Berlin. Das fängt schon mal gut an: „Das Licht“ ist für die Berlinale ein idealer Eröffnungsfilm. Und auch ein Statement der neuen Intendantin.
Setz dich ins Dunkel. Schau ins Licht. Und finde zu dir. Die in Berlin gestrandete Syrerin Farrah (Tara Al-Deen) nutzt eine Lucia-Meditationslampe immerzu, um in Kontakt zu treten mit ihrer Familie, die sie zurücklassen musste. Vor dieses flackernde Licht setzt sie aber nach und nach auch alle Mitglieder jener Patchworkfamilie, bei der sie als Haushaltshilfe arbeitet.
Eine deutsche Familie findet erst durch eine Migrantin zu sich
Denn die ist reichlich dysfunktional. Vater Tom (Lars Eidinger) setzt sich für eine bessere Welt ein, Mutter Milena (Nicolette Krebitz) baut ein Kulturzentrum in Nairobi auf, beide vernachlässigen darüber ihre Zwillinge: Jon (Julius Gause), der in einer Parallelwelt lebt und nur Videogames spielt, und Frieda (Elke Biesendorfer), die mit militanten Aktionen für die Next Generation kämpft – und auch das Gutmenschentum ihrer Eltern radikal in Frage stellt. Hinzu kommt noch der kleine Dio (Elyas Elridge), Milenas Kind aus einer Affäre mit einem Kenianer, was schon zeigt, das in der Ehe seit längerem was nicht stimmt.
Jeder lebt hier für sich. Und als in ihrer Wohnung die alte Haushälterin an einem Herzinfarkt stirbt, kriegt das erst mal keiner mit. Die Leiche liegt eine ganze Nacht in der Küche. Was für ein Bild! Ganz klar: Mit Putzen und Aufräumen allein ist es nicht getan. Hier müssen vor allem Seelen gereinigt werden. Als ausgebildete Medizinerin ist Farrah für den Putzjob überqualifiziert, für die Familientherapie aber ist sie genau richtig. Und so wachsen die privilegierten Wohlstandsdeutschen mit der traumatisierten Migrantin, die alles aufgeben musste, zu einer neuen Einheit zusammen.
Setz dich ins Dunkel. Schau ins Licht. Finde zu dir. Das ist auch ein schönes Motto für ein Filmfestival. Wo man sich immer wieder ins Kinodunkel setzt, um in die Welt zu schauen, und dadurch im besten Fall zu einem besseren Menschen wird. Einen idealeren Eröffnungsfilm als Tom Tykwers „Das Licht“ hätte Tricia Tuttle für ihr erstes Festival, das sie als neue Berlinale-Intendantin verantwortet, gar nicht finden können.
Ein großer, ein großartiger Film, eine Offenbarug
Ihn als solchen zu präsentieren, ist auch ein Statement. Weil er den ganzen Diskurs verhandelt, den die Gesellschaft gerade führt, von Migranten über Klimawandel bis Fridays for Future. Und das über zweieinhalb Stunden lang. Während Eröffnungsfilme sonst doch bitte möglichst kurz sein sollen, weil die Gala-Veranstaltung mit all den Reden lange genug dauern.
Aber nein, so einfach macht es Tuttle dem Publikum nicht. Und doch ist „Das Licht“ ein großer, ein großartiger Film, eine Offenbarung. Weil er all diese Themen setzt. Aber sie mit Leichtigkeit und Empathie verhandelt. Und mit viel Humor. Wie in seinen frühen Filmen setzt Tykwer wieder auf eine Schicksalhaftigkeit, die alles zusammenführt.
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Und doch bricht er das immer wieder ironisch auf: mit richtigen Musical-Einlagen, in denen Eidinger und Krebitz auf der Straße zu singen und zu tanzen beginnen, oder gar mit Ausflügen in den Animationsfilm. Was der Regisseur auch selbst mitanimiert und -komponiert hat.
Tom Tykwer eröffnet zum dritten Mal die Berlinale
Es ist bereits das dritte Mal, dass Tykwer eine Berlinale eröffnen darf. 2002, bei der ersten Kosslick-Berlinale, hat er das mit „Heaven“ getan, einer europäischen Koproduktion mit Cate Blanchett, 2009 mit „The International“, einer Hollywoodproduktion mit Clive Owen.
Jetzt darf Tykwer auch Tuttles erste Berlinale einläuten. Tut es aber erstmals mit einem Berlin-Film. Die Stadt weiß er ins Bild zu setzen, das hat er schon mit „Lola rennt“ und „Drei“ bewiesen. Aber nun ist er das erste Mal mit einem Berlin-Film auf dem Berliner Filmfestival. Und kommt damit, wie er selber meint, erst eigentlich und wirklich hier an.
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Es ist zugleich sein erster Kinofilm seit neun Jahren. Seither arbeitet er an vier Staffeln „Babylon Berlin“, zusammen mit den Koregisseuren Achim von Borries und Henk Handloegten. „Das Licht“ ist also ein echtes Comeback. Für das Tykwer auch ganz große, satte Kinobilder gesucht und gefunden hat.
Der Film macht im besten Sinne Lust auf das Filmfestival
Auch wenn er Berlin hier einem Dauerregen unterzieht, der selbst Einheimischen übertrieben scheinen muss. Ist aber alles eine Metapher, klar. Und dient der Reinigung der lädierten Seelen. Womit Farrah, die rätselhafte Fremde, auch, wie sich zeigen wird, eigene Wunden kuriert.
„Das Licht“ ist großes Kino. Ein Meister meldet sich zurück. Die vermeintliche Überlänge vergeht wie im Fluge. Gleich am ersten Tag hat die Berlinale schon ein echtes Highlight. Und das macht im besten Sinne Lust auf zehn weitere Tage mit Lichtspielen im Dunkeln.
Termine: 14.2., Uber Hall, 18 Uhr; 15.2., 10 Uhr, HKW1; 15.2., 20.30 Uhr, HdBF; 16.2., 20 Uhr Thalia Potsdam. Ab 20. März im Kino.