Hochsauerlandkreis. Pläne des Verteidigungsministers für einen Auswahl-Wehrdienst stoßen im Sauerland auf harte Kritik. Patrick Sensburg gehen sie nicht weit genug.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will mit einem neuen Modell des Wehrdienstes die Abschreckungsfähigkeit der Bundeswehr wiederherstellen. Dazu wolle er schrittweise einen „Auswahlwehrdienst“ einführen, sagte der Minister vergangene Woche in Berlin. Angesicht des Interesses setze er zunächst auf einen freiwilligen Wehrdienst von sechs bis zu siebzehn Monaten (die WP berichtete). Der Vorstoß stößt auf harsche Kritik im Sauerland. HSK-Militärexperte und Präsident des Reservistenverbandes Patrick Sensburg ordnet die Pläne ein.

Pistorius Pläne haben nichts mit einer Pflicht zu tun

Präsident des Reservistenverbandes Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg.
Präsident des Reservistenverbandes Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg. © RK Wittgenstein | RK Wittgenstein

„Das vorgestellt Konzept hat nichts mit einer Wehrpflicht zu tun. Es geht um die Erfassung von Personendaten und ein großes Werbe-Mailing an einen ganzen Jahrgang von Männern und Frauen, durch das 5000 Interessierte junge Menschen gewonnen werden sollen“, erklärt Sensburg. Pistorius will die rund 400.000 Männer im Alter von 18 Jahren dazu verpflichten, einen Online-Fragebogen zu Interessen und Qualifikationen ausfüllen. Auch Frauen sollen befragt werden, aber ohne Antwortpflicht. Eine Frauen-Wehrpflicht setze eine Grundgesetzänderung voraus; dazu aber sei die Zeit zu kurz, so Pistorius. Von den Befragten sollen rund 40.000 ausgewählt und gemustert werden. Für Sensburg ist die Idee ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn ohne die Daten der Bürger sei auch eine zukünftige Wehrpflicht gar nicht möglich – „und sie wird kommen.“ Was das Konzept aus Sicht des Reservistenverbandes noch nicht ausreichend berücksichtige, sei die Aufwuchsfähigkeit. „260.000 Reservistinnen und Reservisten werden gebraucht, diese aus 15.000-20.000 Ausscheidern pro Jahr zu generieren, dauert mehr als ein Jahrzehnt – im besten Fall! So viel Zeit haben wir aber nicht. Deshalb müssen wir unserer Auffassung nach in einem zweiten Schritt darüber reden, wie wir aus den noch ca. 850.000 wehrfähigen Menschen in Deutschland, also denen, die schon gedient haben und noch in einem wehrfähigen Alter sind, für ein Engagement in den Streitkräften gewinnen.“

Ohne einen Pflichtdienst geht es laut Sensburg nicht

Pistorius erhält Kritik und Zustimmung für sein Wehrdienst-Konzept.
Pistorius erhält Kritik und Zustimmung für sein Wehrdienst-Konzept. © DPA Images | Daniel Karmann
Verteidigungsminister Boris Pistorius zur Frage der Wehrpflicht in der Bundeswehr.
Verteidigungsminister Boris Pistorius zur Frage der Wehrpflicht in der Bundeswehr. © ddp images/Chris Emil Janßen | Chris Emil Janßen

Sensburg spricht für den Reservistenverband wenn er sagt, dass sie überzeugt davon seien dass es ohne einen Pflichtdienst nicht gehen werde. „Verteidigung muss gesamtgesellschaftlich betrachtet werden: Die Bundeswehr braucht genauso kontinuierlichen Personalzustrom wie die Zivilschutzkräfte, die Feuerwehren, das THW, das Gesundheitssystem. Angesichts des demographischen Wandels konkurrieren diese Akteure aber mit unzähligen anderen Branchen, die teils sehr viel flexibler sind.“ Deshalb bleibt der Reservistenverband bei der bereits 2015 formulierten Einschätzung: Deutschland braucht eine Allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen.

Bundeswehr attraktiv für junge Menschen

Lesen Sie auch:

Aber wäre es nicht damit getan, die Bundeswehr für junge Menschen attraktiver zu machen? Sensburg: „Attraktivität ist unabhängig von einer Wehrpflicht wichtig, schließlich leben die Streitkräfte nicht allein von Wehrpflichtigen.“ Die Bundeswehr sei ein verlässlicher Arbeitgeber, bei dem unterschiedlichste Wege eingeschlagen werden könnten. Um die Generation der Schulabgänger zu gewinnen, wäre es z.B. ratsam, dass der Wehrdienst es ermöglicht, Creditpoints für das spätere Studium zu verdienen oder eine anschließende Ausbildung zu verkürzen. „Da gibt es unzählige Möglichkeiten, man muss nur kreativ werden, den Willen haben und sich bei unseren Partnerländern umsehen. Das Problem ist, wir reden hierüber seit rund 15 Jahren und es tut sich nichts, außer dass die Zahlen nach unten gehen. Es geht nicht ohne Wehrpflicht“, wiederholt Sensburg.

„Wir dürfen diese Generation nicht unterschätzen – wenn wir es schaffen, Sinnhaftigkeit zu vermitteln und attraktive Angebote zur Weiterentwicklung zu schaffen, wird auch ein Allgemeiner Pflichtdienst seine Anerkennung bei jungen Menschen finden, da bin ich mir ganz sicher.“

Patrick Sensburg

Vor- und Nachteile der Debatte

Die positive Nachricht für ihn ist: „Die Bundeswehr hat den Wert der Reserve für die Abschreckung gegenüber Aggressoren erkannt. Zudem hat der Minister deutlich gemacht, dass es sich hier um einen ersten Schritt handelt, der pragmatisch und jetzt schnell umsetzbar ist. Der Minister hat mit seiner Vorstellung insbesondere eine Debatte über eine Wehr- bzw. Dienstpflicht angeschoben. Das war ein wichtiger Schritt, wenn wir uns die letzten Jahre aschauen.“ Nachteil sei, dass es erst einmal nicht viel mehr als ein Werbemailing ist. Ob damit genügend Personal gefunden werden könne, werde sich zeigen. „Für den Aufbau der 260.000 Männer und Frauen starken Reserve, wird das nicht reichen.“

Schülervertretungen laufen Sturm

Knapp 50 Jugendliche von „Jugendkommune Berlin“ protestieren mit eine Demonstration durch Kreuzberg gegen die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius für die Wiedereinführung eines Wehrdienstes.
Knapp 50 Jugendliche von „Jugendkommune Berlin“ protestieren mit eine Demonstration durch Kreuzberg gegen die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius für die Wiedereinführung eines Wehrdienstes. © Florian Boillot | Florian Boillot

Viele junge Menschen kritisieren die Pläne, Schülervertretungen laufen Sturm. Sensburg ist es wichtig, eine breite Auswahlmöglichkeit zu geben und zu erklären, dass Gesamtverteidigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die alle gemeinsam stemmen müssen. „Wir dürfen diese Generation nicht unterschätzen – wenn wir es schaffen, Sinnhaftigkeit zu vermitteln und attraktive Angebote zur Weiterentwicklung zu schaffen, wird auch ein Allgemeiner Pflichtdienst seine Anerkennung bei jungen Menschen finden, da bin ich mir ganz sicher.“ Und weiter: „Es tut jungen Generationen immer gut, wenn sie Verantwortung übernehmen können, die sinnhaft für unsere Gesellschaft ist.“

Mehr WP Brilon