Brilon/Hochsauerlandkreis. Ein Brandbrief schildert die Verzweiflung und Überlastung von Kita-Teams – auch im HSK. Die Ursache ist nicht nur die Corona-Pandemie.
In den Kitas im Hochsauerlandkreis und darüber hinaus rumort es. Ein Brandbrief der Fachberatungen der evangelischen Kitas im Kirchenkreis Soest-Arnsberg an den Spitzenverband ist ein Hilferuf: „Mitarbeitende sind am Limit“ schreiben sie. Die Katholischen Kita-Träger im Erzbistum Paderborn indes äußern Kritik an den Lösungsvorschlägen der Politik und eine Kita-Leiterin aus Brilon betont: „Am Ende liegt das Problem im System.“ Was ist also los in den Kitas?
Kitas aus Soest, Arnsberg und Marsberg schildern verzweifelte Situation
Noch vor Weihnachten schickt der Evangelische Kirchenkreis Soest-Arnsberg, zu dem 50 Kitas (unter anderem auch eine Kita in Marsberg) zählen, ein langes Schreiben, das so auch an den Spitzenverband gegangen ist. Brandbrief nennen die Fachberatungen es. „Die personelle Situation in den Kitas ist zum Teil dramatisch“, heißt es darin. „Die sich zuspitzende Brisanz veranlasst uns zu diesem Schreiben. Es ist mittlerweile ein Punkt erreicht, der sofortigen Handlungsbedarf erfordert“, steht in dem Brief, der von neun Fachberaterinnen unterzeichnet ist. Gründe für die Situation seien häufige Erkrankungen der Mitarbeitenden nicht nur an Corona, denn auch Erschöpfungssyndrome oder Überlastung würden eine große Rolle spielen. Auch Erkrankungen von Familienmitgliedern oder sofortige Beschäftigungsverbote (durch z.B. Schwangerschaft) würden für Personalnotstand sorgen.
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Laut Fachberaterinnen sind die Auswirkungen kaum mehr tragbar. „Eine inhaltlich pädagogische Arbeit, die die einzelnen Entwicklungsbereiche der Kinder berücksichtigt, ist derzeit nicht umfänglich umsetzbar, stattdessen geht nur: „satt-sauber-versorgt“, schreiben sie. Häufig wechselnde Bezugspersonen würden vor allem die jungen Kinder beim Aufbau von Bindungsverhalten und Bindungssicherheit verunsichern. „Dieses kann massive negative Auswirkungen auf die weitere Entwicklung haben.“ Besondere individuelle Bedarfe von Kindern könnten nicht berücksichtigt und erfüllt werden. Es herrsche dazu eine unzumutbare Belastung der Leitungen. Der Anteil der bürokratischen Abwicklung sei überbordend. Coronabetreuungsverordnung, Arbeitsschutzverordnung, Infektionsschutzgesetz, die fortlaufend Anpassung der Gefährdungsbeurteilung, das Hygienekonzept der Einrichtung – all das ändere sich laufend. Raum und Energie für die Umsetzung und Verantwortung des eigentlichen Bildungsauftrages bleibe nicht mehr, heißt es in dem Brandbrief. Ohnehin würde Büroarbeit liegen bleiben, weil Leitungen in den Gruppen zur Betreuung einspringen müssten. „Der Spagat zwischen Leitungsfreistellung und Einsatz in den Gruppen ist enorm.“
Erzieherinnen im HSK leiden oft an Überlastung
Die Teams aus Erzieherinnen leiden zudem oft an Überlastung. Folgen aus dieser „Dauerkrise“ sind beispielsweise Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder gar Ausstieg aus der Berufstätigkeit. Hinzu kommen „Erschöpfung und Erkrankungen, fehlende Motivation in allen Arbeitsbereichen, Blockade für lösungsorientiertes Arbeiten, fehlende Resilienz, „Teamburnout“, zählt der Brandbrief auf. Daraus resultierend würden auch die Eltern mehr Unzufriedenheit und Verunsicherung spüren. „Die Kommunikation mit den Eltern angesichts der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Einrichtung ist schwierig, weil Politik und Presse Gegensätzliches berichten.“ Gebuchte Stunden könnten nicht genutzt werden, es komme zu Konflikten zwischen allen Beteiligten.
