Berlin. Die Schwester hat das größere Geschenk, der Freund das teurere: Zwei Experten erklären, wie Eltern Neid bei ihrem Kind verhindern.

Weihnachten ist Geschenkezeit. Natürlich, Kinder freuen sich auch auf die Zeit mit der Familie, Plätzchen und das Weihnachts-Fernsehprogramm am Morgen des Heiligen Abends – „Michel in der Suppenschüssel“, „Pippi geht von Bord“. Wunderbar! Aber die Aufregung, die Vorfreude gilt vor allem den Geschenkehaufen unterm Baum. Nur sind die Haufen selten gleich groß. Vielleicht hat der Bruder mehr Päckchen bekommen, die Schwester das größere Geschenk oder der Klassenkamerad zeigt nach den Weihnachtsferien in der Schule das neue iPhone rum, das sich das eigene Kind doch auch sehnlichst gewünscht hat.

Da kann schon mal ein Gefühl aufkommen, das gemeinhin als hässlich beschrieben wird: Neid. Können Eltern dieses Gefühl zu Weihnachten überhaupt verhindern? Ein Erziehungsexperte und eine Psychologin erklären, was ein gutes Geschenk ist und wie man Kindern erklärt, warum manchmal nicht der Herzenswunsch unterm Baum liegt und andere vielleicht mehr bekommen haben.

Weihnachtsgeschenke: Neid unter Geschwistern vermeiden

Neid ist eine komplexe Emotion, erklärt die Kieler Psychologin Svenja Lüthge. Aber grundsätzlich könne man sagen, etwa ab dem Vorschulalter könnten Kinder Neid auf andere Personen empfinden. „Vorher ist es eher ein Objektneid: mein Schäufelchen, dein Schäufelchen.“ Doch egal, ob Neid auf eine Sache oder ein anderes Kind – Weihnachten bietet einen wunderbaren Nährboden für dieses Gefühl. Denn anders als beim Geburtstag, an dem man im besten Fall allein im Mittelpunkt steht, wird an Weihnachten überall geschenkt, viel oder weniger, teuer oder preiswert – und das Kind kann vergleichen.

„Natürlich bekommen verschieden alte Geschwister  nicht dieselben Geschenke“, sagt die Psychologin Svenja Lüthge.
„Natürlich bekommen verschieden alte Geschwister nicht dieselben Geschenke“, sagt die Psychologin Svenja Lüthge. © Elfriede Liebenow Fotografie | Elfriede Liebenow

Doch wenigstens dem Neid zwischen Geschwistern unterm Weihnachtsbaum könnten Eltern vorbeugen, sagt Ulric Ritzer-Sachs, Sozialpädagoge und Online-Berater bei der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). „Es werden nicht immer alle das Gleiche bekommen. Aber man kann es möglichst gerecht machen.“ Dabei komme es nicht auf den materiellen Wert an. „Eine seltene Sammelkarte irgendeiner Fernsehserie für ein paar Cent kann ein genauso tolles Geschenk sein wie etwas materiell Wertvolleres“, sagt Ritzer-Sachs.

Worum es doch beim Schenken und überhaupt immer im Leben von Kindern gehe, sei das Erkennen und Erfüllen von Bedürfnissen, sagt auch Svenja Lüthge. „Natürlich bekommen verschieden alte Geschwister nicht dieselben Geschenke, sondern jeder das, was er braucht.“ Das kann beim 14-Jährigen das neue Fahrrad sein und bei der fünfjährigen Schwester die Puppe – „und das ist auch total in Ordnung, auch wenn die Puppe objektiv betrachtet weniger wert ist.“

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Kind enttäuscht: Wie Eltern das richtige Geschenk für Weihnachten finden

Und wenn das Mädchen dann doch neidisch ist auf den großen Bruder und bei der Bescherung enttäuscht fragt: ‚Warum habe ich kein Fahrrad bekommen?‘, könne es durchaus sein, dass die Eltern vorher das Bedürfnis ihrer Tochter nicht erkannt haben, sagt Lüthge. Sie rät Eltern deswegen dazu, gemeinsam mit den Kindern vor Weihnachten herauszufinden, was ihre Herzenswünsche sind, „und was die – wie ich sie nenne – Nebenbei-Wünsche“, sagt Lüthge. Was ist einem Kind also wirklich wichtig und was steht vielleicht nur auf der Weihnachtsliste, weil das Kind irgendein Spielzeug irgendwo im Schaufenster oder in einem Prospekt gesehen hat.

Doch auch wenn der Herzenswunsch identifiziert ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er auch tatsächlich an Heiligabend verpackt unterm Baum liegt. Manche Wünsche übersteigen das Budget, sind dem Alter nicht angemessen oder Eltern möchten ihn aus den unterschiedlichsten Gründen einfach nicht erfüllen. Damit könnten Kinder auch umgehen, sind sich Lüthge und Ritzer-Sachs einig. Entscheidend sei es dann, mit ihnen darüber zu sprechen und die Entscheidung zu erklären. „Wenn Eltern offen sind, haben Kinder auch Verständnis dafür“, sagt Psychologin Lüthge.

Man könne dann etwa erklären, dass der große Bruder das Fahrrad jetzt dringend brauche, um zur Schule zu fahren und dass zwei Fahrräder sehr teuer seien. Oder man könne sagen: ‚Der Pullover ist gerade finanziell nicht drin. Aber ich habe wahrgenommen, dass du diesen Wunsch hast, und vielleicht klappt es später. Such dir doch jetzt eine Alternative aus‘. Und wenn der Klassenkamerad das Geschenk bekommt, das man selbst dem Kind nicht schenken konnte oder wollte, sollte man die enttäuschte Tochter oder den Sohn in den Arm nehmen und trösten, sagt Ritzer-Sachs. „Man muss sie in ihrer Enttäuschung ernst nehmen.“

Sind Kinder enttäuscht über ihr Weihnachtsgeschenk, sollten Eltern sie in den Arm nehmen und trösten, sagt Ulric Ritzer-Sachs, Sozialpädagoge und Online-Berater bei der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke).
Sind Kinder enttäuscht über ihr Weihnachtsgeschenk, sollten Eltern sie in den Arm nehmen und trösten, sagt Ulric Ritzer-Sachs, Sozialpädagoge und Online-Berater bei der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). © privat | Privat

Neid bei Kindern: Eltern sollten Vorbild sein

Ganz verhindern werden es Eltern aber nicht können, dass Kinder auch mal Neid empfinden. Das sei aber auch nicht so schlimm, findet Ritzer-Sachs. „Kinder müssen lernen auszuhalten, dass die Welt nicht immer gerecht ist. Außerdem: Neid kann auch ein Ansporn sein.“ Das findet auch Svenja Lüthge. Und sie rät Eltern beim Thema Neid ein Vorbild zu sein, ganz unabhängig von Weihnachten: „Sprechen sie ständig davon, dass der Nachbar den schöneren Garten hat, bekommen Kinder das mit und neigen eher dazu, selbst auch Vergleiche aufzustellen.“ Sozialpädagoge Ritzer-Sachs rät ebenfalls zu Gelassenheit: „Ich glaube, wenn Eltern verbissen an das Thema Schenken rangehen und mit allen mitteln versuchen, eine absolute Gleichheit herzustellen, fördern sie eher den Neid unter Kindern.“