Kiew/Brilon. Der 25-jährige Wladislav Bilobrovko meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er hatte eine Karriere als Rechtsanwalt vor sich. Nun ist er tot.
Igor Kovalenko öffnet die Augen, blinzelt ins fahle Licht, das von oben in den ukrainischen Schützengraben fällt. Die Luft ist schwer, gefüllt mit dem bitteren Geschmack von Rauch und Erde. Er weiß nicht, wie lange er bewusstlos war. Minuten? Stunden? Er blickt an sich herunter, sieht Fleischfetzen, Haut und Blut. Eine Granate hat seinen Unterschenkel erwischt.
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Er hatte Glück. Andere hatten keines. Kiew erinnert sich an sie, still und doch mächtig. Tausende von Fahnen wehen auf dem Euromaidan im Wind, wie stumme Zeugen, die ihren Namen flüstern: Ihor, Maksym, Dmytro. Jede Fahne steht für ein verlorenes Leben, jede für einen Bruder, einen Sohn, einen Vater. Es sind Zehntausende.
Victoria Liese erinnert sich an den Tag im Juli, als sie aufbrach. 14 Stunden saß sie in einem Bus, der von Mercedes Witteler gesponsert wurde, um sie von Brilon an die ukrainische Grenze zu bringen. Dann folgte die Fahrt im Zug, eine weitere Odyssee. Ihr Ziel war Kiew. Ihr Hotel? Direkt am Maidan. Ihr Blick? Unablässig auf die toten Seelen gerichtet, die unter den flatternden Fahnen ruhten. „Bis zum letzten Tag habe ich das alles gut ausgehalten“, sagt sie leise, fast flüsternd. „Aber irgendwann… irgendwann war es zu viel. Die Geschichten, das Leid dieser jungen Männer, es hat mich einfach übermannt.“
Gesundheitsminister war beeindruckt
In der Ukraine wurde sie gut empfangen. Die Menschen begegneten ihr mit einer Wärme, die sie nicht erwartet hatte. Auf Pressekonferenzen, in Gesprächen mit dem Gesundheitsminister Dr. Viktor Liashko : „Er war wirklich beeindruckt, dass aus einer kleinen Stadt wie Brilon so viel Hilfe kommt“, erinnert sich Victoria an das ehrliche Staunen in den Augen des Ministers. Doch sie war nicht mit leeren Händen gekommen. 50 Rollstühle, Medikamente, Kinderkleidung – das war ihr Gepäck.
In Lwiw führte ihr Weg sie in ein Krankenhaus, das so treffend „Unbroken/Anm. d. Red: Ungebrochen)“ genannt wurde. Es ist mehr als ein Name; es ist ein Versprechen. Ein Versprechen an die Männer, die gerade erst begonnen hatten zu leben, aber täglich mit dem Tod liebäugeln mussten. Grigori war und ist einer von ihnen. Ein junger Mann, der jetzt in einem Rollstuhl sitzt, den Victoria Liese mitgebracht hatte. Er lächelt. Es ist kein echtes Lächeln, nicht wirklich. Aber er versucht es, für die Kamera: „Die Menschen dort müssen ihren Verstand schützen“, erklärt Victoria, „ohne Humor kannst du nicht überleben.“
Ukraine-Hilfefonds der Stadt Brilon
Die Stadt Brilon setzt ihr Engagement für die Ukraine-Hilfe fort und ruft weiterhin zu Spenden auf. Um die wichtige Unterstützung aufrechtzuerhalten, wurde ein spezielles Spendenkonto eingerichtet. Bürge, die einen Beitrag leisten möchten, können ihre Spenden an die Stadtkasse Brilon überweisen. Die Bankverbindung lautet:
Sparkasse Hochsauerland IBAN: DE04 4165 1770 0000 0023 37
Bei der Überweisung ist es wichtig, den Verwendungszweck „Spende Brilon hilft der Ukraine“ anzugeben. Für eine reibungslose Verarbeitung und die Ausstellung von Spendenbescheinigungen bei Beträgen ab 300 Euro sollten Spenderinnen und Spender zusätzlich ihren vollständigen Namen und ihre Adresse im Verwendungszweck vermerken.
Es wird darauf hingewiesen, dass auch Spenden unter 300 Euro steuerlich geltend gemacht werden können, auch ohne eine gesonderte Bescheinigung.
Doch der Humor hätte auch sie fast verlassen, wegen der dunklen Bilder, die sich in ihre Seele gebrannt hatten. Die nächtlichen Sirenen, die plötzlichen Stromausfälle, die gespenstische Ruhe, die über der Stadt lag. „Zwischen 22 Uhr und 5 Uhr dürfen die Menschen nicht mehr auf die Straßen“, erinnert sich Victoria Liese. „Es ist, als ob die Stadt stirbt. Und dann, wenn die Sirene heult, rennt man los. Man packt seine Papiere, rennt in den Keller, während draußen das rote Licht der Warnanlagen alles in eine unheimliche Farbe taucht.“
Victoria Liese: „Ich habe keine Wahl“
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Es ist dieser Schrecken, der sie daran zweifeln ließ, ob sie jemals zurückkehren würde. Doch jetzt, einige Wochen später, ist sie sich sicher: Sie wird weitermachen. Sie muss. „Ich habe keine Wahl“, sagt sie entschlossen und bedankt sich bei all denen, die sie unterstützt haben – bei den Bürgern von Brilon, der Stadt und der katholischen Kirche.
Igor Kovalenko wird vielleicht nie wieder laufen, vielleicht aber doch, falls das Schicksal ihm noch eine Prothese schenkt. Aber für viele andere kam jede Hilfe zu spät. Wie für den jungen Rechtsanwalt Wladislav Bilobrovko, 25 Jahre alt, der sich freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet hatte. Er wollte sein Land gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Russen verteidigen. Liese hatte mit ihm korrespondiert, Briefe geschickt und Kleidung. „Er hat mir geschrieben, direkt aus dem Schützengraben“, erinnert sie sich. „Er sagte, er lese meinen Brief seinen Kameraden vor, und sie hätten sich so gefreut, von mir zu hören.“ Das war das letzte Mal, dass sie von ihm hörte. Wenige Tage später war er tot.