Berlin. Menschen mit einer Zöliakie vertragen kein Gluten. Aber was passiert, wenn gesunde Menschen darauf verzichten? Das sagen Experten.

  • Bei Menschen mit einer Zöliakie löst Gluten Entzündungen im Darm aus
  • Auch gesunde Menschen schwören inzwischen auf „Glutenfrei-Diäten“, unter anderem um abzunehmen
  • Mediziner erklären die Risiken, die eine glutenfreie Ernährung für gesunde Menschen mit sich bringt

Stars wie Miley Cyrus machen es vor und feierten schon vor zehn Jahren die „gluten free diet“, verzichten also völlig oder zumindest weitestgehend auf Gluten. Der Sängerin bekommt Gluten nämlich nicht gut, wie sie ihren Millionen Fans im Nachrichtendienst X (damals noch Twitter) mitteilte. Der positive Nebeneffekt ihrer Ernährungsumstellung: Cyrus nahm ab – und empfahl ihren Followern prompt, doch auch mal eine Weile auf Gluten zu verzichten. Die positiven Veränderungen an Haut, Körper und sogar Psyche würden nicht lange auf sich warten lassen, so das Versprechen der heute 30-Jährigen.

Brot und Nudeln vom Ernährungsplan streichen und damit schöner, dünner und glücklicher werden? So einfach ist es nicht. Auf Gluten verzichten müssen oft Menschen mit Zöliakie. Bei ihnen lösen bestimmte Proteine – auch Klebereiweiße –, die in Weizen, Dinkel, Gerste und Roggen vorkommen, schwere Entzündungen im Darm aus. Laut der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) leidet eine von 100 Personen in Deutschland an dieser Erkrankung. Doch für gesunde Menschen, denen der Verzehr von Gluten überhaupt nichts ausmacht, birgt der zweifelhafte Gesundheitstrend eher Gefahren.

Glutenfreie Ernährung: Gesund für Gesunde?

Von Nudeln über Brot bis zur Backmischung schwenken auch in Deutschland immer mehr Menschen auf glutenfreie Produkte um. Angebot und Konsum glutenfreier Lebensmittel sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen: Während 2018 noch 1,69 Millionen Menschen glutenfrei einkauften, waren es im Jahr 2022 laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bereits 2,12 Millionen.

Glutenfreie Produkte können zum Beispiel aus Buchweizen bestehen, wie dieses Brot. Der Markt bietet mittlerweile zahlreiche glutenfreie Alternativen zu herkömmlichen Produkten an.
Glutenfreie Produkte können zum Beispiel aus Buchweizen bestehen, wie dieses Brot. Der Markt bietet mittlerweile zahlreiche glutenfreie Alternativen zu herkömmlichen Produkten an. © dpa | Jens Kalaene

Die Berliner Ernährungsmedizinerin Daniela Kielkowsi rät gesunden jedoch Menschen dringend davon ab, glutenfrei zu essen. Eine Gluten-Diät schade dem gesunden Körper mehr, als dass sie ihm nütze: „Es gibt mittlerweile sehr gute Studien, die zeigen, dass bei glutenfreier Ernährung Blutzucker und Blutfette steigen, außerdem gibt es eine höhere Inzidenz für Herz-Kreisgefäß-Erkrankungen.“ Andere Erkrankungen wie Diabetes können ebenfalls begünstigt werden.

Wissenschaftler aus den USA haben in zwei Beobachtungsstudien untersucht, wie sich der Genuss von Gluten auf die Gesundheit von 45.000 Frauen und 65.000 Männern auswirkte. Das Ergebnis: Personen, die sich besonders glutenreich ernährten – also zum Beispiel viel Weizen zu sich nahmen, waren genauso gesund wie der Durchschnitt. Bei anderen Studienteilnehmern, die besonders glutenarm aßen, wurden im Schnitt häufiger Herzerkrankungen diagnostiziert. „So kann eine solche Low-Gluten-Diät die Gesundheit belasten, statt sie zu fördern“, ordnet Dr. Peter Hasselblatt, Leiter der Darmambulanz an der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikum Freiburg, die Ergebnisse der Studien ein.

