Brilon. Meinolf Kahrig hat eines der größten und schönsten Musikgeschäfte in ganz Deutschland. Wie die music world die Zeit nach der Pandemie sieht:

Es gibt kaum eine Branche, die nicht von Corona betroffen ist. Die eine mehr, die andere weniger. Die eine steht häufig im Licht der Öffentlichkeit, die andere leidet still vor sich hin. Obwohl still sein gar nicht ihre Art ist. Es geht um den Bereich der Musikalien, um Instrumente, Noten, Verstärker, Beleuchtung, um Musik an sich und um musikalische Ausbildung. Mit der music world Brilon besitzt Meinolf Kahrig eines der schönsten und größten Musikhäuser in ganz Deutschland. Der studierte Musiklehrer und Geschäftsmann stimmt kein Klagelied an. Er ist Visionär und glaubt an die Zukunft. Aber wer mit ihm ins Gespräch kommt, der spürt, wie verästelt die Corona-Auswirkungen sind. Und der teilt seine Sorge, dass die Pandemie weitreichende Folgen auf Musik, Musikvereine, Musikstudiengänge und die künftige Berufswahl junger Leute haben könnte. Kahrig bringt es treffend auf den Punkt: „Die Nahrungskette in der Musik ist unterbrochen.“

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Plötzlich ausgebremst

Rückblende: März 2020. Die Schreier bringen die letzten Möbel in die music world. Die groß angelegte Umstrukturierung steht vor dem Abschluss. In den vergangenen fünf Jahren hat der Betrieb einen sechsstelligen Betrag in die Hand genommen und das Geschäft komplett auf links gedreht. „Wir haben erweitert, um unseren Bedarf an Fläche auch logistisch gut zu nutzen und um unseren Kunden ein maximales Einkaufserlebnis bieten zu können. Wer durch Deutschland reist, wird diese Auswahl und die Präsentation so nirgends finden. Das ist hier kein optischer Lagerzustand, sondern das sind zwölf mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltete Abteilungen. Unsere Kunden fragen oft, ob sie die Abteilungen mal fotografieren dürfen“, sagt Meinolf Kahrig. Das können sie nach der Fertigstellung nicht allzu lange. Denn dann kommt Corona. Und die Idee, dass Musiker nahezu alle Instrumente, die es auf dem Markt gibt, vor Ort in einem unvergleichlichen Ambiente ausprobieren können, wird ausgebremst.

Blick in die Gitarren-Abteilung der music world von Meinolf Kahrig.
Blick in die Gitarren-Abteilung der music world von Meinolf Kahrig. © WP | raphael sprenger photographie

Ein Musikgeschäft dieser Größenordnung muss im Internet bei der ersten Suche gleich an oberster Stelle aufploppen. Das tut es auch. Aber Meinolf Kahrig ärgert sich schon lange darüber, dass bei den Internetverkäufen so viele „Mitesser“ die Hand aufhalten. An diesen Dritt-Plattformen kommt niemand vorbei. Und landet ein Kunde über eine Preisvergleichsseite bei der music world, geht ein Teil des Verdienstes auch schon wieder flöten. Daher kommt ihm die Idee, den Kunden noch mehr an das Geschäft zu binden, ihm ein Einkaufserlebnis zu bieten, das es nirgendwo sonst gibt. Klar, kann man die music world mittlerweile auch im 360-Grad-Rundgang virtuell erkunden. Aber das kann nicht mehr als ein Appetizer sein, denn wer ein Instrument kaufen möchte, der will es vorher spielen, will wissen, wie es anspricht, wie es klingt. Dafür fährt man auch schon mal 1000 Kilometer.

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Musikvereine, Spielmannszüge, Orchester - sie alle kommen jetzt erst langsam wieder in Schwung. Sie durften nicht proben, waren auf stumm geschaltet und brauchten natürlich auch keinen einzigen Trommelstock, keine Gitarrensaiten, kein Saxophonblättchen. An den Trompeten ging nichts kaputt, Geigen mussten nicht zart besaitet werden und bis die Vereine wieder richtig ans Laufen kommen, wird es dauern. Das ist für einen Musikfachhändler eine Katastrophe. Denn für ihn geht es zeitversetzt weiter. Erst wenn die Vereine wieder spielen, wieder Einnahmen haben, können sie auch investieren.

Wie geht es bei den Vereinen weiter?

