Winterberg. Insektenkünstler Michael Tuss aus Niedersfeld kreiert beeindruckende Metallskulpturen. Kunden lassen sich riesige Spinnen an die Hauswand setzen.

„Wenn man sich diese filigranen Beinchen anschaut, den ganzen Körperbau, dann kann man doch nur davon fasziniert sein.“ Beim Stichwort „Insekten“ gerät Michael Tuss ins Schwärmen. Das unterstreichen auch die beiden Käfer-Tattoos, die er an Unterarm und Wade trägt. Als sich neulich beim Chiemsee-Urlaub ein Gast am Nachbartisch mit einer elektrischen Fliegenklatsche brüstet und jedem noch so harmlosen Insekt hinterherjagt, hält es ihn nicht mehr am Platz. „Da bin ich aufgestanden und hab ihm erstmal meine Meinung gesagt.“ Ja, eine Stechmücke hat der Niedersfelder vielleicht schon mal verscheucht. Aber ansonsten kann er ruhigen Gewissens von sich behaupten, noch keiner Fliege etwas zu Leide getan zu haben. Im Gegenteil. Insekten sind für ihn fliegende Wunderwerke der Natur.

Fast könnte man meinen, sie fliegt gleich weg: Insekten haben es dem Metallbildner Michael Tuss aus Niedersfeld angetan.
Fast könnte man meinen, sie fliegt gleich weg: Insekten haben es dem Metallbildner Michael Tuss aus Niedersfeld angetan. © WP | Privat

Wie viele Ameisen, Hummeln, Käfer oder Bienen der 64-Jährige schon aus Metall hergestellt hat, das weiß er nicht mehr. Aber alle sind sie Unikate - so wie die etwa 4,50 Meter mal 2,50 Meter große Wildbiene, die er für eine Ausstellung im Frankfurter Palmengarten als Auftragsarbeit geschaffen hat. Sie ist der Hingucker der Schau, die unter dem doppelsinnigen Namen „Verspielt? - Roulette mit der Insekten- und Pflanzenwelt“ noch bis zum 6. Oktober in der Mainmetropole zu sehen ist und das Artensterben ins Bewusstsein rücken will. Danach bleibt die Wildbiene dauerhaft in der Bankenmetropole, weil die Stadt sie gekauft hat.

Viele Hausbesitzer lassen sich Insekten an der Hauswand anbringen.
Viele Hausbesitzer lassen sich Insekten an der Hauswand anbringen. © WP | Privat

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„Aus NRW bin ich der einzige Künstler, der gemeinsam mit 30 anderen Kunstschaffenden einen Beitrag zu dieser Ausstellung leistet. Die Kuratorin ist auf mich aufmerksam geworden, hat mich angesprochen und so kam diese Biene aus Metall zustande. Ich glaube, ich kenne auch deutschlandweit niemanden, der sich auf diese Art mit Insekten befasst“, erzählt der Niedersfelder, der den Begriff „Künstler“ nicht so gerne in den Mund nimmt. „Ich würde mich eher als Metallbildner bezeichnen“, sagt Tuss. Aber wenn man ganz ehrlich ist, ist es sogar eine hohe Kunst, mit wenigen filigranen Stilmitteln aus eher grobem, sperrigen Material, die Eigen- und Besonderheiten der Summer und Brummer herauszuarbeiten. „Bei der Hummel zum Beispiel kann ich gar nicht die vielen Haare an den Beinen darstellen. Da muss es dann die Wuchtigkeit des Tieres sein, die ich als Hauptmerkmal in den Vordergrund stelle. Oder bei der Spinne kommt es ganz darauf an, wie die acht Beine angeordnet sind.“

Gelernt hat der Sauerländer den Beruf des Heizungsbauers

Dass er einmal mit seiner Passion seine Brötchen verdienen könnte – und das seit inzwischen schon zehn Jahren -  hätte sich der 64-Jährige nie träumen lassen. Der berufliche Werdegang verlief dann auch ganz anders. Gelernt hat der Sauerländer den Beruf des Heizungsbauers. „Ich habe aber nur zwei, drei Jahre als Geselle gearbeitet. Dann war ich lange Zeit im Sanitär- und Heizungshandel im Innendienst tätig, bis ich dann jemanden kennengelernt habe, der sich mit Objekten und auch mit Insekten aus Metall beschäftigte. Das war nicht schlecht, aber ich war der Ansicht: Das kann ich besser.“ Es folgen die ersten Arbeiten und auf einer Ausstellung in Kassel wird ein Kunde und späterer Interims-Geschäftspartner auf ihn aufmerksam, über den der erste Fernsehbeitrag in der ARD zustande kommt. Und damit schwärmen die Bienen und Käfer aus Metall plötzlich nur so aus.

