Bonn. Einbußen für die Wirtschaft, Belastungen des Gesundheitswesens: Invasive Arten stellen eine Bedrohung dar. Ein Experte kennt Lösungen.
Die Pazifische Auster bildet Austernbänke in der Nordsee und verändert dadurch die Strömungsverhältnisse im Wattenmeer. Die stechfreudige Asiatische Tigermücke überträgt Viren und ist inzwischen in ganz Deutschland zu finden. In Ostafrika bedeckt die Wasserhyazinthe 90 Prozent der Oberfläche des Viktoriasees, blockiert den Zufluss eines Wasserkraftwerks und erschwert Fischerei und Schiffsverkehr. Auf Sizilien zerstört die Rote Feuerameise Ernten und frisst andere Insekten. Wissenschaftler weltweit sind besorgt.
Invasive Arten haben an 60 Prozent der weltweit dokumentierten Ausrottungen einen wesentlichen Anteil. In 16 Prozent der Fälle sind sie der alleinige Faktor. Das geht aus einem vom Weltbiodiversitätsrat (Ipbes) veröffentlichten UN-Bericht hervor. Ökologe und koordinierender Leitautor Hanno Seebens spricht im Interview darüber, wie groß die Gefahr ist und was getan werden muss, um der Entwicklung entgegenzuwirken.
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Ab wann ist eine Art invasiv?
Hanno Seebens: Es gibt mehrere Stadien der Invasion. Der Mensch bringt eine Art in ein Gebiet, in dem sie nicht natürlicherweise vorkommt. Dann nennt man sie gebietsfremd. Kann sie dort überleben und sich vermehren, spricht man von etabliert. Die Definition, die wir im Ipbes-Bericht für gebietsfremde, invasive Arten verwenden, ist, dass sie eine negative Auswirkung für die Natur oder die menschliche Zivilisation haben. Sie bedrohen zum Beispiel einheimische Arten oder rufen Schäden an der Infrastruktur hervor.
Invasive Arten: Der Mensch ist das Kernproblem
Lässt sich sagen, dass der Mensch der ausschlaggebende Punkt für das Problem ist? Schließlich ist es normal, dass Lebensräume sich verändern und Arten verdrängt werden.
Hanno Seebens: Genau. Es ist ein natürlicher Prozess, ähnlich wie beim Klimawandel. Der Mensch sorgt aber dafür, dass die Raten sich so erhöhen, dass sie jenseits von allem sind, was jemals natürlicherweise gemessen worden ist. Es gibt Schätzungen, dass auf Hawaii alle 1000 bis 10.000 Jahre eine neue Art auf natürliche Art angekommen ist. Aktuell sind es mehrere Arten pro Jahr, die durch den Menschen auf die Inselgruppe gebracht werden.
Welche Rolle spielen invasive Arten für die Biodiversität in Deutschland?
Hanno Seebens: In Deutschland kommt es vor allem zu lokalen Aussterbeereignissen. In unseren Gewässern sind zum Beispiel nordamerikanische Krebse ausgesetzt worden. Diese Arten bringen die Krebspest mit. Für nordamerikanische Krebse ist die Krankheit unangenehm, für den europäischen Flusskrebs tödlich.
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Im Ipbes-Bericht steht, dass invasive Arten jährlich über 400 Milliarden Dollar an Kosten verursachen. Was ist darin inbegriffen?
Hanno Seebens: Der Großteil dieser Kosten umfasst das Management, um invasive Arten in den Griff zu kriegen. Nur acht Prozent decken die Schäden ab – wenn zum Beispiel Nutrias Höhlen bauen und Straßen oder Dämme häufiger repariert werden müssen. Die Einbußen der Landwirtschaft sind enthalten, aber liegen unter den tatsächlichen Schäden. Zusätzliche Kosten des Gesundheitssystems sind gar nicht inbegriffen. Diese 400 Milliarden sind eine Unterschätzung.
Wie sollen wir mit der Ausbreitung invasiver Arten umgehen?
Hanno Seebens: Bis zu einem gewissen Grad lässt sich das nicht verhindern. Frachtschiffe und Flugzeuge nehmen Arten mit. Prävention ist der wichtigste und kostengünstigste Aspekt, um die Ausbreitung zu reduzieren. Schiffe müssen sauber gehalten und Container so gebaut werden, dass die Arten dort weniger gut überleben. Touristen müssen darauf kontrolliert werden, welche Waren sie mitnehmen. Es gibt Länder, die das intensiv durchführen. In Europa wird es wenig gemacht.
