von DPA