Man hört sie quasi summen... Fliegen aus Metall aus der Werkstatt von Michael Tuss.
Man hört sie quasi summen... Fliegen aus Metall aus der Werkstatt von Michael Tuss. © WP | Privat

In Österreich hat Michael Tuss viele Kunden, auf Ibiza hat er zum Beispiel die Außenfassade einer Finca mit 30 Metall-Ameisen und einem sechs Meter langen Gecko aus Glasfaser-Kunststoff, seine zweite Passion, dekoriert. Auf einer Ausstellung lernt er einen Hochschulprofessor kennen, der eine Biologische Station in Costa Rica leitet. Die besucht er auf dessen Einladung und guckt sich dort ganz andere Kaliber von Insekten an. Schon dreimal hat der Sauerländer in Malmö ausgestellt und für kommendes Jahr ist eine Schau im Hallenberger Kump geplant.

Eine ganz andere Stilrichtung: Michael Tuss macht auch Briefkästen in Form von Schultornistern.
Eine ganz andere Stilrichtung: Michael Tuss macht auch Briefkästen in Form von Schultornistern. © WP | Privat

In vielen Orten des Sauerlandes und darüber hinaus findet man seine Objekte – meistens Insekten – aber auch ganz besondere Briefkästen. Sie sehen aus wie die guten alten Schultornister vergangener Jahre. Dabei haben sie so einen verblüffend echten Retro-Look, dass das Metall oder das Holz, aus dem sie gefertigt sind, fast nach Leder duften. 500 Stück hat er davon schon gemacht – alles Einzelstücke. Aber das wäre eine andere Geschichte für sich. 

„Alles sind Unikate. Und für Messen muss ich mir bei Freunden und Bekannten deren Metall-Insekten ausleihen, damit ich etwas zeigen kann.“

Michael Tuss
Metallkünstler

Zurück zu den Insekten: „Es sind immer diese Ausstellungen, auf denen man mit Menschen ins Gespräch kommt. Ich fahre ja auch nicht mit einem Hänger voller fertiger Metall-Insekten dorthin. Ich produziere nichts auf Halde. Alles sind Unikate. Und für Messen muss ich mir bei Freunden und Bekannten deren Metall-Insekten ausleihen, damit ich etwas zeigen kann. Wer dann ein Objekt bei mir bestellt, der muss warten, denn alles wird nach individuellen Wünschen angefertigt. Ich könnte auch Schmuck machen; die kleinsten Insekten sind 15 Zentimeter groß, aber die großen Teile liegen mir mehr.“ Gearbeitet wird mit Stahl, Kupfer, Messing oder Bronze. Und nach der exakten, eigenhändigen Feinzeichnung heißt es schneiden, treiben, verschweißen und schleifen. „So, wie ich das mache, werden auch aus sogenannten Tiefziehblechen Autokarosserien gebaut. Das ist im Prinzip nichts anderes.“

Metallbildner Michael Tuss mit einem Moschusbockkäfer aus Kupfer.
Metallbildner Michael Tuss mit einem Moschusbockkäfer aus Kupfer. © WP | Thomas Winterberg

Insekten aus Metall

An lebenden Objekten, aber auch anhand von Sachbüchern oder im Internet findet der Metallbildner alle möglichen Details seiner „Modells“. Die Proportionen, die Abstände – alles muss stimmen. Michael Tuss geht es nicht darum, eine abstrakte Darstellung eines Insekts abzuliefern, sondern eine möglichst natur- und detailgetreue. Natürlich darf und sollte man sehen, dass das fertige Objekt handwerklich gearbeitet ist.

In der Werkstatt in Niedersfeld ist auch diese Wildbiene entstanden.
In der Werkstatt in Niedersfeld ist auch diese Wildbiene entstanden. © WP | Privat

Für die Wildbiene in Frankfurt hat er gut und gerne drei Monate Zeit gebraucht. Die meisten Kunden wissen es ein- und wertzuschätzen, dass die Kunstwerke in stundenlanger Kleinarbeit entstehen. Nur wenige versuchen den Metallbauer im Preis zu drücken. „Da mache ich auch nicht mit.“ Früher, im täglichen Räderwerk des Berufslebens, hat Michael Tuss auch viel Stress gehabt. „Das Arbeiten heute ist für mich positiver Stress.“ Vermutlich so eine Art künstlerische Triebfeder oder -  um im Bild zu bleiben - es sind  die sprichwörtlichen Hummeln im Hintern…

Eine ganze Straße von Ameisen aus Metall.
Eine ganze Straße von Ameisen aus Metall. © WP | Privat