Marsberg. Jahrelang sollen zwei Schäferhunde erbärmlich in einem Verlies im Wald gelebt haben. Marsberger Tierschützer zeigen hessisches Veterinäramt an.
Elke Heinemann hat in Sachen Tierhaltung schon viel erlebt. So schnell schockt nichts und niemand mehr die engagierte Vorsitzende des Tierschutzvereins. „Aber so eine Hundehaltung in Deutschland habe ich noch nicht gesehen. Das kennt man eigentlich nur aus Rumänien.“ Der aktuelle Fall, bei dem der Verein eingeschaltet wurde, spielt im Landkreis Kassel. Spaziergänger hätten sich bei ihrem Verein gemeldet und auf die Hunde verwiesen. Heinemann: „Eines unserer Mitglieder ist mit ihrem Mann rausgefahren, um sich die Lage anzuschauen. Nachdem sie das Elend gesehen hatte, konnte sie nicht mehr in den Schlaf kommen. Der Kot eines ganzen Jahres hing im Fell der Tiere…“
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Das vom Verein geschilderte und in Fotos und Videos dokumentierte Elend ist ein Verschlag mitten im Wald. „Hütte kann man das gar nicht nennen. Das war eine aus Brettern und Draht zusammengezimmerte Behausung. Dort vegetierten zwei Schäferhunde – Rüde und Hündin – auf etwa zwei Quadratmetern Fläche. Der Untergrund, auf dem sie sich hinlegen konnten, bestand aus leeren Hundefutter-Tüten.“ Nach Recherchen des Vereins leben die Tiere seit etwa vier Jahren in diesem Verlies. „Man muss sich einfach einmal vorstellen, was Hunde brauchen und was sie dort bekommen haben…“
„Die Hündin war wie von Sinnen. Sie war nicht zu beruhigen.“
Die Marsberger Tierschützer wenden sich an das zuständige Veterinäramt und bitten um eine Kontrolle der Verhältnisse. Zugleich bietet der Verein an, die Hunde zu übernehmen. Heinemann: „Denn das ist das Problem vieler Veterinärämter: Für sie wird es in überfüllten Heimen immer schwieriger, die Tiere unterzubringen. Aber in solchen Notfällen muss man handeln. Ich hatte bei dem Telefonat mit dem Veterinäramt das Gefühl, dass kein Interesse daran bestand, die Hunde dort rauszuholen.“ Unterdessen schauen Mitglieder des Tierschutzvereins immer wieder nach dem Rechten und sorgen dafür, dass die beiden Schäferhunde Wasser bekommen.
Nach eigenen Recherchen, so Elke Heinemann, habe man schließlich den Halter der Hunde ausfindig gemacht, der nach ihren Angaben mittellos und nicht in der Lage sei, die verheerende Situation der Hundehaltung richtig einzuschätzen und zu reflektieren. „Erleichtert hat er zugestimmt, die Hunde abzugeben. Eine Freundin aus Frankfurt ist extra dorthin gefahren und hat das Ganze gemanagt. Der Besitzer hat geholfen, die Hunde ins Auto zu bekommen.“
Landestierschutzbeauftragte eingeschaltet
Die Schäferhunde werden zu einem Tierarzt gebracht, untersucht, komplett geimpft und dann in eine befreundete Tierpension nach Bayern gebracht. Das Marsberger Vereinsmitglied und die Pensionsbetreiber treffen sich auf halbem Weg und müssen komplett die Autos tauschen. Eine Wechsel von einer Hundebox in die des anderen Fahrzeugs ist gar nicht möglich. Heinemann: „Die Hündin war wie von Sinnen. Sie war nicht zu beruhigen.“
Vier Jahre lang dürften die Hunde dort gehalten worden sein. Eine Anwohnerin meldet sich bei Elke Heinemann und schildert ihr, dass die Polizei bei ihren Kontrollen nur Futter und Wasser gesehen hätte; damit sei der Fall für sie erledigt gewesen. Dass zwei Schäferhunde jahrelang unter derartigen Bedingungen vor sich hin vegetieren und die Behörden - so der Vorwurf- mutmaßlich nicht eingreifen, obwohl sie nach Ansicht des Tierschutzvereins mehrfach auf den Missstand hingewiesen wurden, bringt die Tierschützer auf die Palme. Sie informieren die hessische Landestierschutzbeauftrage, die sich noch am selben Abend meldet und empfiehlt, den Regierungspräsidenten in Kassel einzuschalten. Inzwischen hat der Verein eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine Amtstierärztin und Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angekündigt
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Unsere Zeitung hat die Behörde um eine Stellungnahme gebeten: Bislang sei noch keine Dienstaufsichtsbeschwerde eingegangen und von einer Strafanzeige gegen die Mitarbeiterin habe man keine Kenntnis, so Pressesprecherin Alia Shuhaiber. Sie schildert den Sachverhalt anders: Der Halter der zwei Schäferhunde habe deren Haltung im September 2020 selbst beim Veterinäramt angezeigt. Von da an sei die zuständige Ordnungsbehörde regelmäßig wegen Lärmbelästigung durch die Haltung einbezogen worden. „Seit Januar 2021 bis März 2024 hat das Veterinäramt sieben unangekündigte Kontrollen durchgeführt. Hier wurden Maßnahmen nach dem Tierschutzgesetz angeordnet, die der Tierhalter erfüllte. Ab April 2024 häuften sich sachdienliche Informationen (Haltung der Hunde nicht bedürfnisgerecht), die ein erneutes nachhaltiges Vorgehen nötig machten.“
Seit diesem Zeitpunkt habe sich das Veterinäramt bemüht, unter Wahrung von Fristen, Datenschutz und Eigentumsrechten die „wahrscheinlich notwendige pflegliche Unterbringung der beiden Hunde zu organisieren“. Hierzu seien mehrere Kontaktaufnahmen zu Vereinen - auch zum TSV Marsberg - erfolgt.
