Berlin. Wissenschaftler haben beobachtet: Streiten ist gesund, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Was Sie bei Konflikten beachten sollten.

Streiten? Mag ich nicht! Wer schon? Viel lieber leben wir in Harmonie und fühlen uns sicher, weil alle um uns herum derselben Meinung sind wie wir. Aber wenn es mal nicht so ist? Wenn ausgerechnet der eigentlich liebste Mensch auf Erden in einer Sache so völlig anders tickt als wir?

Dann bringt es nichts, den Streit zu vermeiden! Im Gegenteil. Das macht auf Dauer stumm und traurig. Streit dagegen kann unsere Beziehungen intensivieren. Wenn wir es richtig angehen. Ein kleiner Leitfaden...

Harmonie beflügelt! Es tut so gut, ähnlich zu empfinden. Beim Kaffeekochen im Büro die Köpfe zusammenzustecken. Nach einem anstrengenden Tag im Sofa zu versinken und mit einer lieben Freundin über Gott und die Welt zu quatschen. Wir sagen: "Ja, genau!" Und: "So geht es mir auch!" Wir lachen gemeinsam, freuen uns über das Leben. Und fühlen uns verstanden. Wir brauchen dieses Wohlwollen, wir suchen es von Anfang an. Schon als Baby liegen wir hilflos im Arm der Mutter und freuen uns, wenn sie uns anlächelt.

Streit und Konflikte vermeiden? Der Wunsch nach harmonischen Beziehungen

Auch als Erwachsene sehnen wir uns nach nichts mehr als nach dem Gleichklang der Seelen. Wir fühlen uns sicher und geborgen, wenn wir gut mit anderen auskommen. Wir schauen zufrieden auf die Bilder aus dem Fotoalbum unseres Glücks: Das Lächeln der Eltern. Die Umarmung der Freundin. Der Kuss des Partners. Wir gehören zusammen. Konflikte? Böse Worte? Streit? Ist alles weit weg.

Aber dann passiert es. Die Wirklichkeit macht sich auf unserem Sofa breit. Eine herumliegende Socke, eine herablassende Bemerkung, eine unerwartete Kritik: Schon schlägt das Herz schneller. Die Muskeln verspannen sich. Wut kocht hoch. Wir beschimpfen uns. Oder schmollen. Oder rennen davon. Und die Harmonie ist dahin. Auseinandersetzungen können nerven. Sie tun auch weh. Der Zorn, der in uns aufflammt, ist so archaisch wie fremd. Das lodernde Feuer im Blick des anderen, dem man gerade noch so vertraut hat, ist zum Fürchten, das finstere Schweigen schwer zu ertragen.

Der Umgang mit Auseinandersetzungen: Wie Streit unsere Beziehungen auf die Probe stellt

In Wirklichkeit fliegen nur ein paar Worte hin und her. Aber es ist, als sei man in einen heftigen Sturm geraten, der sich niemals wieder legen wird. Das wühlt uns auf, obwohl wir Streitigkeiten von klein auf kennen. Meistens ist es beglückend und bestärkend, mit anderen Menschen zusammen zu sein. Manchmal aber eben auch quälend. Selbst die innigsten Beziehungen schlagen sich mit heftigen Konflikten herum.

Nicht jeder leidet im gleichen Maß darunter. Besonders schwer haben es sanfte, mitfühlende, friedliebende Menschen. Wer sich selbst verleugnet, sein Glück abhängig macht von den Launen des Partners, steckt einen Streit meist nicht so schnell weg. Dabei muss ein Konflikt bestimmt keine Katastrophe sein. Im Gegenteil: Streiten kann zu unserem Glück beitragen. Die Gefühle, die eine Auseinandersetzung begleiten, zeigen das Leben in seiner ganzen Fülle.

Die befreiende Kraft des Streits: Aggression als Urkraft

Im Streit erwacht unsere Energie. Wir sind da, wir sind präsent. Es mag uns Mut kosten, für uns selbst einzustehen. Aber wir reifen daran. Wir werden stärker, ehrlicher. Denn im Streit sind wir, wer wir sind, authentisch und wahr. Wir kommen einander nahe, ohne Spielchen und Masken. Ein gewaltiges Stück Lebenskraft entfaltet sich in solchen Momenten.

Aggression ist eine Urkraft, die uns seit den Anfängen der Menschheit begleitet. Einst sicherte sie unser Überleben. Und noch in ihrer gebremsten, zivilisierten Form spüren wir die archaische Energie in ihr. Diese machtvollen Gefühle zu unterdrücken, kann nicht gesund sein.

Wissenschaftler zeigen: Warum Streit in Beziehungen gesund ist

Tatsächlich haben Wissenschaftler genau das beobachtet: Paare, die Konflikte unter den Tisch kehren, sterben früher als solche, die sich hin und wieder streiten. Auseinandersetzungen halten uns also nicht nur psychisch gesund, auch der Körper scheint zu profitieren. Entscheidend ist jedoch, wie wir streiten. Nutzen wir die vitalen Kräfte einer Auseinandersetzung klug, wachsen wir am Konflikt. Was ins Gegenteil umschlägt, wenn uns unsere Wut entgleitet. Dann werden aus Freunden Gegner, aus Liebenden Feinde. Schnell werden wir vom Eindruck überrollt, das blanke Chaos bräche über uns herein.