Expertin warnt: Allergiegefahr bei Saatenbrot

Auch abnehmen wird der gesunde Mensch durch glutenfreies Essen nicht – im Gegenteil: Eine unzureichend ausgewogene glutenfreie Ernährung könne das Risiko für Fettleibigkeit sogar erhöhen, so Expertin Daniela Kielkowski. Oft enthalten glutenfreie Produkte mehr Kalorien, denn das fehlende Klebereiweiß macht etwa glutenfreie Brote trockener. „Um das auszugleichen und den Geschmack zu verbessern, ist meist der Anteil an Zucker und Fett in solchen Produkte höher“, so Bianca Maurer von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft gegenüber dem „Spiegel“.

Gerade glutenfreie Brot-Alternativen haben ihre Tücken. „Viele essen sogenanntes Saatenbrot“, erklärt die promovierte Ernährungswissenschaftlerin und -Beraterin Uta Peiler. „Das besteht allerdings zum Großteil aus Nüssen und ist dadurch sehr fetthaltig.“ Auch verzichtet der Verbraucher, wenn er glutenfrei isst, auf wichtige Vitamine und Ballaststoffe, wie sie etwa in Vollkornprodukten vorkommen. Brote aus Nüssen und Samen können noch dazu Allergien hervorrufen.

Glutenfreie Produkte sind oft wesentlich teurer

Wissenschaftlich belegt sind also weder ein Abnehm-Erfolg noch positive Auswirkungen auf die allgemeine Fitness durch den grundlosen Verzicht auf Gluten. „Eine aus diesem Grund durchgeführte langfristige Umstellung der Ernährung ist nicht zu empfehlen: Sie ist teuer und kann sogar gesundheitsschädlich sein“, so Dr. Hasselblatt vom Universitätsklinikum Freiburg. Tatsächlich: Glutenfreie Produkte sind – sehr zum Leidwesen von Menschen mit Zöliakie – oft teurer als herkömmliche Produkte.

Glutenfreie Produkte sind oft teurer. Auch deshalb raten Experten gesunden Menschen davon ab, sich glutenfrei zu ernähren, wenn sie es gar nicht müssten.
Glutenfreie Produkte sind oft teurer. Auch deshalb raten Experten gesunden Menschen davon ab, sich glutenfrei zu ernähren, wenn sie es gar nicht müssten. © Shutterstock | hedgehog94

Eine Erhebung der Verbraucherzentrale Hamburg, zitiert im Deutschlandfunk, hat ergeben: Glutenfreie Produkte kosten teils zwei oder gar drei Mal mehr als Produkte mit Gluten. Grund dafür ist die aufwendigere Produktion, bei der jegliche Kontamination mit Gluten vermieden werden muss. Das erfordert besondere Vorkehrungen von der Anlieferung der Zutaten bis zur Verpackung des fertigen Produkts sowie strikte Kontrollen im Produktionsprozess. Auch sind Weizen-Alternativen wie Reis und Mais oft teurer in der Anschaffung.

Discounter haben sich glutenfreie oder auch laktosefreie Produkte längst auf die Werbebanner geschrieben. Sie locken mit wöchentlichen Sonderangeboten und erwecken durch ihre Werbung den Eindruck, dass die Produkte Gesundheit und Wohlbefinden steigern. „So sollen auch Personen zum Kauf dieser Produkte angeregt werden, die dafür keinen Bedarf haben“, warnt die Verbraucherzentrale Hamburg. Wer vermutet, an Zöliakie zu leiden, sollte den Rat eines Arztes einholen, so die Empfehlung, „denn möglicherweise fehlerhafte Eigendiagnosen schränken den Speiseplan ein und es wird unnötig auf wertvolle und gesunde Lebensmittel verzichtet.“