Berlin. Viele Paare versuchen Streit durch Sex zu lösen. Ist das eine gute Angewohnheit oder führt der Versöhnungssex wieder zum alten Problem?

Streit, Versöhnung, Sex. Streit, Versöhnung, Sex. Immer das gleiche Muster: Auf Streit folgt die Leidenschaft. Fast so, als gäbe es das eine nicht ohne das andere. Warum fühlt sich der Versöhnungssex nach einem Streit immer so gut an? Würde das Knistern verschwinden, wenn es keinen Streit mehr gäbe? Und die wichtigste Frage: Führt mehr Streit zu besserem Sex? Eine Beziehungsexpertin und ein Paar- und Sexualtherapeut klären auf.

Beziehung: Wie entsteht Versöhnungssex?

Um zu begreifen, warum sich Versöhnungssex meist viel erotischer und romantischer anfühlt als Alltagssex, müssen wir verstehen, was in unserem Körper passiert, wenn wir uns streiten: Bei einem Streit schaltet unser Körper in den Fight-or-Flight-Modus, also den Angriffs- oder Fluchtmodus: Unsere Atmung wird schneller, unser Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt und im Gehirn werden vermehrt Hormone ausgeschüttet. Kurz: Wir sind in höchster Erregung.

Merken Sie etwas? Genau, der Zustand ähnelt der sexuellen Erregung. "Wenn wir gestresst sind, werden in unserem Körper sogenannte Stresshormone ausgeschüttet. Die wichtigsten und bekanntesten sind Adrenalin und Noradrenalin bei Kurzzeitstress und Cortisol bei Langzeitstress", erklärt Autorin und Beziehungsexpertin Nina Deissler.

Wenn Paare sich streiten, lassen sie Dampf ab. Danach müssen sich die Gemüter wieder beruhigen. Den einen helfen Tränen, den anderen Sex.
Wenn Paare sich streiten, lassen sie Dampf ab. Danach müssen sich die Gemüter wieder beruhigen. Den einen helfen Tränen, den anderen Sex.

Nach dem Groll bleibt die Erregung zurück. Wohin also mit der ganzen Erregung? Ganz klar: Sex ist der einfachste und schnellste Weg, diese zu entladen. Und weil die Gefühle besonders intensiv sind, ist der Sex auch entsprechend intensiv, leidenschaftlich und wild. Und das Glücksgefühl nach dem Sex? Das kommt vom Glückshormon Dopamin, das beim Sex ausgeschüttet wird, für gute Laune sorgt und die Wogen endgültig glättet.

Sex in Partnerschaft: Warum fühlt man sich dem Partner nach dem Versöhnungssex näher?

Dem Parship-Experten und Paartherapeut Eric Hegmann zufolge wirkt die Angst, den Partner zu verlieren, wie eine emotionale Warnanlage. Dabei werden Hirnregionen aktiviert, die für die Bindung zuständig sind. Während der Aktivierung steige unser Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, erklärt Hegmann. Wird dieses Bedürfnis zum Beispiel durch Versöhnungssex befriedigt, fühlen wir uns dem oder der Geliebten viel näher, weil er oder sie uns die verloren geglaubte Sicherheit zurückgibt.

Außerdem sorgt das Kuschelhormon Oxytocin, das nach einem Orgasmus ausgeschüttet wird, für ein Gefühl der Nähe und des Vertrauens zwischen den Menschen. Untersuchungen zeigen, dass der Effekt am stärksten ist, wenn der Streit erfolgreich beigelegt wird.

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Führt mehr Streit zu besserem Sex?

Der Cocktail aus Dopamin plus Adrenalin und Noradrenalin sorgt nicht nur dafür, dass wir nach einem Streit mehr Lust auf Sex haben, sondern auch dafür, dass sich der Sex "besser" anfühlt, weil er erregter ist. Während mehrere Studien gezeigt haben, dass Konflikte das sexuelle Verlangen steigern, gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass bessere Orgasmen mit Streit zusammenhängen. Allerdings, so Beziehungsexpertin Deissler, würden hohe Emotionen und Erregung aufgrund eines vorangegangenen Konflikts oft zum Höhepunkt beitragen.

Diese Ansicht teilt auch der Paartherapeut Hegmann. Er geht davon aus, dass das Erleben von Sex viel mit Spannung und Entspannung zu tun hat. Je höher die Spannung, desto schlechter die Durchblutung und desto weniger intensiv das körperliche Empfinden. Insofern, so der Experte, sei zu viel Druck zwar rein körperlich ein Dämpfer, aber es könne durchaus sein, dass beim Versöhnungssex der Film im Kopf ein paar erotische Fantasien abspult, die einen zusätzlichen Kick geben, den man sonst nicht hat.

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Ist Abstand nach Streit gut?

So wie nicht jeder Streit zu einer heißen Liebesnummer führt, führt auch nicht jeder Streit zu besserem Sex. Vor allem, wenn der Grund für den Streit derselbe ist, ist die Chance auf versöhnlichen Sex gering. "Bei häufigem Streit steigt auch das Frustrationsrisiko – und da kommt dann irgendwann Cortisol ins Spiel, weil wir Dauerfrust haben", erklärt Beziehungsexpertin Deissler. Und Cortisol sorge ganz sicher nicht dafür, dass wir Lust auf unseren Partner bekommen: "Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel macht uns niedergeschlagen, müde und geht mit einem deutlichen Libidoverlust einher", so Deissler.

Außerdem gibt es Menschen, die nach einem Disput erst einmal Abstand vom anderen brauchen. Diese bewusste, vorübergehende Distanzierung gibt den Streitenden die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und den Ärger abklingen zu lassen. Nicht empfehlenswert sind Distanzierungen, die auf ein gegenseitiges Ignorieren hinauslaufen. Denn: Sie kommen eher einer Bestrafung gleich, die noch mehr negative Emotionen auslöst.

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Welche Probleme löst Versöhnungssex nicht?

Auch wenn sich eine gesunde Streitkultur in Kombination mit Sex positiv auf das Liebesleben auswirkt, ist Versöhnungssex nicht der Weisheit letzter Schluss. In vielen Beziehungen seien Konflikte etwas, dem man aus dem Weg gehen möchte, da sei Sex eine Möglichkeit, ohne Worte und Entschuldigungen wieder in Kontakt zu kommen, sagt Deissler. Gerade wenn tiefergehende Probleme zugrunde liegen, sollte das Paar nach der Versöhnung im Bett oder später noch einmal das Gespräch suchen. Denn die Ursache des Gefühlsausbruchs ist mit einem beglückenden Erlebnis in der Horizontalen nicht behoben, auch wenn es sich zunächst so anfühlen mag.