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Es ist eine verzweifelte Situation, die die Fachberaterinnen aus den nachbarschaftlichen Kreisen schildern. „Hinzu kommt, dass die Coronapandemie auf dem Höchststand ist und keinerlei gesonderte Unterstützung vorhanden ist. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Wiederaufnahme der Implementierung von Alltagshelfer*innen erfolgt“, steht als erster Lösungsvorschlag in dem Brief. Doch scheint diese Lösung, die nun wieder aufgelegt wurde, kaum auszureichen. Die katholischen Kita-Träger aus dem Erzbistum Paderborn kritisieren das neuaufgelegte „Alltagshelferprogramm“ für Kindertageseinrichtungen in NRW als „alltagsuntauglich“ und „wenig hilfreich“. Je zuschussberechtigter Kindertageseinrichtung kann der Träger für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2022 bis zu 13.200 Euro beantragen, um zusätzliche Hilfskräfte zu akquirieren. Das Vorgängerprogramm war zum Ende des Kindergartenjahres 2020/21 ausgelaufen. Im Gegensatz zur für die Kitas sehr hilfreichen Erstauflage des Förderprogrammes des Landes dürfen die Träger dieses Mal aber nur zusätzliches oder neues Personal als Hilfskräfte einsetzen und nicht Stunden von vorhandenem Personal aufstocken, wie es zuvor erfolgreich durchgeführt worden sei. Es sei utopisch, jetzt kurzfristig flächendeckend neue Kräfte zu finden, die bereit sind für ein halbes Jahr in den Einrichtungen als Hilfskraft zu arbeiten.
Briloner Kita-Leitung muss für Kinder Büroarbeit liegen lassen
Melanie Schäfer-Mengelers, Leiterin der Lummerland-Kita in Brilon, begrüßt die Wiederauflage sehr. „Bei uns hat das sehr gut funktioniert. Schlussendlich liegt es an der Kita und der Leitung selbst, wie die Aufgaben für die Alltagshelfer definiert werden.“ Corona sei ja nicht vorbei, noch immer gebe es wegen der Pandemie zahlreiche Aufgaben zu stemmen. Eine dauerhafte Belastung sieht sie nicht unbedingt nur im Personalmangel oder dem Pandemie-Management. „Es ist das Drumherum. Kinder haben immer neue und besondere Bedürfnisse auf die wir reagieren. Wir müssen die Partizipation beachten, Beobachtungsbögen erstellen.“ So sei im vergangenen Jahr der Elternsprechtag aufgrund des Personalmangels ausgefallen, denn einem Termin mit den Eltern geht eine besondere Beobachtung eines jeden Kindes voraus. „Könnten wir uns nur um die Betreuung kümmern, wäre alles gut. Nicht immer sehen Eltern oder Außenstehende, was wir noch leisten.“ Melanie Schäfer-Mengelers bemüht sich, den Elternrat als Kommunikationsmittel einzusetzen, um durch ein offenes Miteinander Verständnis für alle Seiten zu schaffen. Transparenz ist ihr auch gegenüber ihres Teams wichtig. „Natürlich merkt man eine Überbelastung, aber ich habe ein fantastisches Team, das sich gegenseitig unterstützt und auch mal Pausen ermöglicht.“ Jeder Mitarbeiter könne zudem eine Überlastungsanzeige schreiben, wenn das Gefühl aufkommt, dass die Arbeit nicht mehr zu schaffen ist. Dann werde gemeinsam mit dem Träger – in diesem Falle der AWO – eruiert, ob man Stunden reduzieren könne.
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So überlastet, wie der Brandbrief es schildert, fühlt sich die Briloner Leiterin nicht. Sie betont aber, dass sie nur für sich selbst sprechen könne. „Natürlich springe ich auch mal in der Gruppe ein und die Büroarbeit bleibt liegen, aber ich finde die Kinder wichtiger als Papierkram. Das sage ich auch meinem Träger, denn auch auf diesem Kommunikationsweg ist Transparenz das wichtigste. Mein Träger zeigt zum Glück Verständnis.“
Frust der Eltern, der Kitas und der Träger im HSK sind verständlich
Den Frust der Kitas kann Melanie Schäfer-Mengelers verstehen. Sie versteht auch die Eltern, die Mitarbeitenden, die Träger. „Ich sehe das Problem eher im System.“ Immer werde den Eltern eine flexible Stundenbuchung zugesichert. Flexibel sei aber schlecht zu planen, wenn Personal für die von den Eltern gebuchte Stundenzahl fehlt, nach der sich aber der Personalschlüssel orientiert. Hinzu kommt die Belastung durch die Pandemie. „Am Ende denke ich an meine Kinder, spanne einen Schirm über sie und versuche, das Beste aus meiner Funktion als Leitung herauszuholen“, sagt Melanie Schäfer Mengelers.
Der Brandbrief ist an den Spitzenverband gegangen. Darin heißt es zum Schluss: „Wir wünschen uns von Ihnen als Spitzenverband, dass Sie eine klare und deutliche Positionierung in den politischen Gremien einnehmen und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Themenkomplex befördern und fortschreiben.“