Berlin. Ein Betroffener erzählt über die komplizierte Liebe zu einer Frau mit Asperger-Autismus. Doch die Beziehung ist problematisch. Eine Psychiaterin erklärt, was hilft.

„Ich war von der ersten Sekunde an mega verschossen“, sagt Sven-Arne Mercker. Als er seine Ex-Freundin Gianna zum ersten Mal trifft, sitzen beide in einem Straßencafé auf einer Urlaubsinsel. Sie sei auffällig hübsch und habe dazu eine starke Ausstrahlung, erzählt Mercker, der eigentlich anders heißt. Um die Persönlichkeitsrechte des einstigen Paares zu schützen, wurden die Namen der beiden geändert, sie sind unserer Redaktion aber bekannt. Als Mercker die Fremde im Café anspricht, scheint sie sich zu freuen. „Sie wirkte unglaublich smart und hat mich gleich von der ersten Sekunde an umgehauen“, erzählt der heute 52-Jährige und klingt dabei immer noch begeistert. Die Zeit während des Gesprächs sei regelrecht verflogen, und die beiden tauschten Nummern aus. Kaum zu Hause erhielt er sofort die erste Nachricht, in der sich Gianna für das Gespräch bedankte. Eine nette Nachricht, nur klang sie irgendwie sehr förmlich.

Damals wusste der Unternehmer noch nicht, dass Gianna das Asperger-Syndrom hat. Die Entwicklungsstörung gehört zu den Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Spektrum bedeutet, dass die Gruppe der Betroffenen divers ist und sich die Störung immer anders äußern kann. Einschränkungen und Ausprägungen sind sehr individuell, genau wie damit verbundene Probleme in einer Partnerschaft – die aber nicht zwangsläufig auftreten müssen. „Menschen mit der Autismus-Spektrum-Störung fällt es schwer, die Mimik, Gestik und das Verhalten des Gegenübers zu ‚lesen‘ und entsprechend darauf zu reagieren“, sagt Christa Roth-Sackenheim, stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte.

Die Schwierigkeiten, aber auch das große Glück, eine Beziehung zu jemandem mit Asperger zu führen, ist auch das Thema der Netflix-Serie „Love on the spectrum“. Die Dating-Show, an der ausschließlich Menschen beteiligt sind, deren Symptome zum autistischen Spektrum zählen, will mit Vorurteilen aufräumen und zeigen, wie sehr sich autistische Menschen nach einer Beziehung sehnen können.

Autismus und Beziehung: Schwierigkeiten mit der Kommunikation

Die zwischenmenschliche verbale sowie nonverbale Kommunikation sei schwierig für ASS-Patienten, erklärt die Psychiaterin, Neurologin und Psychotherapeutin. „Meistens fühlen sich Menschen mit der Autismus-Spektrum-Störung wie auf einem anderen Planeten.“ Die meisten Betroffenen wüssten nicht, wie sie Kontakt herstellen sollen. Augenkontakt falle vielen schwer, manche Betroffene würden Berührung nur schwer ertragen. Für die Partner signalisiere das Desinteresse, was aber in aller Regel nicht der Fall sei, sagt Roth-Sackenheim.

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Auch für Sven-Arne Mercker war die fehlende Nähe schwer zu ertragen: „Ich hatte oft das Gefühl, nicht richtig an sie heranzukommen. Manchmal war sie unnahbar wie ein Computer.“ Gemeinsam lachen, das war schwierig. Gemeinsam weinen genauso. Die Beziehung sei zu einer Achterbahn der Gefühle geworden, erzählt er. „Bei uns gab es schnell eine sehr ungesunde Dynamik aus Nähe und Distanz.“ Schon nach dem ersten Kennenlernen habe sich seine Ex-Freundin schnell zurückgezogen. Als sie dann wieder auftauchte, weil Mercker nicht lockerließ, erzählte sie ihm schließlich von dem Asperger-Syndrom. Doch das Wissen darum machte es für ihn nicht einfacher. Er und Gianna trennten sich fünf, sechs Mal. „Das war ein absolut ungesundes Verhältnis“, sagt er heute.

Berührungen in der Partnerschaft: Für die meisten Menschen normal, für manche Menschen mit Asperger-Autismus nur schwer zu ertragen.
Berührungen in der Partnerschaft: Für die meisten Menschen normal, für manche Menschen mit Asperger-Autismus nur schwer zu ertragen. © Getty Images/iStockphoto | Timm Creative

Beziehung mit Asperger-Autistin: Trotzdem geliebt gefühlt

Nicht nur die Schwierigkeit, emotionale Nähe zu zeigen, kann in der Beziehung mit Menschen mit Asperger-Syndrom zu Problemen führen. Typisch sind auch Probleme in der sozialen Interaktion: Schwierigkeiten, Gefühle zu benennen und auf nonverbaler Ebene zu kommunizieren. Ein Unverständnis für zwischenmenschliche Kommunikation macht es den Betroffenen schwer, die Bedürfnisse des Gegenübers zu verstehen. Dabei können Menschen mit ASS entgegen den gängigen Vorurteilen durchaus Empathie empfinden, wenn man ihnen deutlich kommuniziert, wie sich jemand fühlt. Das hat eine Studie vor einigen Jahren herausgefunden. „Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass klare Kommunikation ohne Metaphern, ohne Sprichwörter hilft“, sagt Psychiaterin Roth-Sackenheim.

In der Beziehung von Sven-Arne Mercker und Gianna überwogen am Ende die Probleme in der Beziehung. Das ewige Auf und Ab, das Gefühl, immer wieder weggestoßen zu werden, zermürbten Mercker. Nach zwei Jahren trennte sich das Paar. „Mich hat es verletzt, dass Dinge, die für mich Nähe ausdrücken, so wie Händchen halten, nicht gingen“, sagt Mercker. Auch das Wissen um die Besonderheiten von Asperger-Betroffenen habe das Bedürfnis nach Nähe nicht aufheben können. Geliebt habe er sich dennoch gefühlt.

Grundsätzlich können Menschen mit Asperger-Syndrom Liebe empfinden, sagt auch Psychiaterin Christa Roth-Sackenheim. „Sie sagen, dass sie Liebe empfinden. Dass sie es auf ihre Art zeigen, ist eine andere Sache.“ Menschen mit ASS seien nicht gefühllos oder Freaks. Dem stimmt Sven-Arne Mercker zu. Er ist inzwischen mit Gianna befreundet. Und auch wenn es auf der Beziehungsebene zwischen ihm und seiner Ex-Freundin nicht geklappt hätte, sei er dennoch dankbar für die Zeit: „Ohne die Beziehung wäre ich heute nicht derjenige, der ich bin.“