Berlin. Der Regisseur darf schon zum dritten das Mal das Festival eröffnen. Und outet sich als Fan der neuen Intendantin Tricia Tuttle.

Das gab es noch nie. Tom Tykwer darf zum dritten Mal eine Berlinale eröffnen. Das hat er erstmals 2002 mit „Heaven“ getan, auf der ersten Berlinale von Dieter Kosslick, und 2009 noch einmal mit „The International“. Nun eröffnet er am 13. Februar mit „Das Licht“ das erste Festival der neuen Intendantin Tricia Tuttle. Es ist zudem das Kino-Comeback des Regisseurs nach neun Jahren, die er vor allem mit seinen Ko-Regisseuren Henk Handloegten und Achim von Borries mit der Serie „Babylon Berlin“ beschäftigt war. Wir trafen den 59-Jährigen im Soho House.

Sie halten einen Rekord. Sie sind der erste Regisseur, der zum dritten Mal den Eröffnungsfilm der Berlinale stellen darf. Wie fühlt sich das an?

Das ist einfach toll. Weil die Berlinale, biografisch und emotional, einfach mein Festival ist. Ich bin hier quasi als Filmemacher geboren, aber auch als Filmenthusiast. Schon als ich noch ein Teenie in Wuppertal war, bin ich nach Berlin gepilgert, um bei der Berlinale diesen Dauerausweis zu ergattern. Für 120 Mark. Ich hatte damals noch gar keine Übernachtungsstätte in Berlin. Aber das war auch nicht nötig, es gab ja Filme bis drei Uhr nachts und morgens ab 9 Uhr. Nur die Stunden dazwischen musste man rumkriegen. Da habe ich im Schwarzen Café über einem Kakao Nickerchen gehalten. Später bin ich mit dem Festival groß und älter geworden und durch alle seine Höhen und Tiefen mitgegangen. Das Festival ist manchmal auch etwas abenteuerlich und chaotisch, wie die Stadt, in der es stattfindet. Aber es ist auch so irre schön, weil es wirklich dem Zuschauer zugewandt ist. Das kenne ich sonst von keinem Festival der Welt.

Sie waren schon im Wettbewerb, waren Jurypräsident, bei den Talents, Pate beim Kiezkino und Laudator beim Ehrenbären. Welche Berlinale ist die schönste? Wenn man einen eigenen Film vorstellt? Oder wenn man nur Gast ist und Filme gucken kann?

Ich glaube, die schönste Berlinale war meine erste, da war ich 15 und habe es irgendwie geschafft, jemandem eine Karte für die Eröffnung abzuluchsen. Ich begreife bis heute nicht, wie mir das gelungen ist. Da lief „Wie ein wilder Stier“. Und mein absolutes Idol, Martin Scorsese, kam auf die Bühne. Und redete so toll und kauzig und begeistert über seinen Film. Und war eben ein Mensch und kein unerreichbares Idol. Ich habe da überhaupt erst endgültig begriffen, dass das alles ein Beruf sein könnte, den ich wirklich machen kann. Seitdem muss ich hier immer sein. Auch ohne Film. Aber ich glaube, so wie jetzt ist es doch am schönsten. Obwohl ich sehr aufgeregt bin, weil mir der Film wirklich aus dem Herzen gewachsen ist. Damit komme ich eigentlich auch erst in Berlin an. Ich habe schon ein paar Berlin-Filme gemacht, aber noch nie einen auf der Berlinale gezeigt. Und jetzt darf ich sogar den Laden damit aufmachen.

„Heaven“ war 2003 Ihr Eröffnungsfilm, im ersten Jahr von Dieter Kosslick. „Das Licht“ eröffnet jetzt die erste Berlinale von Tricia Tuttle. Welchen Eindruck haben Sie von ihr?

Ich bin ein Fan. Ihre Energie, ihre cineastische Expertise, ihre Neugier: Das brauchen wir so dringend für das Festival. Vielleicht ist es den Verantwortlichen noch gar nicht bewusst, welch unglaubliches Geschenk sie mir ihr haben. Für diesen Job braucht man jemand, der wirklich Lust darauf hat. Weil man so viel falsch machen kann und sich mit all diesen Widrigkeiten abplagen muss. Ich glaube, Tricia Tuttle kann, wenn wir sie lassen, das für die Berlinale werden, was, sagen wir, Jürgen Klopp für den FC Liverpool war.

