Berlin. Als der Partner von Vivien Berger seinen Job verliert, wird das zur Belastung für das Paar. Wie man das verhindert, weiß eine Expertin.
Knapp 2,75 Millionen Menschen in Deutschland hatten im April 2024 laut der Bundesagentur für Arbeit keine Beschäftigung. Die Sorgen, Ängste und finanziellen Probleme einer Arbeitslosigkeit treffen nicht nur diese Menschen, sondern ebenso deren Partner und können eine Beziehung belasten. Das hat auch die 36-jährige Vivien Berger erlebt, die ihren echten Namen in diesem Text nicht nennen möchte. Als letztes Jahr ihr Partner Timm Hasemann plötzlich gekündigt wird, macht das der Berlinerin schwer zu schaffen. Auch Timm heißt eigentlich anders.
Ihr Freund, der zum damaligen Zeitpunkt im Marketing eines großen E-Commerce-Unternehmens tätig war, sei Ende des Monats plötzlich aus dem Homeoffice in die Firma bestellt worden, erzählt Berger. Er habe sofort geahnt, worum es ging. Schließlich sei Timm tatsächlich mit einem Kündigungsschreiben nach Hause gekommen. „Er war anfangs vor allem sauer“, erinnert sie sich. Timm habe sich schlecht und ungerecht behandelt gefühlt und sei danach wohl in Schockstarre gewesen.
Arbeitsloser Partner: Wer den Job verliert, schämt sich häufig
Kündigungen, besonders betriebsbedingte wie in Timms Fall, haben nichts mit der eigenen Leistung zu tun. „Dennoch nehmen wir sie uns sehr zu Herzen“, sagt Ellen Lutum, die als Coach auch Paare berät, die mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sind. „Wir leben in einer Welt, in der der Selbstwert stark von der Arbeit abhängt.“ Wer den Job verliere, schäme sich häufig und habe das Gefühl versagt zu haben. Für den Partner ist es in so einer Situation dann schwierig den richtigen Umgang zu finden.
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Das hat auch Vivien Berger so erlebt. „Ich wusste nicht, ob ich das Thema ansprechen darf oder nicht.“ Einerseits wollte sie ihren Partner unterstützen und wollte wissen, wie es weitergeht. Andererseits wollte sie nicht ständig nachfragen und kontrollierend wirken. „Ich habe meistens dann doch gefragt. Einfach, weil ich finde, dass man in einer Beziehung alles ansprechen können sollte“, sagt Berger.
Ihr Partner habe ausweichend reagiert. Ihn schrieben doch ständig Personaler auf LinkedIn an, habe er gesagt. Irgendwann werde da doch das Passende drunter sein. „Zwischendurch habe ich deshalb gedacht, er könnte ein bisschen mehr machen, den Bewerbungsprozess stärker angehen“, sagt Berger heute. Zu diesem Zeitpunkt war Timm bereits seit zwei Monaten arbeitslos. Er lebte von Arbeitslosengeld und seiner Abfindung. „Ich glaube, man gewöhnt sich daran“, sagt Vivien Berger, „irgendwie kam er so ja auch hin.“
Partner ist arbeitslos: Selbstmitleid kann Beziehung belasten
Doch dann meldete Timms Vermieter Eigenbedarf für die kleine Wohnung in Berlin-Mitte an, die er und seine Freundin zu der Zeit bewohnten. Bei den folgenden Wohnungsbesichtigungen mussten immer die letzten drei Gehaltschecks vorgelegt werden – Timms letzter Gehaltsscheck lag schon mehr als zwei Monate zurück. „Timm war echt geknickt. Er sagte, er habe sich das nicht so vorgestellt – sich mit knapp vierzig nicht mal eine eigene Wohnung mieten zu können“, erinnert sich Berger.
Timm habe sich in dieser Zeit häufig zurückgezogen, weil er keine Lust hatte, über das Thema zu sprechen. Oft habe er gemeinsame Verabredungen mit ihrer Familie oder Freunden abgelehnt. „Ich nehme an, dass er der unangenehmen Situation aus dem Weg gehen wollte“, sagt Vivien Berger.
„Es gibt nicht viel Schlimmeres, als mitanzusehen, wie es jemandem, den man liebt, schlecht geht“, sagt Ellen Lutum. „Wenn man dann noch das Gefühl hat, es gibt tausend Lösungen, aber die Person wendet keine an, sondern versinkt lieber in einem Sumpf voller Selbstmitleid, ist das besonders belastend.“ In solchen Situationen sei es wichtig, sich nicht mit herunterziehen zu lassen, sagt Lutum. „Wenn beide im Sumpf stecken, drückt man sich gegenseitig nur runter.“ Wichtig sei es deshalb auch für den Partner, der nicht arbeitslos ist, sich um sich selbst zu kümmern und lösungsorientiert zu handeln: sich um die Ausgaben und finanziellen Schwierigkeiten zu kümmern, gemeinsam zu überlegen, woran gespart werden kann.
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Sorge um den Partner: In sich gekehrt und nur schwer erreichbar
Das Paar hatte schließlich Glück und fand eine neue Wohnung ein Stück außerhalb von Berlin. Doch nach dem Umzug, zwischen nicht ausgepackten Kartons, kam Vivien Berger an den Punkt, an dem sie sich selbst verzweifelt fühlte – die Strecke zur Arbeit war nun viel weiter als zuvor, um sieben Uhr musste sie das Haus verlassen und war erst um 20 Uhr zurück.
Als sie an einem Feierabend einige Wochen nach dem Umzug nach Hause kam, standen immer noch Umzugskartons herum und die Töpfe lagen wie am Vortag dreckig in der Spüle herum. „Da habe ich ihm vorgeworfen, dass man in den sechs Monaten Arbeitslosigkeit auch eine andere Sprache lernen oder sich ein neues Hobby hätte suchen können“, erinnert sich Vivien Berger. Doch sie fühlte sich sofort danach schlecht: „Ich hatte Angst, dass ich ihm Unrecht tue und ich wollte nicht noch mehr Druck erzeugen.“ Sie habe sich ernsthaft Sorgen gemacht, da ihr Partner sehr in sich gekehrt und nur schwer erreichbar gewesen sei.
Expertin: Arbeitslosigkeit kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen
Doch eine Arbeitslosigkeit oder der daraus resultierende mangelnde Selbstwert seien kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen, betont Ellen Lutum. Man sei auch jetzt nicht verantwortlich für die Launen des Partners und solle im Zweifelsfall Grenzen setzen. Wichtig sei dabei wertschätzend und ohne Vorwürfe miteinander zu sprechen. „Es sollte klar sein: Jeder von euch hat Angst und es wirft euch beide aus der Bahn“, sagt Lutum.
Heute, ein dreiviertel Jahr später, hat Timm Hasemann einen neuen Job und arbeitet als Marketingleiter in einem IT-Unternehmen in Berlin – nur eine Straße vom Arbeitsplatz seiner Freundin entfernt. Sie können nun gemeinsam Mittagspause machen und fahren morgens zusammen zur Arbeit.