Brilon/Hochsauerlandkreis. Friedrich Merz ist 24 Stunden nach seiner Ukraine-Reise in Brilon. Er spricht über seine Emotionen im Kriegsgebiet – und attackiert den Kanzler.

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, hat nur rund 24 Stunden nach seinem umstrittenen Besuch in Kiew in Brilon-Altenbüren von seiner Reise in die Ukraine erzählt. Auf einer Veranstaltung der CDU des Hochsauerlandkreises im Landtagswahlkampf NRW ist Friedrich Merz zur Unterstützung des heimischen Landtagsabgeordneten Matthias Kerkhoff angereist. Dort berichtet er in der Schützenhalle von seinen Eindrücken aus dem Kriegsgebiet.

Friedrich Merz in Olpe mit Buh-Rufen begrüßt

Vor der Schützenhalle in Altenbüren ist es am Mittwochabend ruhig. Einige CDU-Politiker aus dem Hochsauerlandkreis stehen zusammen, diskutieren in ruhigem Ton. Manche lachen. Die Stimmung in der Halle ist entspannt. Die langen Tische sind gut besetzt, manche haben Wasser oder ein Glas Cola vor sich stehen. Keine Buh-Rufe, keine Protestplakate wie in Olpe. Dort war Friedrich Merz nur zwei Tage zuvor zu Gast und warb für den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU). Lautstarke Protestrufe, insbesondere durch die Querdenker-Szene hatten ihn dort begrüßt. Auf den Schildern hatten Zeilen wie „Für die Bürger statt dagegen“ gestanden. Oder auch „Kriegstreiber“, „Impfzwang? Nein, Danke“.

Polizei ist vor Ort, Protestler allerdings nicht

Wolfgang Diekmann, Stadtverbandsvorsitzender der CDU, tritt ans Rednerpult und begrüßt die CDU-Mitglieder und Besucher. Neben dem Landtagsabgeordneten Matthias Kerkhoff sind auch der stellvertretende Bürgermeister Niklas Frigger und weitere CDU-Mitglieder vor Ort. Wolfgang Diekmann betont, dass er Wert auf eine friedliche Veranstaltung legt. „Sollte es Störenfriede wie in Olpe geben, werden wir von unserem Hausrecht gebrauch machen.“ Die Polizei ist trotzdem vor Ort. Volker Stracke, Pressesprecher der Polizei im HSK, hatte noch zuvor bestätigt, dass man keine Kenntnis davon habe, dass Friedrich Merz in einer gefährlichen Situation sei. „Friedrich Merz wird von Personenschützern des BKA begleitet und diese übernehmen auch die Gefährdungsanalyse.“ Auch von geplanten Demonstrationen und Störungen der Veranstaltung habe die Polizei im Vorfeld keine Kenntnis und tatsächlich bleibt es bei einem ruhigen Abend.

Matthias Kerkhoff unterbricht seine Rede für Friedrich Merz

Kerkhoff nimmt in seiner Rede direkten Bezug auf die Protestler in Olpe. „Wer auf dem Marktplatz in Olpe Geschrei veranstaltet, kommt ins Fernsehen. Wer das in Moskau tut, kommt ins Gefängnis. Deswegen verteidigen wir nun unsere Freiheit“, sagt Matthias Kerkhoff im Hinblick auf einen Wahlkampf im Angesicht des Krieges in der Ukraine. Es sei nun umso wichtiger, Veranstaltungen wie diese am heutigen Abend zu besuchen, um die Demokratie zu verteidigen. Dafür erntet er lauten Applaus. „Ob wir es wollen oder nicht, Pandemie, Flutkatastrophe und Krieg, das müssen wir bewältigen.“ Man habe das Land NRW durch unruhige Zeiten geführt und dies wolle man auch in Zukunft weiterhin tun – auch mit Fokus auf den ländlichen Bereich wie hier im HSK. „Wir haben das ganze Land im Blick.“

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Um 20.07 Uhr, Matthias Kerkhoff spricht noch, betritt Friedrich Merz mit mehreren Männern den Saal. Applaus. Merz tritt nach vorn und gibt Matthias Kerkhoff die Hand, setzt sich in die vorderste Reihe. Kerkhoff unterbricht seine Rede, sagt: „Ich möchte sagen, dass ich froh bin, dass Du unser Parteivorsitzender bist in dieser Zeit.“

