Essen. „Pretty Woman“ ist eine der berühmtesten Romanzen Hollywoods. Heute wirkt der Kultfilm überholt. Sechs Gründe, warum er nicht mehr zeitgemäß ist.
Mit zwölf Jahren sah ich ihn das erste Mal mit meiner Mutter – damals kichernd und mit einer Hand vor den Augen bei den intimen Szenen. Seitdem habe ich den Film „Pretty Woman“ mindestens 15-mal gesehen, zuletzt erst kürzlich wieder, nach einer längeren Pause. Doch diesmal war es anders. Das moderne Märchen meiner Jugend wirkte überholt und rutschte in die Schublade „schlecht gealtert“.
Schon 1990, als der Film herauskam, löste er Kontroversen aus: Für manche eine romantische Liebesgeschichte, für andere eine sexistische Erzählung – und die Jahre haben diesen Beigeschmack verstärkt: Veraltete Klischees über Geschlechterrollen, soziale Klassen und Liebe, die das Bild von Romantik für Generationen prägten.
Modernes Aschenputtel: Der Prinz im Armani-Anzug rettet die Frau im Stretch-Outfit
Klischee: Das Aschenputtel-Märchen – Für den sozialen Aufstieg braucht es einen Mann
Die Geschichte gleicht einer modernen Aschenputtel-Version: Eine Frau in Not wird von einem „Prinzen“ auf einem weißen Ross gerettet. Doch Vivian Ward ist keine Magd, sondern eine Prostituierte im knappen Stretch-Outfit und kniehohen Lackstiefeln, die auf dem Straßenstrich des Hollywood Boulevards arbeitet. Und Edward Lewis, ein erfolgreicher Geschäftsmann im makellosen Anzug, der im Luxushotel in Beverly Hills residiert. Er kann sich alles kaufen, auch seine Begleiterin – erst für eine Nacht, dann für eine Woche. Ein Deal, den Vivian, die dringend Geld für die Miete benötigt, kaum ablehnen kann.
So beginnt eine der berühmtesten Romanzen Hollywoods, die das klassische Märchenmotiv aufgreift: Die arme, aber hübsche Frau wartet nur darauf, von einem reichen Mann aus ihrer Misere befreit zu werden.
Klischee: Der „distanzierte Geschäftsmann“ und die „herzliche Frau“
Sie sind ein ungleiches Paar. Edward, der das Klischee eines kalten, aber erfolgreichen Workaholics aus wohlhabendem Haus verkörpert, und Vivian, die nach enttäuschenden Beziehungen und prekären Aushilfsjobs ins Rotlicht-Milieu gerutscht ist. „Wenn man so weit abgerutscht ist, gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten“, resümiert sie. Für ihn sind die 300 Euro, die er ihr für eine Nacht und 3000 Euro für eine Woche zahlt, eine Bagatelle, für sie ein Vermögen.
„ Menschen sind nicht nett zu Menschen, sondern zu Kreditkarten.“
Edward definiert seinen Selbstwert über seinen Job und ist umgeben von Menschen, die nur wegen seines Geldes an seiner Seite sind. Das Bild, das transportiert wird: Als Mann brauchst du Geld, der Rest fügt sich von selbst oder wie es Edward ausdrückt:. „Menschen sind nicht nett zu Menschen, sondern zu Kreditkarten.“ Durch die unbeschwerte Vivian lernt Edward nicht nur das Leben außerhalb von Materialismus kennen, sondern findet auch seine verdrängte Emotionalität wieder. Schließlich können herzlose Männer erst durch Frauen ihre Menschlichkeit entdecken.
Ungleiches Paar: Zwischen Luxushotel und Prostitution
Klischee: Frauen als Objekte, die verändert werden müssen
Der Finanzhai führt die junge Frau in die High Society von Beverly Hills ein. Eine Parallelwelt, die sie nur aus Filmen kennt und ihr ohne einen mächtigen Mann versperrt bliebe: Sternerestaurant, Pferderennen, gecharterter Flug zur Oper in San Francisco. Um dazuzugehören, muss Vivian sich anpassen oder mit dem Soziologen Pierre Bourdieu gesprochen, sich den Habitus seiner Schicht mühevoll aneignen. Durch Mode, Styling, Etikette und Sprache verwandelt sie sich in eine feine Dame.
Ihre „Erlösung“ beginnt mit ihrem Äußeren: Das knappe Outfit weicht eleganter Kleidung, für das Edward ein „Vermögen“ ausgibt. Ihre vulgäre Ausdrucksweise übersetzt er für die alte Dame in der Oper, weist ihr Verhalten zurecht und rechtfertigt sich für sie. Als wäre sie ein kleines Kind, erklärt er ihr die gesellschaftlichen Regeln. „Wenn du nicht so herumzappelst, siehst du wunderschön aus.“ Denn Frauen müssen sich ändern, um einem bestimmten Idealbild zu entsprechen – und den Mann nicht zu blamieren.
Klischee: Das Ideal der materiellen Romantik
Romantische Liebe wird mit Luxus und teuren Geschenken gleichgesetzt: die ikonische Shopping-Szene auf dem Rodeo Drive, eine Halskette aus 23 Rubinen als Symbol seiner Zuneigung. Seine Kreise leben von Status und Verbindungen. Wer dazugehört, entscheidet die Dicke des Portemonnaies.
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Pretty Woman: Eine Geschichte über soziale Ungleichheit
Klischee: Die „Prinzessin im Herzen“ und Verharmlosung von Prostitution
Die Kluft zwischen den sozialen Schichten bleibt deutlich: Parallelwelten mit kaum Berührungspunkten, verbunden nur durch die Dienste, die weniger Privilegierte der Elite leisten. Vivians Schlagfertigkeit und Lebensfrohsinn wirken in dieser kühlen Welt erfrischend. Doch der Film zeichnet sie als „Prinzessin im Herzen“ – eine idealisierte Figur, die eine stigmatisierende Abgrenzung zwischen „würdigen“ und „unwürdigen“ Frauen im Milieu schafft.
Pretty Woman verharmlost die Realität der Sexarbeit, indem sie romantisch und glamourös erscheint und als individuelles Schicksal dargestellt wird, aus dem einem der richtige Partner befreien kann. So wird Prostitution als Ausgangspunkt für eine Liebesgeschichte stilisiert, während gefährliche und entwürdigende Umstände, Stigmatisierungen und strukturelle Ursachen wie Armut und fehlende Chancen ignoriert werden.
Klischee: Die „märchenhafte Lösung“ aller Probleme
So ist es Vivian, die, wie bei Rapunzel, von ihrem Märchenprinzen aus ihrer Wohnung im obersten Geschoss in eine Zukunft voller Möglichkeiten befreit wird. Das klassische Märchenmotiv, dass sich mit einem reichen Partner alle Probleme lösen, ist jedoch selten Realität. Vielmehr ersetzt es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den komplexen Herausforderungen, die viele Frauen in der Prostitution erleben.
„Pretty Woman“ als Emanzipation oder Klischee?
Die Geschichte, die Generationen als Inbegriff der Romantik diente, und Richard Gere und Julia Roberts zu Sex-Symbolen ihrer Zeit machten, wirkt heute toxisch: ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis, geprägt von ungleichen Machtverhältnissen zwischen Geschlechtern und sozialen Klassen, das alte Märchenmotive romantisiert. Doch in einer Frage bleibt Pretty Woman zeitlos: Was macht uns wirklich glücklich? Gleichzeitig zeigt der Film die Sehnsucht nach einem Platz, an dem man so angenommen wird, wie man ist – jenseits von Kreditkarten, Konventionen und sozialen Rollen.
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