Berlin. Übergewichtigen kann das Abnehmmedikament Tirzepatid helfen. Doch eine neue Studie offenbart Probleme. Was Experten jetzt fordern.
In Deutschland gilt bereits jeder vierte Erwachsene als adipös – also krankhaft übergewichtig. Nur mithilfe eines Medikaments die Pfunde purzeln zu lassen, klingt daher vielversprechend. In den USA ist für diesen Zweck bereits ein weiteres Abnehmmittel namens Mounjaro zugelassen – mit dem Wirkstoff Tirzepatid. Doch so einfach ist die Sache offenbar nicht.
Krankhaftes Übergewicht gilt als chronischer Zustand. Fachleute gingen daher schon bei der auch in Deutschland zugelassenen „Abnehmspritze“ Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid davon aus, dass eine Medikation vermutlich dauerhaft erfolgen müsste, um einen Jojo-Effekt zu vermeiden. Auch Nebenwirkungen wie etwa Kopfschmerzen, Übelkeit oder Verstopfung gilt es zu bedenken.
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Eine Studie bestätigt, dass auch der Wirkstoff Tirzepatid, der genau wie Semaglutid zur Behandlung von Diabetes zugelassen ist, Übergewichtigen oder adipösen Menschen beim Abnehmen hilft. Und das deutlich bereits bei einwöchiger Gabe, wie die Forschenden im „New England Journal of Medicine“ schreiben. Wie bei Semaglutid wird auch hier geraten, sich ergänzend mehr zu bewegen und die Kalorienzufuhr zu reduzieren.
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Abnehmmedikamente: Das passiert, wenn das Mittel abgesetzt wird
In einer weiteren klinischen Studie ist nun getestet worden, inwiefern sich das Gewicht der Probandinnen und Probanden verändert, wenn das Medikament nach 36 Behandlungswochen abgesetzt und gegen ein Placebo, also ein Scheinmedikament, getauscht wird. Die ernüchternde Erkenntnis: Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nahmen nach der Umstellung im Laufe der folgenden 52 Wochen wieder zu. Das berichtet ein internationales Forschungsteam nun im Fachjournal „Jama“.
Bei der sogenannten Kontrollgruppe, also den Probandinnen und Probanden, die das Medikament tatsächlich weiterhin einnahmen, ging das Gewicht weiter zurück. An der Studie nahmen 670 Patientinnen und Patienten in verschiedenen Ländern teil. Alle waren anfangs fettleibig oder übergewichtig.
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Nach den ersten 36 Behandlungswochen hatten die Studienteilnehmenden laut den Forschenden ihr Gewicht im Schnitt um gut 20 Prozent reduziert. Wer den Wirkstoff bis zum Untersuchungsende nach 88 Wochen weiter einnahm, reduzierte sein Gewicht im Schnitt um weitere 5,5 Prozent.
Übergewicht: Wirkstoffe hemmen den Appetit
Die Placebogruppe legte dagegen wieder deutlich zu. Insgesamt gab es aber auch hier über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg noch immer einen Gewichtsverlust. Dieser betrug am Ende rund zehn Prozent.
Über den Untersuchungszeitraum hinaus sei bei der Placebogruppe „jedoch davon auszugehen, dass sich das mittlere Gewicht wieder beim Ausgangsniveau einpendeln oder darüber hinaus ansteigen wird“, gibt Isabelle Mack, Bereichsleiterin Ernährung und Gewichtsregulation in Klinik und Forschung am Universitätsklinikum Tübingen zu bedenken. „Daten anderer Studien lassen dies erwarten und die noch nicht abgeschlossene lineare Phase deutet stark daraufhin.“
Der Wirkstoff Tirzepatid bindet ähnlich wie Semaglutid oder auch Liraglutid an GLP-1-Rezeptoren, weswegen sie auch bei Diabetes zum Einsatz kommen. Denn GLP-1 ist ein natürlich vorkommendes Hormon, das in speziellen Zellen des Dünndarms produziert wird – vorrangig bei Nahrungsaufnahme. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Blutzuckerspiegels.
Zusätzlich bindet Tirzepatid aber auch an sogenannte glukoseabhängige insulinotrope Peptid-Rezeptoren. Das Hormon wird ebenfalls im Dünndarm produziert, ebenfalls hauptsächlich als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme – ähnlich wie GLP-1. Die Medikamente hemmen dadurch den Appetit, es wird weniger gegessen und die Pfunde purzeln. Tirzepatid ist laut einer vorangegangenen Studie dabei sogar wirksamer als Semaglutid.
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Für Fachleute kommen die Ergebnisse nicht überraschend
Die aktuellen Sudienergebnisse sind aus Sicht von Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf „alles andere als überraschend“. Bei Studien zu Semaglutid habe es nahezu identische Studienergebnisse gegeben. Auch hier war es zu einem Jojo-Effekt gekommen.
Seine Erklärung: „Die Wirkung der GLP-Analoga reduziert den Appetit und ändert nicht das Ernährungsverhalten“, sagt der Facharzt für Innere Medizin. Es habe zwar die Hoffnung gegeben, dass Tirzepatid längerfristig wirke. Diese Hoffnung sei durch die aktuelle Studie aber nicht erfüllt, so Martin.
Die Ergebnisse verdeutlichen auch aus Sicht der Studienautorinnen und -autoren, dass die medikamentöse Therapie fortgesetzt werden müsse, wenn man einen Jojo-Effekt vermeiden wolle. Zudem, das bestätigen auch die deutschen Fachleute, brauche es weitere Studien, um nicht nur potenzielle Risiken von Kurzzeittherapien, sondern auch einen möglichen Langzeitnutzen abschätzen zu können.
Der Nutzen der neuen Abnehmmedikamente wird hierbei jedoch nicht in Frage gestellt. Mit Blick auf die Erkenntnisse zu Tirzepatid sagt etwa Expertin Mack: „Damit kommen wir bei der medikamentösen Gewichtsabnahme in Dimensionen, die wir aus der Adipositaschirurgie kennen. Somit haben wir jetzt und vor allem in der Zukunft mehr Möglichkeiten, die Adipositas individuell und patientenorientiert zu behandeln.“