Anfangs der Pandemie boomt es noch bei Tasteninstrumenten, Gitarren und im Recording-Bereich. Doch irgendwann ist die Nachfrage gedeckt, der Kreis der Interessenten begrenzt und zu allem Übel brennt in Japan noch eine der größten Chip-Fabriken, so dass es zu Lieferengpässen kommt. Es geht noch schlimmer. Um das Fünffache gestiegene Frachtkosten sorgen dafür, dass die Schiffsgebühren für einen Container voll mit Gitarrenkoffern von 3000 auf 15.000 Euro steigt und die Firma ernsthaft überlegt, die Ware lieber vernichten zu lassen.

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Aber dahinter steckt noch viel mehr. „Die Schützenvereine werden zaghaft wieder anfangen und genau überlegen, zu welchem Preis sie eine Kapelle verpflichten können. Den Musikvereinen - wie anderen Vereinen und den Musikschulen auch - bricht der Nachwuchs weg. „Die musikalische Nahrungskette ist unterbrochen. Es fehlen jetzt mindestens zwei Jahrgänge, die entweder nicht bis zur musikalischen Reife geführt werden konnten oder- bei Jüngeren - die gar nicht erst angefangen haben“, erzählt Kahrig. Aus zahlreichen Gesprächen mit Vereinen und Kapellen kenne er deren Befürchtung, dass 20 bis 30 Prozent der bisherigen Mitglieder auf der Strecke bleiben könnten. Musiker, die ihre plötzliche unerwartete Freizeit anders genutzt haben und nicht mehr zurück ans Vereinsinstrument finden.

Eine Frage der Lobby

Das Szenario geht noch weiter. Bei der Einteilung in systemrelevant oder nicht, hat die Politik sich im Hinblick auf Kultur nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie hat sich versündigt. „Wer will es einem talentierten Musiker verdenken, dass er nach diesen Erfahrungen nicht mehr Jazz-Trompete oder ein anderes Instrument studiert“, fragt sich Kahrig. In England wurden 500 Profi-Musiker befragt. 67 Prozent von ihnen haben die Branche verlassen, werden sich beruflich umorientieren und ihre Brötchen nicht mehr mit Musik verdienen. Es trifft die Berufsmusiker, die Freelancer, die Leute, die ihrer Passion nachgehen. „Gerade in Zeiten des Lockdowns hätte man auf die Idee kommen können, dass Musikinstrumente Kulturgut sind. Dass es sinnvoll und wichtig ist, sich im Lockdown mit einem Instrument zu beschäftigen. Wenn wir laut wären und eine Lobby hätten, hätten wir nicht zumachen müssen.“ Auf 3000 Quadratmetern Verkaufsfläche hätte sich mit Sicherheit eine corona-konforme Lösung gefunden, Kunden ins Geschäft zu lassen.

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Die Auswahl an Blasinstrumenten ist groß.
Die Auswahl an Blasinstrumenten ist groß. © WP | Raphael Sprenger Photographie

Aber Meinolf Kahrig steckt den Kopf nicht in den Sand und tüftelt an immer neuen Ideen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Neuester Coup: Der PPE-Service. „Das steht für Piano per Express. Eine kostenlose Lieferung bieten inzwischen viele Händler an. Bei uns gilt aber: Im Postleitzahlenbereich 2,3,4,5,6,7 liefern wir bei einem Kaufpreis ab 1600 Euro das digitale Klavier persönlich aus, stellen es auf, schließen es an, und nehmen die Verpackung wieder mit - das Ganze ohne Mehrpreis. Neulich waren wir in Hamburg und auch schon in Stuttgart. Das ist eine Mischkalkulation, die durchaus aufgeht.“

Und wie sieht Meinolf Kahrig die Zukunft seiner Branche: „Ich glaube, jede Krise birgt auch eine Chance. Aufgrund unserer erfolgreichen 34 Jahre, die hinter uns liegen, sehe ich uns auf der Gewinnerseite. Wir haben uns antizyklisch aufgestellt, wir haben vergrößert, wo sich andere verkleinert oder resigniert haben. In der Form, in der wir existieren, gibt es kaum noch ein Musikgeschäft. Und das werden die Kunden schätzen.“ Den Weg dorthin kann, will und und wird Kahrig nicht allein beschreiten. „Das Wichtigste dabei sind meine hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind nicht nur Verkaufsprofis. Alle bringen große und vielfältige fachliche Kenntnisse mit - und die Liebe und Begeisterung zur Musik. Manche sind schon von Anfang an dabei. Trotz teilweiser Kurzarbeit und mit den Problemen vor Augen, geben sie alle ihr Bestes. Von den Lieferanten gibt es großes Lob, wie einzigartig wir die Abteilungen gestaltet haben. Das ist unser Weg und unser Ziel. Daran glauben wir.“