„Das Licht“ ist Ihr erster Kinofilm seit neun Jahren und auch wieder das erste Werk, bei dem Sie allein Regie führten. Ist das so eine Art Comeback?

Film ist immer eine kollaborative Arbeit. Und ich bin auch ein echtes Herdentier und genieße das. Eigentlich besteht mein Job nur darin, alle aufeinander einzuschwören und eine gemeinsame Energie zu stiften. Alles andere erledigen die anderen. Ich habe inzwischen gelernt, dass das meine Rolle ist. Und dass ich das auch am besten kann. Ich habe schon bei „Cloud Atlas“ mit zwei Regisseuren gearbeitet.. Und Achim, Henk und ich, wir lieben uns immer noch, auch nach fast zwölf Jahren „Babylon Berlin“. Am Ende wird die Serie ein 48-stündiger Film sein. Davon hatte ich immer geträumt, aber mir nie ausgemalt, wie sehr einen das vereinnahmt. Ich hatte zu Beginn der dritten Staffel deshalb auch eine richtige Krise. Denn es gibt ja keine Pause bei Serien. Du drehst eine Staffel und schon stehen alle auf der Matte und wollen die nächsten Drehbücher. Verrückt ist bei „Babylon Berlin“, dass sie in so unerwarteter Intensität ein Spiegel zur Gegenwart wurde. Es ist ja eigentlich eine Serie über unsere Großeltern und wie die mit den Widrigkeiten in einer sich radikal verändernden Gesellschaft umgehen. Aber mehr und mehr stehen wir heute vor ähnlichen Widrigkeiten. Dieser Spiegelungseffekt war so interessant wie beunruhigend. Und je länger wir daran arbeiteten, desto dringlicher wollte ich auch mal wieder einen Gegenwartsfilm machen, über uns, wie wir mit dem Irrsinn heute umgehen und wie viel Verantwortung wir dabei übernehmen. Das war der Startschuss für „Das Licht“.

Familie im Ausnahmezustand: Nicolette Krebitz, Elyas Eldridge, Julius Gause, Elke Biesendorfer und Lars Eidinger (v.l.) in „Das Licht“.
Familie im Ausnahmezustand: Nicolette Krebitz, Elyas Eldridge, Julius Gause, Elke Biesendorfer und Lars Eidinger (v.l.) in „Das Licht“. © / X Verleih | © Frederic Batier

Immer wieder hört man, es sei ein sehr persönlicher Film. Wie persönlich ist er denn? Es geht um eine Familie. Auch Sie haben zwei Kinder. Auch Sie und Ihre Frau haben ein Kulturzentrum in Kenia aufgebaut. Das sind deutliche Parallelen.

Ich wollte mich nur nicht verstecken hinter zu viel Substituten. Ich finde immer gut, wenn man ausweist, dass man weiß, wovon man spricht. Aber mit der Subjektivität der Figuren hat das nur indirekt zu tun. Ich finde es nicht so interessant, wenn man zu privat aus dem eigenen Leben überträgt. Das sind nur Andockpunkte, die ich brauche. Und das mischt sich auch total in „Das Licht“. Ich bin genauso die Mutter wie der Vater im Film. Und ich wollte auch etwas Gültiges über die Generation unserer Kinder sagen. Und habe mich auch in deren Wut wiedererkannt. Die politische Schärfe, alles in Frage zu stellen und die eigenen Eltern mitverantwortlich zu machen für die Misere der Welt, diesen Impuls verstehe ich sehr stark. Obwohl er sich ja gegen meine Generation wendet. Das ist ein Widerspruch, mit dem ich leben muss. Aber ein interessantes Problem, das der Film genauso verhandelt. Mir war dabei aber auch wichtig, dass das mit viel Humor erzählt. Denn wir sind doch alle irgendwie zum Lachen, wie wir Kreaturen da zappeln in dem Netz, das wir uns selbst gestrickt haben.

