Essen. Deutsche Erstaufführung: Missy Mazzolis Oper „The Listeners“ in Essen. Wenig Premierenpublikum, hochkarätige Inszenierung. Unsere Kritik.

Was immer die Gegner zeitgenössischer E-Musik dem Gegenstand lästernd zuschreiben: Mit dem Wort „Brummton“ gleiten sie an Mizzy Mazzolis Oper „The Listeners“ ab. Das Werk selbst kreist um ein Störgeräusch. Samstag Abend war die Premiere der deutschen Erstaufführung. Das Aalto-Theater - wie es bei solchen Stoffen halt ist - zu vielleicht 60 Prozent besetzt. Wer gekommen war, sah keinen schwachen Abend.

Vorwiegend Jubel für Missy Mazzoly „The Listener“ in Essen

Zur Entwarnung an die Ängstlichen: Die 44-Jährige aus Pennsylvania steht nicht für Gegenwartsmusik in Form provokanten Akustik-Bombardements. Gegen Aribert Reimann ist das fast Kuschel-Rock. Willkommen im Opernkino! Nicht selten lockt sie nachgerade filmmusikalisch in ihr Netz. Wenn sie die Violinen in die schwindelerregende Höhen seelischer Panik treibt, dunkle Holzbläser unheimlich sprechen wie unerlöste Geister und das schwere Blech an der Seite des üppig bestückten Schlagwerks wie ein Monster mit schwerer Pranke an die Herzenskammer der Protagonisten pocht - dann steht Filmreifes im Raum. Freilich geadelt, auch da, wo es Konfektion ist, durch Essens Philharmoniker, die in der Premiere vom Generalmusikdirektor dirigiert wurden. Wie das Orchester und Andrea Sanguineti dieses nicht sonderlich progressive, aber durch eine äußerst bestechende Stil- und Bandbreite auftrumpfende Komposition durchmessen, ist einer der großen Trümpfe des Abends.

The Listeners
„The Listeners Oper“: ein transparenter Pavillon markiert das Reich des Erlösers Howard, der sich als erpresserischer Scharlatan entpuppt. © Alvise Predieri | Alvise Predieri

„Listeners“ in Essen: Starkes Orchester, famoser Chor

Und es ist der vorzügliche Opernchor, der (von der Regie mehrfach im Zuschauerraum postiert) Gänsehautmomente zaubert: hier engelsgleich kurz vor den Pforten der Erlösung, dort teufelskalte Requiems-Takte auf den Lippen.

Listeners am „Aalto“: etwas haarige Story, schlappes Libretto

Die Größe der musikalischen Performance haben Handlung und Text nicht. Sie sind eher banal bis bemüht. In Kürze: Typen der US-Mittelschicht vereint, dass sie ein beunruhigendes Dauer-Geräusch nicht aus dem Kopf bekommen. Allen voran die Lehrerin Claire - und Kyle, ein Schüler, den sie mehr mag als es üblich ist. Sie und etliche andere suchen ihr Heil bei Howard. Eine Art New-Age-Lichtgestalt, die ihnen (auf Video gefilmte) Bekenntnisse abringt. Natürlich ist er ein Scharlatan, der die ihn durchschauenden Jünger dann so gegen sich aufbringt, dass (nach der „Zauberflöte“) ein weiteres Mal in dieser Spielzeit, die Statisten-Polizei für Ordnung sorgen muss.

The Listeners
Am Ende heulen sie zusammen: Betsy Horne als Claire Devon und Ivan Estegneev im Kostüm des Kojoten. © Alvise Predieri | Alvise Predieri

Anna-Sophie Mahlers Inszenierung kann nicht jede Schwäche des Werks (in dem einfach viel zu viel, auf der Stelle tretend, esoterisch gequasselt wird) überwinden. Aber mit einem sehr schlanken, zeichenhaften Zugriff im Bühnenbild Katrin Connans hält sie den Abend recht gut in der Spannung. Bewegte Projektionen in die nicht enden wollende Tiefe des Waldes, fünf leuchtende Riesenbuchstabend (Anger = Wut), der vom Choreographen des Abends Ivan Estegneev gespielte stumme Kojote als Widerpart einer Zivilisation mit starken Auflösungstendenzen: Mahlers Leitplanken sind keine Denk-Fesseln, vor allem aber lassen sie der Musik Raum und den teils vorzüglichen Sängern.

Exzellente Sänger: Betsy Horne und Deirdre Angenent

Das sind allen voran Betsy Hornes expressive Claire und Deirdre Angenents Angela. Die war im Club der Abhängigen lange die Favoritin des Selbstfindungs-Gurus (Heiko Trinsinger läuft sich in der Rolle schon für den „Parsifal“-Amfortas warm) , nun ist sie durch den Neuzugang Claire zu Kehricht geworden. Mahler zeigt ihren Abstieg rasant, anfangs sogar komisch: Nicht zuletzt als Parodie auf die Tausendschaft lukrativer Heilsversprechen der Fitnessbewegung begegnet sie uns vor dem tiefen Fall zunächst mit Sopranfanfaren aus dem Liegestütz heraus.

Starker Applaus für Mazzolis „The Listeners“ in Essen

Am Ende gab es langanhaltenden Applaus. Gewiss: Mit dieser Arbeit werden größere Blumentöpfe in Sachen Publikumszuspruch nicht zu gewinnen sein. Doch wer seine Opernneugier nicht bei Verdi und Wagner enden lässt, dürfte ihm eine Chance geben.

The Listeners
Wirkmächtige Projektionen bestimmen das Bühnenbild der deutschen Erstaufführung von „The Listeners“ am Aalto-Theater Essen. Inszenierung: Anna-Sophie Mahler. © Alvise Predieri | Alvise Predieri

DATEN UND KARTEN

Missy Mazzoli: The Listeners. Oper. Dauer: Ca 2:45h, eine Pause. Aalto-Theater Essen. Ab 14 J.
Nächste Aufführungen: 1., 9., 28. Februar; 8., 22. März. Am letztgenannten Datum ist die Komponistin anwesend samt Sondereinführung und anschließendem Gesprächskonzert.