Invasive Arten können Krankheiten übertragen
Wie groß ist die Gefahr, dass Arten wie die Rote Feuerameise auch nach Deutschland kommen?
Hanno Seebens: Die Ausbreitung ist eher eine Frage der Zeit. Der Vorteil, den Deutschland gegenüber südeuropäischen Ländern hat, ist, dass viele Arten und die Krankheiten, die sie übertragen, bei uns nicht überleben. Aber mit dem Klimawandel werden die Winter milder. Die Tigermücke ist zum Beispiel in Italien weitverbreitet und war bisher nur in den Gebieten Süddeutschlands zu sehen. Mittlerweile kann sie sich aber in ganz Deutschland verbreiten.
Aus dem Ipbes-Bericht geht hervor, dass es Erfolg versprechende Maßnahmen zur Vorbeugung, Ausrottung und Kontrolle invasiver Arten gibt.
Hanno Seebens: Länder wie Neuseeland und Australien haben stringentere Bestimmungen zu Einreise und Import. Dort geht die Anzahl neuer Arten zurück. Es gibt auch Inseln mit besonderem Schutzstatus – wie Galapagos. Dort wird viel Geld in die Hand genommen, um Arten komplett von der Insel zu entfernen.
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Was wäre ein Worst-Case-Szenario, wenn nicht genug gegen die Ausbreitung invasiver Arten unternommen wird?
Hanno Seebens: Ein Worst-Case-Szenario wäre, dass invasive Arten unkontrolliert in die EU gelangen und sich dort ausbreiten können, ohne dass eingegriffen wird. Dies würde neben der Verdrängung einheimischer Arten und dem Wandel einheimischer Ökosysteme mit vielen gebietsfremden Arten zu deutlich höheren Einbußen in der Land- und Forstwirtschaft sowie zu höheren Belastungen des Gesundheitswesens führen.
Was muss getan werden, damit das nicht passiert?
Hanno Seebens: Wir brauchen mehr Präventionsmaßnahmen. Mit regelmäßigen Kontrollen kann bestimmt werden, welche Arten an einem Ort vorkommen. Wenn eine neue gebietsfremde Art gefunden wird, müssen wir frühzeitig reagieren. Dazu muss man wissen, was die Arten in anderen Regionen angerichtet haben und wie man gegen sie vorgehen kann. Es muss überlegt werden, wann Handeln Sinn ergibt. Waschbären sind so weit verbreitet, dass es zu aufwendig wäre, sie zu managen. Vielleicht kann man lokal etwas tun, wenn eine spezielle Art bedroht wird.
Die Natur muss vor Haustieren geschützt werden
Was müssten die Staaten tun?
Hanno Seebens: Es ist wichtig, dass wir als internationale Staatengemeinschaft zusammenarbeiten. Es müssen ein Informationssystem geschaffen und Ansprechpartner eingestellt werden, die international miteinander kommunizieren. Dazu braucht es Standards. Wenn jeder invasive Arten anders definiert, wissen wir nicht, worüber wir reden.
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Was kann der Einzelne von zu Hause tun?
Hanno Seebens: Wenn man regionale Waren kauft, trägt man dazu bei, den globalen Warenstrom zu verringern. Wer einen Garten hat, kann überlegen, was er anpflanzt. Viele Pflanzen, die wir als invasiv klassifizieren, stammen aus Parkanlagen oder Gärten. Besitzer von Haus- oder Nutztieren sollten aufpassen, dass die Tiere nicht ausbrechen, und sie nicht freilassen. Was sonst passiert, sieht man am Halsbandsittich in Köln und Frankfurt, an den Flamingos am Niederrhein und den Nandus in Mecklenburg-Vorpommern. Wer eine neue Art sieht, kann die Untere Naturschutzbehörde informieren. Aber die meisten Arten kann man sich selbst und den Profis überlassen.
Gibt es zum Abschluss etwas Positives zu sagen?
Hanno Seebens: Der positive Aspekt ist, dass der Mensch der Kern des Problems ist. Das heißt auch, dass der Mensch der Kern der Lösung ist. Es gibt Möglichkeiten zur Eindämmung – und wir kennen sie. Wir müssen sie nur anwenden.