Festivaleröffnung der Berlinale 2002
2002 eröffnete Tom Tykwer die Berlinale mit „Heaven“ und seinem Star Cate Blanchett. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress

Im Film wird diese Familie durch eine neue Haushälterin durcheinander gebracht…

Genau. Das Motiv stammt aus Pasolinis Film „Teorema“. Da kommt auch ein Mann in eine bürgerliche Familie, alle verlieben sich in ihn, und das ganze Konstrukt, in dem alle einsam waren, fällt auseinander. Bei uns ist es etwas anders. Da kommt diese Syrerin und zeigt der Familie, welch riesige Chance es ist, wenn wir uns nur einlassen auf eine andere Art zu denken. Und uns dafür öffnen. Und das ist uns das alle stärker und reicher macht, wenn man nur die Angst vor dem Fremden niederreißt.

Ihr Alter Ego wird gespielt von Lars Eidinger. Schon auf der letzten Berlinale spielte er die Hauptfigur in „Sterben“, auch ein sehr persönlicher Film von Matthias Glasner. Ist Eidinger die Projektionsfläche für deutsche Filmemacher?

(lacht) Ich habe keine Ahnung. Als wir anfingen, hatte er „Sterben“ gerade abgedreht und fand das selbst etwas komisch. Zumal seine Rolle in dem Film auch noch Tom hieß. „Sterben“ war spektakulär, ich habe mich sehr für Matthias gefreut. Ich kenne ihn gut, wir sind ja auch fast gleich alt. Und ich war auch an so einem Punkt wie er. Ich wollte einen Film machen, der versucht, mir und den Menschen, die ich kenne, aus der Seele zu sprechen. Und der zugleich dem Kino huldigt. Ich wünschte mir, dass Filmemacher sich mehr preisgeben, dass da wirklich eine Fallhöhe ist, eine Subjektivität und Verletzlichkeit. Aber wenn ich das vom Kino und den Autoren verlange, muss ich es natürlich selbst auch riskieren. Und dadurch eine Intensität suchen, für die es sich lohnt, ins Kino zu gehen. Wo doch alle schon 50 Fernsehkanäle und Streamingdienste zuhause haben. Ich gehe davon aus, dass „Das Licht“ kontrovers aufgenommen wird. Geht vielleicht auch nicht anders. Denn er will ja ein Gratmesser für den Diskurs sein, den wir gerade führen.

Fotocall THE INTERNATIONAL
2009 eröffnete Tom Tykwer das Festival mit „The International“ und seinem Star Clive Owen (l.) © picture alliance / Sascha Radke | Sascha Radke

Deutsche Filme haben es auf der Berlinale nicht immer leicht, werden auch mal brutal verrissen. Muss man sich da warm anziehen?

Das weiß ich gar nicht. Von den beiden Filmen, die ich auf der Berlinale hatte, war der erste, „Heaven“, ja eine klassische europäische Koproduktion, auf Englisch und Italienisch, und der andere, „The International“, ein amerikanischer Studiofilm. Aber diese pauschale Idee von Filmkritik, die sich auf etwas einschießt, bloß weil es deutsch ist – daran glaube ich nicht. Das ist doch kein Antrieb.

Der Film läuft als Berlinale Special. Gab es auch mal die Überlegung, ihn im Wettbewerb zu zeigen? Oder sind Sie ganz froh, sich nicht dieser Konkurrenz auszusetzen?

Darüber habe ich nie richtig nachgedacht. Denn Tricia und ihr Team haben gleich auf die Eröffnung gedrängt. Da sucht man ja sonst gern nach Filmen, die möglichst kurz sind, damit man nach all den Reden endlich zum Buffet kommt. Und jetzt kommt da so ein Zweieinhalbstünder, der einiges verhandelt. Das ist schon ein Statement und eine Ansage: damit als neue Intendantin anzufangen und das voranzustellen als die Art von Film, der für ihr Festival stehen soll.

Premiere der neuen Staffel der TV-Serie Babylon Berlin
Arbeiten seit Jahren zu dritt an der Serie „Babylon Berlin“: Die Regisseure Henk Handloegten, Achim von Borries und Tom Tykwer (v.l.) © picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Haben Sie nach der Berlinale etwas Ruhe? Oder geht es gleich nahtlos mit „Babylon Berlin“ weiter?

Es geht direkt weiter. Ich habe schon einen größeren Block gedreht, jetzt ist gerade Henk dran, dann kommt Achim. Aber zwischendurch habe ich auch noch ein paar Szenen. Und dann geht es natürlich ans Schneiden. Da ist für den Rest des Jahres noch viel Babylon-Arbeit.