Friedrich Merz spricht von Trauer, Entsetzen und Mut auf Ukraine-Reise

Friedrich Merz tritt hinter das Rednerpult. Ernste Miene, gestraffte Schultern, ruhige Stimme. Er redet nicht lange um den heißen Brei herum. „Ich bin in der Tat heute Mittag zurückgekehrt und habe dem Bundeskanzler berichtet, daher kann ich nun auch heute etwas mehr aus Kiew berichten“, sagt Friedrich Merz in seinen Begrüßungsworten. „Wir leben in einem Land, in dem ich als Oppositionsführer nicht um Erlaubnis bitten muss, um diese Reise zu machen. Und ich frage auch nicht, ob ich so eine Reise machen darf.“ Dafür erntet er seinen ersten lauten Applaus. Erst heute Morgen ist er mit dem Nachtzug in Polen angekommen, kam dann mit der Fliegerstaffel nach Paderborn. Er habe großen Respekt vor dem ukrainischen Militär und der dortigen Regierung, habe sich zu jedem Zeitpunkt sicher gefühlt auf dieser Reise. „Wenn man dort die Bürger trifft, wenn man dort den Bürgermeister trifft. Wenn sie die Zerstörungen sehen, dann haben sie nochmal das Gefühl dafür, ein anderes als man nur über das Fernsehen sieht, was die Menschen dort erleiden und zu erdulden haben.“ Er sagt: „Ich bin mit unterschiedlichen Gefühlen zurückgefahren. Trauer, Entsetzen und Mut, aber auch Respekt vor dem Durchhaltewillen der Menschen. Und wenn Deutschland hilft und mal vor Ort ein Repräsentant da ist, erfährt man unglaubliche Dankbarkeit.“ Die Reise hat ihn sichtlich beeindruckt. Merz findet klare Worte, insbesondere zu den russischen Nazi-Vergleichen: „Das ist der Abgrund der Perfidie. Ein Land wie die Ukraine, das während des zweiten Weltkriegs unter Hitler und dann unter Stalin gelitten hat wie keine zweite Regierung in Europa. Selensky, über eine Stunde habe ich mit ihm zusammengesessen, jüdischstämmig, diesen Mann als Nazi zu bezeichnen, ist der Tiefpunkt an Perfidie in diesem Krieg.“

Merz wechsel in den Angriffmodus, kritisiert den Kanzler scharf

Friedrich Merz’ Ton wird lauter, entschiedener. Er wechselt in den Angriffsmodus, in den Wahlkampf. „Der Bundeskanzler. Ja, wir versuchen ein vernünftiges Auskommen zu haben. Da ist in der Art und Weise wie er kommuniziert nicht einfach. Kann man vom Bundeskanzler nicht erwarten, dass er regelmäßig die aktuelle Lage erklärt? In sechs Monaten hat er nur zwei Regierungserklärungen abgegeben, eine Haushaltsrede gehalten. Stattdessen gibt er ein Interview im Spiegel und vier Tage später macht er alles anders, als im Interview angekündigt.“ Das Argument, dass deutsche Waffenlieferungen einen Dritten Weltkrieg provozieren könnten, versteht Merz nicht. „Wieso soll das nur für deutsche Waffen gelten? Das ist eine groteske Umkehr. Die Aggression geht von Putin aus und wir wollen diese Eskalation stoppen, deswegen befürworten wir die Waffenlieferung. Machen wir das leichtfertig, entscheiden wir das einfach so? Nein, wir diskutieren Tage und Nächte. Mehrheitlich sind wir der Meinung, wir sollten das tun. Aber das ist die Aufgabe des Kanzlers, das zu erklären. Es ist doch nicht meine Aufgabe mich hinzustellen und die Politik zu erklären.“ Friedrich Merz adressiert auch die Vorwürfe, er würde mit seiner Reise nach Kiew Parteipolitik in einer schwierige Zeit machen. „Wir machen keine Parteipolitik. Mich interessiert, was diejenigen tun, die in die Staatsämter dieses Landes gewählt wurden. Wir als Opposition haben den Anspruch, unsere Meinung zu sagen und Verantwortung für das Land zu übernehmen. Opposition besteht nicht darin, in schwierigen Zeiten allem zu folgen, was die Regierung macht. Wir folgen der Bundesregierung nicht einfach, das ist nicht mein Verständnis von Opposition.“

Applaus unterbricht Merz Rede

Er redet knapp eine Stunde. Oft bekommt er Applaus, zustimmendes Gemurmel. Nach seinen Schlussworten und dem Pressefoto reiht sich zwischen den langen Tischen eine Schlange ein. Viele wollen Hallo sagen, Merz die Hand schütteln, loswerden weswegen sie gekommen sind. Friedrich Merz nimmt sich die Zeit, lächelt, nickt ernst. Viele freuen sich, den alten Bekannten oder die Lokalberühmtheit hier zu sehen. Kritikrufe werden nicht laut. Es ist ein Heimspiel.