Shitstorm provoziert
Offenbar haben sich die Ereignisse inzwischen überschlagen, denn die Behörde schreibt: „Am 19. Juni gab der Tierhalter telefonisch an, seine Hunde abzugeben. Diesen Sachstand und den Verbleib der Hunde klären wir gerade, da die Tiere bei einer Kontrolle am Dienstag, 25. Juni, nicht mehr vor Ort waren (...) Dem Veterinäramt ist aktuell nicht bekannt, in welchem Zustand sich die Hunde befinden und auf wessen Bestreben (Halter oder TSV Marsberg) die Tiere anderweitig untergebracht wurden.“
Erster Adressat und Ansprechpartner sei für das Veterinäramt zunächst die bisher verantwortliche Person (Tierhalter). Datenschutzkonform versuche man zeitgleich, den Verbleib der Hunde über den TSV Marsberg zu klären. Hier gelte es vorab, Klarheit über die verantwortlichen Personen und deren Sachkunde zu erhalten. Hierzu sei man mit der zuständigen Behöre des HSK in Kontakt getreten. Außerdem bemängelt die Behörde, dass der Tierschutzverein auf seiner Facebookseite eine Mitarbeiterin des zuständigen Amtes namentlich genannt und für die Haltung der Tiere verantwortlich gemacht habe. Diese sei einem massiven Shitstorm ausgesetzt. In dem Post werde suggeriert, dass die Behörden nichts unternommen hätten, obwohl das Veterinäramt mehrfach vor Ort gewesen sei. „Selbstverständlich müssen sich die ausführenden Behörden dabei immer im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften bewegen, auch wenn dies für Außenstehende vielleicht schwer nachvollziehbar ist. Die Veterinärämter müssen sich an die Vorgaben des Gesetzgebers halten“, so die Sprecherin.
Der Tierschutzverein hat die beiden Schäferhunde übrigens Ares und Anja getauft. Kurios am Rande: Angeblich soll die eingesperrte Hündin nie Welpen bekommen haben. Elke Heinemann hat aber herausgefunden, dass ihr Verein vor einigen Jahren sogar einen Welpen von Anja weitervermittelt hat, weil die Besitzern – die Schwester des Hundehalters dieser beiden Tiere – mit dem jungen Tier nicht klargekommen sei. Elke Heinemann. „Ich gehe sogar davon aus, dass Anja durchaus mehrere Welpen hatte. Hunde, die in einer solchen Elendssituation aufwachsen, können den unglaublichen Akt vollbringen, ihre eigenen Jungen zu töten – um ihnen solch ein Elend zu ersparen…“
Für den Tierschutzverein Marsberg entstehen durch den Einsatz für diese beiden Hunde enorme Kosten - allein jeden Monat 600 Euro Pensionskosten. Und beide werden lange brauchen, bis sie vermittelt werden können. Daher ist der Verein auf Spenden angewiesen: Sparkasse Paderborn, BLZ 476 501 30 - Konto: 409 23, IBAN: DE30 4765 0130 0000 0409 23, SWIFT-BIC.: WELADE3LXXX
Neun Welpen aus Bottrop entwickeln sich prächtig
Am Pfingstmontag hatten die Tierschützer neun Welpen in Bottrop gerettet, die angeblich „entsorgt“ werden sollten. Die Rasselbande ist im Tierheim Gießen untergebracht. Bis sie in neue Zuhause vermittelt werden, wird es noch einige Wochen dauern.