Berlin. Wenn Autofahrer “Klimakleber“ von der Straße ziehen, zeigt sich eines: Die Fronten sind verhärtet. Ein Psychologe erklärt, warum.
Immer mehr Autos und Fahrräder sind auf deutschen Straßen unterwegs und nicht selten kochen die Emotionen hoch, etwa wenn Autofahrer die Aktivisten der „Letzten Generation“ von der Straße schaffen. Doch warum macht der Straßenverkehr so aggressiv? Verkehrspsychologe Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin erklärt, was die Gemüter erregt.
Beobachten Sie eine Radikalisierung auf der Straße?
Aggressionen und Unfälle hat es immer gegeben. Schon König Hammurapi hat in Babylonien das Verkehrsverhalten und Strafen in einem Kodex festgehalten. Auch zu Beginn der Automobilisierung lässt sich feststellen, dass Autofahrer, Pferdekutschen, Fußgänger, Radfahrer und Straßenbahnen gegeneinander und rücksichtslos unterwegs waren. Wenn wir heute ein aggressives Verhalten feststellen, dann liegt das an der allgemeinen moralischen Verrohung der Gesellschaft, die sich natürlich auch im Straßenverkehr fortsetzt. Außerdem nimmt auch der Verkehr zu: Je mehr Fahrzeuge unterwegs sind, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass man in eine Interaktion mit anderen kommt, wodurch auch häufiger Anlässe für Aggressionen entstehen. Es gibt aber keine verlässlichen Daten darüber, ob die Aggression tatsächlich zunimmt. So sind etwa die Meldungen zu Moral und Regelbefolgung beim Kraftfahrtbundesamt rückläufig, was wiederum für einem Rückgang von Aggressivität sprechen würde.
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Was macht Teilnehmer im Straßenverkehr aggressiv?
Da gibt es im Wesentlichen zwei Erklärungsmuster. Zum einen verringert sich die soziale Kontrolle: Autofahrer sitzen in einer Art Käfig und ihr Verhalten darin wird nicht so schnell sanktioniert. Zum anderen haben Verkehrsteilnehmer ein Primärmotiv: Nämlich möglichst schnell und ungehindert von A nach B zu kommen. Wenn Staus, die Infrastruktur oder andere Verkehrsteilnehmer das verhindern, führt das in der Regel zu Frustration. Und aus Frustration erwächst Aggression.
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Bilden sich Rudel im Straßenverkehr, nach dem Motto: Auto gegen Fahrrad?
Im Grunde gilt natürlich die Devise: Jeder gegen jeden. Der Andere könnte immer ein Hindernis für das eigene Vorankommen sein. Allerdings haben alle Arten von Verkehrsteilnahme auch ihre Feindbilder. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Fahrausbildung hierzulande zu sehr auf Regelorientierung und Verkehrsordnung beruht. Verkehrsteilnehmer lernen nicht, auch einmal die Perspektive des Anderen einzunehmen: Ein Autofahrer hat vielleicht gar kein Gefühl dafür, wie es ist, als Radfahrer mit geringem Abstand von einem Auto überholt zu werden. Umgekehrt verhalten sich Radfahrer als die vermeintlich moralisch integren Verkehrsteilnehmer oft selbstbewusster und brechen schneller Regeln. Ich plädiere immer dafür, dass man eine zweite Phase der Fahrausbildung einführt, wo es um die Wahrnehmung von Gefahren und das Verstehen anderer Verkehrsmodalitäten geht: Wo liegen die Stärken und Schwächen der einzelnen Fortbewegungsmittel?
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Wie lässt sich der Kampf der Straße dann entschärfen?
In den Verkehrswissenschaften gehen wir von den drei “E” aus: Enforcement, Education und Engineering. Beim Punkt Engineering versucht man, Verkehrsmittel zu optimieren, indem man etwa Assistenzsysteme verbaut oder eben die Infrastruktur verbessert. Man sollte sich nicht nur auf Personen fokussieren: Wenn Infrastruktur, egal für welche Verkehrsmodalität, Hindernisse aufbaut und das Vorankommen erschwert, dann ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Verkehrsteilnehmer falsch verhalten. Bei der Education versucht man, den Verkehrsteilnehmer zu sensibilisieren, wodurch er die Perspektive der anderen Verkehrsteilnehmer versteht. Beim Enforcement arbeitet man mit Regeln oder auch Bestrafungen. Allerdings werden Bestrafungen meist überschätzt, weil sie nichts an zugrundeliegenden Einstellungen und Motivationen ändern.