Marsberg. Die Therapien in der Psychiatrie haben sich geändert. 43 Jahre hat Alfons Kleffner aus Marsberg dort gearbeitet. Er kann Vergleiche ziehen:
Nach 43 Jahren an der LWL-Klinik Marsberg geht Alfons Kleffner in den Ruhestand. Die Betriebsleitung lobt den Stationsleiter als „Fels in der Brandung“. Zeit seines Berufslebens hat sich der ausgebildete Fachpfleger mit jungen Menschen beschäftigt.
An Patientinnen, die vor mehr als 30 Jahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie waren, denkt Alfons Kleffner noch heute: „Damals liefen viele Krankheitsbilder noch unter dem Begriff „schwer erziehbare Mädchen“. Vielen wurde Unrecht getan, einfach, weil man es nicht besser wusste.“ Zum Beispiel sei früher selbstverletzendes Verhalten generell als Selbstmordversuch gewertet worden. „Das war einfach noch eine ganz andere Zeit.“
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Umbruch in der Psychiatrie
Erst die sogenannte Psychiatrie-Enquête, eine breit angelegte Untersuchung der Behandlung von psychisch kranken Menschen, brachte die Wende. Der „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ offenbarte Anfang der 1970er gravierende Mängel in der Versorgung psychisch Kranker. Es begann die Zeit eines gravierenden Umbruchs in der Psychiatrie, die Alfons Kleffner in 43 Berufsjahren beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in den LWL-Kliniken Marsberg aktiv erlebt hat.
„Ein Nachbar sprach mich damals an: ,Mensch, geh doch zum LWL’“, erzählt er. „Ich war Elektriker und damals sind viele vom Handwerk rüber in die Krankenpflege gewechselt. Der LWL war und ist ein attraktiver Arbeitgeber.“
Generalistische Ausbildung
Mit 20 Jahren, 1978, macht er die Ausbildung zum Krankenpfleger, wie damals die generalistische Pflegeausbildung hieß. „Diesen Schritt habe ich nie bereut, ganz im Gegenteil. Die Arbeit mit Menschen ist einfach toll. 1981 habe ich die Ausbildung abgeschlossen, gerade als die ersten Auswirkungen der Reformen zu spüren waren“, sagt der 62-Jährige, der noch die Ausbildung zum Fachpfleger für psychiatrische Erkrankungen draufsattelte.
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„Der Umgang mit Patienten hat sich damals radikal gewandelt.“ Auch auf dem Gebiet der Psychopharmaka habe sich viel getan. „Die Medikamente sind heute viel differenzierter und erzielen einen guten therapeutischen Nutzen.“
Brücken bauen
Kleffner hat die Psychotherapiestation „Die Brücke“ für Jugendliche mit Essstörungen zwischen 13 und 18 Jahren mit aufgebaut und als Stationsleiter rund 25 Jahre betreut. Auf der Station herrscht eine familiäre Atmosphäre mit flachen Hierarchien. „Wir waren die erste Station in Deutschland, die stationär im Bereich der Essstörungen mit dem DTB-Konzept gearbeitet hat.“ Das Konzept sei eine lebenspraktische konkrete Verhaltenstherapie, die sich schnell in den Alltag integrieren lasse. „Wir haben Pionierarbeit geleistet und ein deutschlandweites Netzwerk aufgebaut. Bei uns haben Kliniken, etwa aus Mannheim oder Lübeck hospitiert.“
Trotz vieler Fort- und Weiterbildungen im deutschsprachigen Raum ist es Kleffner nie in den Sinn gekommen, die Arbeitsstelle zu wechseln. „Ich muss einfach abends den Kirchturm in Meerhof sehen“, sagt er schmunzelnd. Ehrenamtlich war er viele Jahre Leiter der Marsberger Feuerwehr. „Ich habe viele schlimme Sachen gesehen, kann das aber gut wegstecken. Für die Kollegen hatte ich immer ein offenes Ohr. Mit mir konnten sie einfach gut reden. Das lag bestimmt auch an meiner Ausbildung“, sagt er.
Leistungsdruck in der Gesellschaft
In seinem Arbeitsalltag spielten Jugendliche die Hauptrolle. „Neunzig Prozent unserer Fälle sind intelligente junge Mädchen, die ganz hohe Leistungsanforderungen an sich selbst stellen.“ Seinen Worten nach nehmen Essstörungen zu. „Das hängt vermutlich mit dem Leistungsdruck in unserer Gesellschaft zusammen.“ In der Regel bleiben die Jugendlichen zwölf Wochen auf der Station. „Das ist immer schön zu hören, wenn wir den Jugendlichen geholfen haben und sie sich dann ein Leben aufbauen“, sagt er. „Viele melden sich noch Jahre später. Auch eine Patientin aus den 1980ern, eins der ,schwer erziehbaren Mädchen’ hält nach dreißig Jahren den Kontakt.“
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Mit Stolz und Wehmut
Er gehe mit Stolz, aber auch mit Wehmut. „Ich bin sehr zufrieden. Es war eine tolle Entscheidung, in die Pflege zu gehen. Ich würde das genauso wieder machen.“
Dr. Falk Burchard, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sagt über die jahrelange Zusammenarbeit: „Auf Herrn Kleffner konnte ich mich immer hundertprozentig verlassen. Immer menschlich, zugewandt, in schwierigen Situationen ruhig bleibend und unterstützend, den Überblick behaltend. Ein Fels in der Brandung. Leitend, aber nie befehlend, nie nachtragend, die Schwächen des Gegenübers verzeihend, akzeptierend. Vertrauenswürdig und wo nötig verschwiegen.“ An das Lob schließt sich Pflegedirektorin Michaela Vornholt an: „43 Jahre beim LWL sind eine starke Leistung. Mit seiner ruhigen und besonnenen Art hat Herr Kleffner Patienten und Kollegen begeistert. Er ist ein richtiger Hansdampf in allen Gassen. Er wirkt durch seine positive Beziehungsgestaltung oft wie ein Feuerlöscher. Wir werden ihn sehr vermissen. Für den Ruhestand wünschen wir ihm alles Gute.“