Wichtig ist darum, beim Streiten ein paar Dinge zu beachten. Psychologen raten vor allem dazu, wachsam zu bleiben, Probleme frühzeitig zu bemerken und aus der Welt zu räumen. Der amerikanische Psychologe John Gottman schlägt zum besseren Verständnis vor, sich ein Boot vorzustellen, in dem wir sitzen. Das Meer um uns herum symbolisiert die Gefühle. Je aufgewühlter die Wellen sind, desto schwieriger wird es, das Boot stabil zu halten und in ruhigere Fahrwasser hinüberzugleiten.

Konflikte lösen: Wie einfache Spielregeln und offene Kommunikation die Beziehung stabil halten

Kümmern wir uns zu spät um die Unstimmigkeiten, vielleicht, weil wir gewöhnt sind, Konflikte schmollend auszusitzen, wird das Boot zwangsläufig kentern. Sprechen wir dagegen früh an, was uns stört, beruhigt sich das Meer rasch. Wenn wir darüber hinaus noch einfachen Spielregeln folgen, wird der nächste Streit keine Qual, sondern ein kleines, menschliches Abenteuer. Die eigenen Interessen verteidigen, aber auch die des anderen anerkennen; im größten Ärger fair bleiben: Das gleicht zwar einem Tanz auf einem sehr dünnen Seil. Gelingt uns aber dieses Kunststück, sind wir stolz und froh und einander noch näher als zuvor. Versuchen wir es einfach!

Beginnen wir damit, einander zu erlauben, unterschiedlicher Meinung zu sein! Dann heißt es vor allem: gut zuhören. Denn so legen wir die beste Grundlage für einen Kompromiss, mit dem beide Seiten zufrieden sind. Ein bisschen Humor hilft außerdem. Und vielleicht schaffen wir sogar, mitten im Streit mit einer kleinen, freundlichen Geste zu signalisieren: Ich mag dich. Spüren wir dieses gemeinsame Feuer! Erleben wir unsere Kraft! Denn sicher ist: Nach dem Streit wird die Harmonie noch herrlicher sein.

1. Wenn der andere recht hat – Stimm mal zu!

Nur allzu oft begeben wir uns beim Streiten in eine so feindselige Haltung, dass wir gar nicht mehr genau zuhören. Dabei muss durchaus nicht alles falsch sein, was der andere sagt! Vielleicht können wir ihm sogar in Teilen zustimmen? Wenn das der Fall ist: Zeigen wir unsere Zustimmung. So entsteht eine kleine Insel des gegenseitigen Respekts und Verständnisses.

2. Wird es zu hitzig, sorge für eine kurze Auszeit

Streitereien rühren an tiefsitzenden Gefühlen. Spüre in dich hinein: Hast du noch Kontrolle über deine Emotionen? Oder toben Stürme in dir, die du nicht mehr im Griff hast? Bevor du völlig die Fassung verlierst: Reg eine kleine Auszeit an, geh ein paar Schritte um den Block. Danach ist der Kopf viel klarer. So streitet es sich besser, und der Frieden rückt ein ganzes Stück näher.

3. Nimm es nicht zu persönlich

Dass es zu einem Streit kommt, kann viele Gründe haben. Manche sind ganz banal. Stress, Müdigkeit, Hunger machen uns gereizt. Was uns gestern gleichgültig gewesen wäre, quält nach einer durchwachten Nacht plötzlich sehr. Vielleicht ärgert sich die Freundin auch nur so, weil sie angespannt ist und unausgeruht? Nicht jeder Streit hat mit uns persönlich zu tun – wir müssen also auch nicht alles furchtbar ernst nehmen. Spätestens, wenn der Streit vorbei ist, können wir uns vergewissern, worum es wirklich gegangen ist.

4. Sag nicht immer, sag nicht nie

Im Streit neigen wir zu wilden Übertreibungen. Tatsächlich kommt es uns so vor, als kämpften wir schon ewig mit dem aktuellen Problem. Um zu überzeugen, wagen wir die steilsten Thesen. Die Folge unserer Dramatisierung: Der Streitpartner fühlt sich missverstanden und ungerecht behandelt. Nicht selten steigern solche Manöver die Feindseligkeit in höchste Höhen. Um die Spirale zu vermeiden, genügt es, sich auf das Problem zu konzentrieren, das tatsächlich vorliegt.

5. Versuch es mal mit Distanz und Humor

Ja, für den Moment scheint die Beziehung zum anderen alles andere als stabil. Am liebsten würde man einander nie mehr wiedersehen. Damit die Gefühle nicht davon galoppieren, ist es hilfreich, kurz innezuhalten und das Schlachtfeld aus der Vogelperspektive wahrzunehmen. Ist der Streitanlass wirklich so groß? Die Kluft so unüberbrückbar tief? Oder sieht alles von fern vielleicht ganz anders aus? Kannst du über eure Rechthaberei vielleicht sogar ein klein wenig schmunzeln? Humorvolle Selbstkritik ist sehr hilfreich, wenn man sich vertragen möchte...

6. Zeit für Versöhnung

Kinder sollten lernen, sich zu entschuldigen und zu vertragen. Auch Erwachsene tun gut daran, sich im Versöhnen zu üben. Wenn sich das Streitgewitter verzogen hat, leuchtet der Himmel oft besonders klar und strahlend. Genießen wir diesen Zustand neuer Nähe. Warum nicht das Versöhnen zelebrieren? Ein leckeres Stück Kuchen, ein Gläschen Wein – das haben wir uns nach einem gut geführten Streit durchaus gemeinsam verdient.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "Herzstück", das wie diese Redaktion zur Funke Mediengruppe gehört.